Comic "Halbe Wahrheiten":Wenn Japaner auf Blondinen stehen

Blondinen, Lesben, Sex: Adrian Tomines Graphic-Novel-Debut strotzt vor Klischees. Schade nur, dass sie zelebriert statt kritisiert werden.

T. von Steinaecker

8 Bilder

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

1 / 8

Blondinen, Lesben, Sex: Adrian Tomines Graphic-Novel-Debut "Halbe Wahrheiten" strotzt vor Klischees. Schade, dass sie zelebriert statt kritisiert werden. Eine Bildergalerie.

Ben Tanaka schaut sich gerne Pornos mit weißen Frauen an. Du bist der Manipulation der westlichen Medien und ihren Schönheitsidealen aufgesessen, meint seine Freundin Miko. Ich lebe nur meine Phantasien aus, die aber nichts mit der Wirklichkeit zu tun haben, sagt er. Wenig später hat Miko einen neuen Freund, einen Weißen. Der steht doch nur auf Asiatinnen wegen seines arischen Machtkomplexes und unterdrückter pädophiler Neigungen, meint Ben. Er hat jüdische und indianische Wurzeln und außerdem liebe ich ihn, sagt Miko.

(SZ vom 13.8.2008/Text: Thomas von Steinaecker)

(Fotos: alle Abbildungen aus dem besprochenen Band)

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

2 / 8

Adrian Tomine, als Sohn japanischer Eltern 1974 in den USA geboren, genießt seit seinem Sammelband "Sommerblond" den Ruf, der Nick Hornby des Alternativen Comics zu sein: Wenige andere konnten derart präzise in kurzen Episoden das Lebensgefühl der Generation des Autors auf den Punkt bringen. Auf den ersten Blick scheint Tomine diesem Erfolgsrezept auch in seinem Graphic- Novel-Debüt treu geblieben zu sein. Da ist der dreißigjährige Ben - die Personifikation dessen, was man landläufig einen "Geek" nennt: Betreiber eines erfolglosen Kunstkinos in Berkeley, ansonsten ohne besondere Begabungen, daher orientierungslos und überdurchschnittlich aggressiv sowie bebrillt und besessen von Sex, insbesondere mit weißen Mädchen.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

3 / 8

Kein Wunder also, dass Bens Launen seine langjährige Beziehung mit Miko gefährden. Der einzige Mensch, mit dem er sich gut versteht, ist die gewitzte Alice, Lesbe und US-Koreanerin, für die er auch schon mal den Freund spielt, wenn ihre Eltern auf Besuch sind. In die Lethargie des Alltags kommt mit einem Mal Bewegung, als Miko ein Angebot aus New York für ein Praktikum als Filmwissenschaftlerin annimmt. In den Wochen als Strohwitwer kann Ben seine Vorliebe für Blondinen endlich ausleben, um dann festzustellen, dass Affären ihm keine wahre Befriedigung verschaffen. Es folgt das, was man an diesem Punkt von einer traditionellen Beziehungsgeschichte erwartet: Ben fliegt nach New York und macht sich auf die Suche nach Miko, zu der jeder Kontakt abgebrochen war. Am Schluss jedoch stehen weder die Erkenntnis, dass es sich um seine große Liebe handelte, noch eine Versöhnung.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

4 / 8

"Halbe Wahrheiten" besitzt alles, was man an Tomine schätzt: die lakonischen Dialoge am Telefon, die philosophisch angehauchten Diskussionen in den Kabinen der Coffeeshops und vor allem die wortlosen Sequenzen, die in nur wenigen Bildern und kleinen Gesten ein Gefühl der Leere einzufangen vermögen, etwa wenn Ben Miko zum Flughafen bringt: Lediglich den gemeinsamen Gang vom Parkplatz zur Abfertigungshalle und den einsamen Rückweg Bens bekommt man hier zu sehen, die eigentliche Abschiedsszene ist ausgespart.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

5 / 8

Allerdings hat nicht jede gestreckte Kurzgeschichte das Zeug zum Roman; und so wirkt dieses Beziehungshinundher schon bald recht eindimensional. Ben Tanaka ist einfach ein Kotzbrocken, dem man die Faszination, die er auf Frauen ausübt, nicht glaubt; und als Miko in einem Monolog am Ende, in dem sie ihre Trennung rechtfertigt, zum ersten Mal Gelegenheit hätte, Profil zu gewinnen, kommen aus ihrem Mund nur Sätze, die man tausendmal gehört zu haben meint.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

6 / 8

Die Klischees des Buches werden durch Tomines realistisch-reduzierte Schwarzweißzeichnungen zusätzlich betont. Von den Blondinen, den lasziven Asiatinnen und den Lesben mit Kurzhaarschnitt bis zu den Interieurs, in denen sich die Figuren aufhalten: Alles und jedem wird hier ein unwiderstehlicher Style verpasst, sodass man zuweilen meint, man blättere in einem Modemagazin.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

7 / 8

Was "Halbe Wahrheiten" dennoch zu mehr als einer leidlich unterhaltsamen Darstellung der erwachsen werdenden Generation X macht, sind die selbstreflexiven Ansätze des Buches. Hier entlarvt der Comic jene Stereotypen, die ihn bevölkern, als mediale Manipulation: Zweimal verwandeln sich die Panels unmerklich in Bilder eines schmalzigen Films über eine chinesische Familie und Fotografien, die Miko zur asiatischen Schönheit stilisieren. Dazu beschäftigen sich die Figuren nahezu manisch damit, inwieweit ihre ethnische und sexuelle Identität ihr Handeln bestimmt.

Adrian Tomine Graphic Novel Halbe Wahrheiten

Quelle: SZ

8 / 8

Was bedeutet es, als Japaner auf Blondinen zu stehen; was sagt es über Miko aus, wenn sie sich in einen Weißen verliebt? Diese Fragen nach den Möglichkeiten, ein aufrichtiges Leben in einer inauthentischen Welt zu führen, klingen jedoch lediglich an, ohne die Geschichte und ihre Figuren ernsthaft zu brechen. Weil Tomine unentschlossen jene Rollenmuster zelebriert, die er eigentlich kritisieren möchte, wird so aus "Halbe Wahrheiten" eine halbe Sache.

ADRIAN TOMINE: Halbe Wahrheiten. Reprodukt Verlag, Berlin 2008. 104 Seiten, 13 Euro.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: