Comic: Haarmann:Das Fleisch ist billig

Im Vergleich zu ihm war Jack the Ripper ein Waisenknabe, er biss Männern die Kehle durch, zerhackte und zersägte sie: Trotzdem kommen in der Graphic Novel des Serienkillers "Haarmann" Splatter-Fans nicht auf ihre Kosten.

Christoph Haas

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Im Vergleich zu ihm war Jack the Ripper ein Waisenknabe, er biss Männern die Kehle durch, zerhackte und zersägte sie: Trotzdem kommen in der Graphic Novel des Serienkillers "Haarmann" Splatter-Fans nicht auf ihre Kosten.

Jack the Ripper ist berühmter. Aber im Vergleich mit seinem übelsten deutschen Kollegen war der fünffache englische Frauenmörder geradezu ein Waisenknabe. Fritz Haarmann, geboren 1879, tötete 1918 zum ersten Mal. Nach viereinhalbjähriger Pause geriet er dann in einen Blutrausch: Zwischen Februar 1923 und Juni 1924 fielen ihm in Hannover 23 junge Männer zum Opfer. Er biss ihnen die Kehle durch, zerhackte und zersägte sie. Als er gefasst wurde, gab er zu Protokoll, Menschenfleisch sehe "viel schwärzer" aus als tierisches Fleisch: "Das muß ich doch wissen, ich hab doch immer die Hände voll gehabt." Am 15. April 1925 wurde Haarmann enthauptet.

Text: Christoph Haas/SZ vom 13.1.2010/kar/rus

Alle Abbildungen aus: PEER METER (Text) / ISABEL KREITZ (Zeichnungen): Haarmann. Carlsen Verlag, Hamburg 2010. 176 Seiten, 19,90 Euro.

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Der Bremer Schriftsteller und Theatermacher Peer Meter hat sich mit dem ungeheuerlichen Fall lange und gründlich beschäftigt. In seiner Nacherzählung interessiert ihn weniger Haarmann als Person; in dessen Gedanken- und Vorstellungswelt erhält der Leser erst ganz am Schluss einen kurzen Einblick. Ebenso wenig spielen die blutigen Details der Morde eine Rolle; Splatter-Fans kommen hier nicht auf ihre Kosten. Meter sind vielmehr die Umstände wichtig, die es Haarmann überhaupt erst ermöglichten, seine Taten zu begehen. Als Spitzel war er der Hannoveraner Polizei lieb und teuer. Er besaß sogar einen Ausweis, der ihn als "Kriminal" zu einer Respekts- und Vertrauensperson machte. Spuren, die auf ihn hinwiesen, wurden nicht verfolgt; Zeugen und die Eltern der Ermordeten systematisch abgewimmelt.

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Aber nicht nur die Hand der Obrigkeit schützte Haarmann, sondern auch, dass er keineswegs verborgen, im sozialen Abseits lebte. In dem zwielichtigen Altstadtmilieu, in dem er zu Hause war und wo jeder jeden kannte, wusste er sich geschickt zu integrieren. Die Knochen der von ihm Getöteten warf er in die Leine, ihre Innereien ließ er im Klosett verschwinden. Ihre Kleidung und ihr Fleisch aber verkaufte er zu günstigen Preisen in der Nachbarschaft - im verarmten Deutschland der Inflationszeit machte ihn das zu einem beliebten Mann, dem man gerne nachsah, wenn es auf Festen wieder einmal hoch herging oder nachts aus seiner Wohnung durch sorgfältig verhängte Fenster merkwürdige Geräusche nach draußen drangen.

"Haarmann" ist Teil eines überaus ambitionierten, parallel betriebenen Projektes, das in der deutschen Comic-Geschichte einmalig dasteht. Für fünf Zeichnerinnen und einen Zeichner hat Peer Meter Szenarios geschrieben, in denen es um historische Serientäter und um den plötzlichen Einbruch von Gewalt in den Alltag von Jugendlichen geht. Nach "Gift", der von Barbara Yelin gezeichneten Geschichte der Bremer Mörderin Gesche Gottfried, ist "Haarmann" nun die zweite dieser Graphic Novels. Deren erstes Drittel ist allerdings schon einmal erschienen: vor zwanzig Jahren, umgesetzt von dem Hamburger Christian Gorny, der damals eine große Comic-Hoffnung war und inzwischen völlig von der Bildfläche verschwunden ist.

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Mit dem Wechsel zu Isabel Kreitz hat "Haarmann" sich in visueller Hinsicht radikal verändert. An die Stelle der großformatigen Tusche- sind kleinformatige Bleistiftzeichnungen getreten. Während Gorny Menschen und Dekor nur als Konturen zeigt, über die immer wieder rätselhafte, schattenartige Streifen laufen, strichelt Kreitz akribisch und detailverliebt. Jedem Panel sieht man den Zeitaufwand an, der in es investiert worden ist - mehr als die bloße Achtung vor so viel Mühe kann man beim Lesen aber nicht empfinden. Die Meister des realistisch gezeichneten Comics - von Milton Caniff über Jack Kirby und Jean Giraud bis zu Frank Miller - haben es immer verstanden, ihren Arbeiten Dynamik zu verleihen: durch Hinzufügen burlesk-karikaturistischer Elemente, durch Übersteigerung ins Groteske und Klotzige. Wo, wie bei Kreitz, beides fehlt, geht gerade die nahezu fotografische Präzision einher mit Erstarrung, mit Leblosigkeit.

So geraten die Bilder in dieser Graphic Novel in ein merkwürdiges Verhältnis zum Szenario. Einerseits betreiben sie die penible Verdoppelung des naturalistisch-soziologisch geschulten Blickes, der Peer Meter zu eigen ist. Andererseits sorgen sie dafür, dass von der umfassenden Verstörung, die von der Haarmann-Affäre ausgeht, kaum etwas übrigbleibt. "Warte, warte nur ein Weilchen / bald kommt Haarmann auch zu dir / mit dem kleinen Hackebeilchen / macht er Hackfleisch aus dir", singen Kinder auf der letzten Seite. Das ist das reine Grauen. Gezeigt wird es aber auf eine Weise, in der handwerkliche Perfektion und höchste Biederkeit in eins fallen.

© SZ vom 13.1.2011/kar
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