Süddeutsche Zeitung

Comic:Enterich Herberts Ende

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Joann Sfar und Lewis Trondheim beenden die Funny-Fantasy-Comicserie "Donjon" nach 36 Bänden. Das ist vielleicht auch ganz gut so.

Von Christoph Haas

Herbert de Vaucanson zieht hinaus in die Welt. Er will sein Leben nicht länger hinter den Mauern der Burg, in der er zu Hause ist, vertrödeln. Als sich die Gelegenheit bietet, im Auftrag seines Herrn eine gefährliche Mission zu übernehmen, zögert er nicht lange. Jung und unerfahren ist er, aber zum Glück hat er einen routinierten, supercoolen Gefährten: einen roten Drachen, der mit seinem Feueratem ganze Horden von Feinden verglühen lassen kann.

Aber was ist dieser Herbert für ein Held! Kein adoleszenter Conan und kein mutiger kleiner Hobbit, sondern ein lulatschiger menschlicher Enterich. Abgesehen davon, dass er dreist und unbekümmert ist, hat er nicht viel vorzuweisen. Und auch Marvin, der Drache, hat eine Macke: Wenn ihn jemand beleidigt, kann sich der ansonsten Unbesiegbare nicht mehr zur Wehr setzen.

Die Welt, in der solche kuriosen Dinge passieren, ist von Joann Sfar und Lewis Trondheim erdacht worden. Beide waren früher Mitglieder von "L'Association", einer Gruppe von Künstlern, die dem französischen Comic in den letzten 25 Jahren neue Wege gewiesen hat. Und beide sind überaus produktiv: Sfar arbeitet inzwischen auch als Romanautor und Filmregisseur; Trondheim kommt als Zeichner und Szenarist jährlich locker auf drei oder vier Veröffentlichungen. Mit der Serie "Donjon", die seit 1997 läuft, hat das Duo sich einen großen Spaß erlaubt. Der Titel ist doppeldeutig: Einerseits bezeichnet er im Französischen den Hauptturm einer mittelalterlichen Burganlage, andererseits ist er eine Anspielung auf das vor allem in den Achtzigern und Neunzigern populäre Rollenspiel "Dungeons & Dragons". Im Englischen ist ein "dungeon" ein Verlies; dazu passt, dass die Burg, aus der Herbert aufbricht, ein unüberschaubarer, piranesiartiger Bau ist, in dessen Tiefen es von komisch-schrecklichen Monstern wimmelt.

"Donjon" wird gerne eine Fantasy-Parodie genannt. Zu Unrecht, denn zur Parodie gehört, dass sie nicht aus sich heraus, sondern aus dem Bezug auf andere Werke lebt. In den 36 "Donjon"-Bänden gibt es davon allenfalls Spuren, etwa wenn in der Dicken Sonja, einer nackten, rothaarigen Riesin, das liebenswürdige Zerrbild der amerikanischen Comic-Heroin Red Sonja zu erkennen ist. Das große Vergnügen, das die Lektüre von "Donjon" bereitet, beruht nicht darauf, dass Sfar und Trondheim das Fantasy-Genre lächerlich machen. Vielmehr verleihen sie dessen abgenutzten Reizen neuen Glanz, trotz - oder gerade wegen - der permanenten Brechungen, die sie sich erlauben. In "Donjon" gibt es Gags statt Klischees, der Charme des Abenteuerlichen bleibt aber bewahrt - das ist eine Gratwanderung, die in Comics selten glückt.

Während Fantasy-Autoren sich gerne an der Erzählkunst des 19. Jahrhunderts und deren Idealen von Ordnung und Geschlossenheit orientieren, setzen Sfar und Trondheim auf das Prinzip der ungehemmten, anarchischen Wucherung. Das Hinzufügen ist ihre Sache, nicht das Abrunden. Dies gilt sowohl für die einzelnen Alben, in denen es immer wieder zu Abschweifungen, irrwitzigen Wendungen und offenen Schlüssen kommt, als auch für das "Donjon"-Projekt in seiner Gesamtheit, das sich nach und nach in mehrere Segmente verzweigt hat.

Am Anfang standen die Abenteuer Herberts, gezeichnet von Trondheim; diese wurden dann zur Teilserie "Zenit". Zeitlich früher angesiedelt ist die Teilserie "Morgendämmerung", in deren Zentrum der wackere Hyazinth de Cavallère steht, der spätere Besitzer des Donjon. Als junger Mann streift er, maskiert und mit einem Degen bewaffnet, durch die Straßen und über die Dächer der korrupten Großstadt Antipolis - ein Zorro oder Batman des Mittelalters. Mit ihrem Mantel-und-Degen-Charme und den anheimelnd schaurigen, caligaresken Zeichnungen von Christophe Blain zählen die "Morgendämmerung"-Bände zu den gelungensten der Serie.

Für jedes Album ist ein anderer Zeichner verantwortlich

Wiederum von Trondheim gezeichnet ist die "Donjon Parade", die frühe Abenteuer von Herbert und Marvin erzählt, während die etwas irreführend betitelte Teilserie "Donjon Monster" Neben- zu Hauptfiguren werden lässt und erzählerische Lücken schließt. Für jedes Album ist ein anderer Zeichner verantwortlich, und die Unterschiede in den Stilen und Tonlagen sind gewaltig. Herausragend ist "Die Ehre der Soldaten", eine finstere, zeitlose Parabel über männliche und militärische Gewaltausübung; die Bilder stammen von Frédéric Bézian. Sehr amüsant ist der Beitrag des deutschstämmigen Zeichners Andreas, der wie Bézian sonst im Horror-Genre zu Hause ist. In "Die Hauptkarte" verwendet er das für ihn typische, eigenwillige Seitenlayout mit langen, schmalen Panels, nähert sich zeichnerisch aber ganz dem Funny-Stil Trondheims an.

Die ersten Alben wirken in ihrer Düsternis recht forciert; danach wird es heller und lustiger, aber die Einfälle purzeln so wild durcheinander, dass sich der Eindruck einer gewissen Beliebigkeit einstellt: Jederzeit kann alles und dessen Gegenteil passieren. Vielleicht ist es also gut, dass Sfar und Trondheim nun beschlossen haben, das "Donjon"-Projekt, das ursprünglich einmal 300 (!) Bände umfassen sollte, vorzeitig zu beenden.

"Abenddämmerung" ist das in der Chronologie letzte und mit Abstand schwächste aller "Donjon"-Segmente. Der finale, jetzt erschienene Band heißt schlicht "Das Ende des Donjon", gezeichnet wurde er von Mazan. Nach gewaltigen, apokalyptischen Schlachten liegt die Burg auf den letzten Seiten in Trümmern, im Wechsel vieler Jahreszeiten verschwindet sie immer mehr, bis nur noch ein paar Steinbrocken unter einem blühenden Baum übrig sind. Ein friedlicher Ausklang, der nicht melancholisch stimmen muss: Lewis Trondheim, dieser Stachanow der Comic-Kunst, schreibt und zeichnet schon seit 2011 an "Ralph Azam", einer weiteren Funny-Fantasy-Serie, von der er während seines diesjährigen einwöchigen Sommerurlaubs auf Tahiti mal eben 46 Seiten fertiggestellt hat.

Joann Sfar & Lewis Trondheim (Text / Zeichnungen) mit diversen Zeichnern: Donjon. Reprodukt Verlag, Berlin 2007-2015. Insgesamt 36 Bände, je 32 oder 48 Seiten, je acht oder zwölf Euro.

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Quelle:
SZ vom 14.12.2015
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