Früher waren Comics einfach Comics. Inzwischen hat sich das Angebot sehr erweitert und diversifiziert: Neben den Serien europäischer und amerikanischer Provenienz gibt es Mangas, Graphic Novels und proteische, schwer definierbare Formen. Zu letzteren zählt das gezeichnete Reise-Tagebuch. Privates und Politisches, zufällige Impressionen und gezielte Recherche können sich in ihm mit unterschiedlicher Gewichtung verbinden, und die Bild-Text-Kombinationen weichen mitunter erheblich von dem ab, was man gemeinhin von einem Comic erwartet.
Der junge deutsche Zeichner Sebastian Lörscher hat im vergangenen Jahr den vorzüglichen Band "Making Friends in Bangalore" veröffentlicht, die Frucht seines Aufenthalts in einer südindischen Boom-Stadt. Für "A bisserl weiter . . . geht's immer!" hat er sich ein, je nach Blickwinkel, weniger oder ebenso exotisches Reiseziel ausgesucht: das schöne Österreich. Ziemlich genau die Hälfte seiner Aufzeichnungen, die über einen Zeitraum von drei Monaten entstanden, widmet sich Wien, dann folgen Abstecher in die Tiroler Berge, die Steiermark und ins Burgenland.
Der Anstoß zu dieser Fahrt war, wie Lörscher im Vorwort erläutert, sprachlicher Natur. Seit er einst als Junge an einer Autobahnraststätte entdeckte, dass Quarktaschen in unserem Nachbarland als Topfengolatschen bezeichnet werden, war er vom österreichischen Dialekt fasziniert, später dann auch von der österreichischen Kultur. In "A bisserl weiter" sind die Äußerungen von Lörschers Reisebekanntschaften daher in ihrer klanglichen Spezifik sorgfältig transkribiert und wie dramatische Dialoge und Monologe wiedergegeben. Es hagelt alltagsphilosophische Erkenntnisse und Volksweisheiten, und das mal komische, mal fatalistische Lamento, das die Kaffeehaus- und Würstlstandhabitués, die alten Damen, Bauern, Rentner und "Tschuchen" gerne anschlagen, erinnert des öfteren an Nestroy und Thomas Bernhard.
In zeichnerischer Hinsicht ist "A bisserl weiter" noch attraktiver als "Making Friends in Bangalore" geraten. Das vorige Buch bestach durch die leuchtende Farbigkeit, mit der Lörscher das pralle Leben der Metropole einfing. Hier nun wechselt er zwischen reduzierten Blei- und detaillierteren Buntstiftbildern. Kühe auf einer Alm zeichnet er als unvollendete, sich teils überlappende Konturen; Berghänge erscheinen als Brocken aus Schwarz- und Grautönen, deren feine Differenzierung sich erst bei genauem Hinsehen erschließt.
Das Innere eines Nachtklubs, in dem Huren sich anbieten, ist in ein höllisches Rot getaucht, während in seriöseren Interieurs Gelb, Grün und Braun den Eindruck leicht depressiver Bürgerlichkeit vermitteln. Zum schönsten gehören die grafischen Korrespondenzen, die sich zwischen einigen Vignetten auf den Wiener Doppelseiten ergeben. Gesichter blicken sich an, bestimmte Typen werden deutlich, Dinge scheinen miteinander verwandt zu sein: So enthüllen sich die geheimen Verbindungsfäden, von denen eine Großstadt vielfältig durchzogen ist.
Sebastian Lörscher (Text und Zeichnungen): A bisserl weiter. . . geht's immer! Mit dem Skizzenbuch durch das Wilde Österreich. Edition Büchergilde, Frankfurt/M 2015. 145 Seiten, 24,95 Euro.