Comic:Der Held einer Epoche

Er gilt als einfältiger Matrose, der sich Spinat fressend durchs Leben prügelt. Nun sind die Popeye-Geschichten der Jahre 1929 bis 1938 erstmals auf Deutsch zu entdecken - und sie zeigen, wieso der Seemann lange beliebter war als Mickey Mouse.

Matthias Kolb

Schon der erste Auftritt war viel versprechend: "He du da! Bist du Seemann?", fragt Kastor Öl den missmutig drein schauenden Matrosen. "Seh ich etwa aus wie'n Cowboy?", blafft der noch namenlose Popeye mit der Pfeife im Mund zurück. Ein Held war geboren an diesem 17. Januar 1929, denn die Nebenfigur Popeye wurde schnell zum Star des "Thimble Theatre", der Fingerhutbühne, die Elzie Crisler Segar für das Hearst-Zeitungsimperium zeichnete.

Comic: Der erste Auftritt von Popeye am 17. Januar 1929 im Thimble Theatre - für das PopUp auf das Bild klicken

Der erste Auftritt von Popeye am 17. Januar 1929 im Thimble Theatre - für das PopUp auf das Bild klicken

(Foto: Foto: © 2004 by King Features Syndicate, inc./Distr. Bulls; © 2006 by marebuchverlag)

Seit 1903 wurden tägliche Comicstrips, "dailies" genannt, in amerikanischen Zeitungen gedruckt und so lieferte E.C. Segar ab 1919 jeden Tag eine Geschichte mit sechs Bildern über die Familie Öl, deren bekanntestes Mitglied die gertenschlanke Olivia ist. Segars Großvater hatte einst als Vertreter für Olivenöl gearbeitet, was die Namenswahl erklären könnte: Olivias Bruder Kastor hört auf den Namen Rizinusöl und ihr Verehrer Ham Gravy heißt auf Deutsch Bratenfett.

Ihnen allen stahl Popeye die Show, obwohl er eigentlich nicht zum Helden taugt: Er flucht ständig, ist als tätowierter Einäugiger mit Boxervisage keine Schönheit und lässt Olivia auch für andere Frauen stehen oder verpasst ihr eine.

Untrügliches Gespür für Gut und Böse

Doch er besitzt ein untrügliches Gespür für Gut und Böse und im Amerika der Zwanziger und Dreißiger Jahre, in denen auf die Höhenflüge an der Börse der Kollaps am Schwarzen Donnerstag folgte, sehnten sich die Leser nach einer solchen Figur.

"Popeye handelte so, wie es viele Amerikaner in dieser schwierigen Zeit gerne getan hätten", sagt Übersetzer Ebi Naumann, der die Flüche und Weisheiten des Seemanns ins Deutsche übertrug.

Der 1894 geborene Segar bezeichnete Popeye einmal als "Alter Ego", mit dem er seine Wut und Enttäuschung über den Alltag und die Politik verarbeitete. Der Comiczeichner Art Spiegelman, der durch die "Maus"-Geschichten weltberühmt wurde, weist auf Segars düsteres Menschenbild hin: "Seine Figuren, angetrieben von Gier und Selbstsucht, intrigieren und kollidieren auf Popeyes Narrenschiff und in dessen Dunstkreis."

Segar reagierte schnell auf die Tagespolitik: Zwei Wochen vor dem Börsencrash investiert die Familie Öl ihr Geld bei den Bankern "Schleim & Plapper" in eine nichtexistente Messingmine, um später alles zu verlieren. "Wir machen keine Geschäfte mit Gaunern", sagt Kastor in einem Strip.

Im Comic rächen sich die Öls wenigstens mit Fäusten an den Betrügern - der Mehrheit der ruinierten Amerikanern blieb diese Genugtuung verwehrt. Popeye beteiligt sich nur aus Gerechtigkeitssinn an der Keilerei, denn dem Seemann war Geld nicht so wichtig: In einem Strip wirft er es säckeweise über Bord, um genug Platz zum Rudern zu haben.

Jeep und Wimpy als Namensgeber

Segar erzählte täglich eine Pointe und trieb zugleich über Monate hinweg ein Abenteuer vor-an. Mitunter entsteht beim Lesen der Eindruck, dass Segars Fabulierlust Popeye in solch groteske Situationen bringt, die der Meister nur mit übernatürlichen Figuren lösen kann.

Zunächst ließ er das böse Seeweib in den Alltag der Öls eintreten und als die Leser in Briefen positiv reagierten, führte Segar andere Fabelwesen ein: den Steinzeitriesen Thor oder die gorilla-ähnliche Alice, die Wumme. Noch heute werden in Amerika Schlägertypen und Türsteher als "goon" bezeichnet - so heißt die Wumme im Segar'schen Original.

Zwei Figuren wurden weit über den Comic hinaus bekannt: Der egoistische Berufsschnorrer und Hamburger-Fan J. Wellington Wimpy gab einer Fastfood-Kette ihren Namen. Noch beliebter wurde "Eugene, the Jeep", ein Vorfahr des Marsupilami. 1936 erhält Olivia ein Paket ihres Onkels aus Afrika und darin befindet sich ein hundegroßes Tier, das nur ein Geräusch von sich gibt: "Jeep".

Das exotische Geschöpf ernährt sich von Orchideen, kann die vierte Dimension bereisen und kennt die wahrheitsgemäße Antwort auf jede Ja/Nein-Frage - nur mit Jeeps Hilfe findet Popeye seinen Vater Poopdeck Pappi wieder.

Wen wundert es, dass die Amerikaner im Zweiten Weltkrieg ihrem Militärgeländewagen diesen Namen verpassten. Banausen erklären den Namen hingegen als Abkürzung GP von General Purpose Vehicle.

Der Held einer Epoche

Es ist dem Mare-Buchverlag zu verdanken, dass die Geschichte des Seemanns und seiner skurrilen Freunde nun endlich auf Deutsch zu entdecken ist.

Comic: Alice, die Wumme, ist eines der beliebten Fabelwesen - für das PopUp auf das Bild klicken

Alice, die Wumme, ist eines der beliebten Fabelwesen - für das PopUp auf das Bild klicken

(Foto: Foto: © 2004 by King Features Syndicate, inc./Distr. Bulls; © 2006 by marebuchverlag)

"Ich pin, wass ich pin - wer pinnich tenn?"

Zurecht nennt der Comic-Kenner Andreas Platthaus Segars Popeye-Geschichten "eine Glanzzeit der Comicgeschichte", denn die späteren Zeichner der Serie kamen nie an den Meister heran.

Der Hamburger Ebi Naumann hat Popeyes Sprache, die sich im Original an keine Regeln hält und keinem amerikanischen Dialekt entspricht, kongenial und mit großem Sprachwitz ins Deutsche übertragen (siehe Interview). Da wird Popeyes Lebensmotto "I yam what I yam. That is all I am" zu "Ich pin wassich pin - wer pinnich tenn?"

Fremdwörter und Bildung sind Popeyes Sache nicht: So steckt der Matrose in einem "Dimella", wenn er in ein Dilemma ge-rät oder sticht mit der "Aache Popeye" in See, um wie Kristof Kolumpfuss einen neuen Kon-tinent namens "Spinachovia" zu entdecken.

Vermeintliche Liebe zum Spinat

Der Spinat, den auch der Brockhaus-Eintrag zu Popeye hervorhebt, kommt in den Comicstrips nur selten vor. Am 28. Februar lässt Segar Popeye in einem Strip verkünden: "Unteine Kinners kannssu von mir pestelln, tassie Spinat spachteln solln und Kemüse - tas kiepssie orntlich Saf' un' Kraf'."

Gerüchteweise verzeichnete die US-Spinatindustrie daraufhin ein Umsatzplus von mehr als 30 Prozent. Gesichert ist aber, dass dem Seemann im texani-schen Crystal City ein Denkmal gesetzt wurde.

1933 wurde der Comic, der zu Spitzenzeiten in 600 amerikanischen Zeitungen gedruckt wurde, von den Fleischer Brothers als Zeichentrickfilm adaptiert. Sie führten Dauerwidersacher Bluto ein, der nur in einer Segar-Story auftritt, und raubten Popeye viel von seiner kantigen Individualität. Auch Robert Altmans Verfilmung aus dem Jahr 1980, in der Robin Williams den Seemann verkörpert, wurde dem Ideenreichtum des Originals nicht gerecht, und floppte an den Kinokassen.

Die Popeye-Filme in den Dreißigern waren hingegen Kassenschlager und das Merchandising erreichte ungeahnte Dimensionen: Das King Feature Syndicate, das zum Zeitungsriesen Hearst gehörte, verdiente Millionen von Dollar mit Spielen, Sparbüchsen oder Puzzles, die den Matrosen zeigten.

Auch E.C. Segar verdiente gut an seinem "Alter Ego", der sich wie der Zeichner aus einfachen Verhältnissen hochgearbeitet hatte. Segar, der 1938 an Leukämie starb, hatte mit zwölf Jahren als "Mädchen für alles" in einem Kleinstadtkino begonnen und den Inhalt der Filme auf den Gehsteig gemalt, bevor er 1919 engagiert wurde. Einmal ließ Segar seinen Helden jedoch sterben - als er mit Verleger Hearst über einen neuen Vertrag verhandelte.

Segar hatte keine Copyright-Rechte und hätte durch einen anderen Cartoonisten ersetzt werden können. Doch als anstelle des mürrischen Matrosen ein Detektiv auftrat, schrieben tausende Leser an die Hearst-Blätter und forderten ihren Helden zurück. Segars Schachzug hatte Erfolg und er verdiente um die 100 000 Dollar jährlich. Popeye kehrte 1931 mit Superkräften zurück und seitdem trug die Serie den angemessenen Namen: "Thimble Theatre starring Popeye".

Das 446 Seiten starke Buch "Popeye" von E.C. Segar ist im Mare Buchverlag erschienen und kostet 29,90 Euro. Viele Informationen über Popeye sind auf www.popeyespoopdeck.com zu finden.

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