Süddeutsche Zeitung

Comedy-Kunstfiguren:Sexytime mit Uwe

Uwe Wöllner, Brüno und Horst Schlämmer: Spaßvogel-Kunstfiguren feiern Triumphe. Doch diese "embedded comedians" leben nur kurz.

Tobias Kniebe

Vor drei Jahren war die Sache noch neu. Da kam nach den ersten, haarsträubend überraschenden Vorführungen des Films "Borat", ein ungewöhnliches Angebot aus den USA: Ob man Interesse habe, ein Interview zu führen? Aber eben nicht mit Sacha Baron Cohen, dem brillanten britischen Komiker und Star des Films, sondern mit der Hauptfigur: mit Borat Sagdiyev, dem unerschrockenen zentralasiatischen Fernsehreporter, der zum Zweck des gefilmten Kulturaustauschs die USA bereist hatte und nun bereit war - wie seine Presseagentin durchblicken ließ - auch über sein glorreiches Heimatland Kasachstan umfassend Auskunft zu geben. Es klang wie eine gute - und vor allem lustige - Idee.

Inzwischen ist ein Trend draus geworden. Mit seiner Figur "Brüno" hat Sacha Baron Cohen das gleiche Spiel noch einmal gnadenlos durchgezogen, von Sidney bis zum Brandenburger Tor. Und gelehrige Schüler gefunden: Christian Ulmen zum Beispiel, der derzeit auf allen Medienkanälen eine Figur namens Uwe Wöllner verkörpert, die aus der Reality-Serie "Mein neuer Freund" stammt, im Volksmund gern "TV-Spasti" genannt wird und damit auch schon hinlänglich beschrieben ist; und Hape Kerkeling, der seinen schon etwas angejahrten Provinzjournalisten Horst Schlämmer am 20. August groß ins Kino bringt. Für die begleitende Pressearbeit hat Kerkeling eine klare Weisung formuliert: entweder Interviews als Horst Schlämmer, inklusive Riesentoupet, Kassengestell und Walross-Schnauzer - oder eben keine.

Dies einen Angriff auf die Pressefreiheit zu nennen, wäre jetzt wahrlich übertrieben. Jede Redaktion steht ja unter Druck, dem Zuschauer-Hörer-Leser ab und zu auch mal was Ungewöhnliches zu servieren. Ulmen hat sicherlich niemanden gezwungen, ihm Uwe-Wöllner-Fragen zu stellen; und Kerkelings Agentur versichert glaubhaft, dass die meisten Medien ohnehin nur Schlämmer wollen - "die wären enttäuscht, wenn sie plötzlich bloß Kerkeling kriegen." Im korrekten Business-Kauderwelsch nennt man das wohl eine Win-Win-Situation - und damit wäre das Wesen der Sache auch benannt. Wäre nicht die Frage, welche Form von Komik, welche Form der Selbstdarstellung und welche Form des Journalismus da eigentlich entsteht, doch recht komplex und interessant.

Für den Komiker selbst ist das Arrangement noch relativ klar. Um eine Figur zu schaffen, die dauerhaft für Pointen gut ist, muss er ohnehin erarbeiten, was man in der Fachsprache eine "Backstory" nennt. Diese kann man sich als eine detailreiche fiktionale Biographie vorstellen, die auf alle wesentlichen Fragen eine Antwort gibt. Wann hat Borat Sagdiyev, nur als Beispiel, seine Unschuld verloren? Er war elf. Mit wem? Mit seiner Schwester. Wie starb Uwe Wöllners Mutter? Eine Hockeykugel zertrümmerte ihr den Schädel. Und so fort.

Wenn man das ernst nimmt - und sowohl Cohen als auch Ulmen und Kerkeling sind äußerst ambitioniert in ihrer Arbeit - entstehen da leicht ein paar hundert Seiten Material. Der erste Gedanke, der dann naheliegt, ist ein Buch daraus zu machen - was Christian Ulmen gerade getan hat ("Für Uwe", Kindler-Verlag, aktuell auf Platz 27 der Bestsellerliste). Der zweite Gedanke ist genauso klar: Wenn in der Backstory ohnehin so viele ungehobene Pointenschätze schlummern; und wenn ich als Autor und Darsteller sowieso in jedem Moment weiß, wie die Figur reagieren und was sie sagen würde - dann könnte man das natürlich auch für "journalistische" Interview-Formen nutzen. Der Werbeeffekt ist ohnehin so sicher, dass man sich fragt, warum nicht schon früher jemand die Idee hatte.

Dazu kommt, dass die traditionelle Interview-Situation, in der sich der Schauspieler als Privatmensch der Neugier seines Publikums stellen soll, für den Komiker seit jeher besonders schwierig ist. An der alten Theaterwahrheit, dass im Clown immer ein Melancholiker steckt, könnte ja durchaus etwas dran sein - nur will das Publikum Melancholiker auf keinen Fall sehen. Also braucht der Spaßmacher eine Art Interview-Persönlichkeit, die auch abseits der Bühne für Lacher gut ist.

Diese kann sich von den gespielten Rollen bewusst unterscheiden (etwa der soignierte, selbstironische Landadelige Vicco von Bülow im Gegensatz zu den Loriot-Charakteren) oder aber, was häufiger der Fall ist, beinah identisch sein und wild zwischen Rolle und Privatmann chargieren (Helge Schneider, Otto Waalkes, etcetera). Ohne Verstellung geht es jedenfalls nicht: Wenn etwa der Blödelkönig Mario Barth sich für Momente als der kühle, erfolgsversessene Geschäftsmann zu erkennen gibt, der er wahrscheinlich ist, löst das erhebliche Irritationen aus. Was läge also näher, als das sowieso schon falsche Spiel zu beenden und das Rollenkostüm gar nicht mehr auszuziehen? Da sind dann wenigstens klare Verhältnisse geschaffen.

Noch wichtiger ist allerdings das grassierende Gefühl, dass sich wahre und überraschende Komik heute vor allem dann ergibt, wenn ein Entertainer seine Schöpfung auf die Wirklichkeit loslässt. Gerade die Reaktionen, die er dabei von echten und uneingeweihten Menschen bekommt, sollen wahre Scham, unwillkürliches Entsetzen, unverstelltes Mitgefühl vor der Kamera zu Tage fördern - und dann später auch beim Zuschauer auslösen. Aus diesem Impuls wurden Borat, Brüno, Uwe Wöllner und Horst Schlämmer geboren - und sie waren in der Tat für große Momente der Wahrheit gut, irgendwo zwischen Fremdschämen und Fassungslosigkeit. Nur die Logik der Vermarktung ist dabei tödlich: Sie will die universale Wiedererkennbarkeit dieser Figuren - die aber nur dann wirklich funktionieren, wenn sie bei ihren Ausflügen in die Wirklichkeit gerade nicht wiedererkannt werden.

Ein naturgemäß unlösbares Problem, das die Entertainer nun in Form der Komplizenschaft zu lösen versuchen. Wenn Sting, Bono, Elton John und andere am Ende des Kinofilms mit "Brüno" ins Studio gehen, sind sie erkennbar scharf darauf, eingeweihte Insider zu sein. Denselben Stolz erkennt man im selbstgefälligen Grinsen des Politikers Jürgen Rüttgers, wenn er sich auf ein Gespräch mit Horst Schlämmer einlässt, im Trailer des neuen Films. Auch Claudia Roth und Cem Özdemir waren, wie man hört, sofort zur Mitwirkung bereit. Sollte man das eine angestrengte Suche nach Hipness nennen, einen Horror vacui angesichts der eigenen, schmerzhaft empfundenen Drögheit? Und wenn sich dann auch noch der Herausgeber der FAZ darauf einlässt, eine ganze Seite lang mit Uwe Wöllner über Gott, die Welt und die Mediengesellschaft zu reden, was genau ist das dann?

Der Triumph der Spaßvögel - Krass, wir haben die FAZ gewöllnert! - dürfte jedenfalls von kurzer Halbwertszeit sein. Auf Dauer ist es für jeden Komiker fatal, nur noch nichtsahnende Hausfrauen auf dem Ku'damm zu veräppeln, mit den Intellektuellen und Mächtigen des Landes aber einvernehmlich zusammenzuglucken und gemeinsam auf hip zu machen. Da läuft sich gerade etwas tot.

Für die Journalisten wiederum... wir sind da in einer merkwürdigen Situation. Schon das Ausdenken der Fragen für "Borat", damals vor drei Jahren, fühlte sich äußerst seltsam an: Bei jedem Satz musste natürlich bedacht werden, ob er den Gagschreibern im Team des Sacha Baron Cohen wohl eine ausreichende Vorlage für ihre Pointen liefern würde - weshalb wir dann zum Beispiel wissen wollten, ob Borat schon einmal "sexytime" mit der (real existierenden) kasachischen Präsidententochter Dariga Nasarbajew gemacht habe. Die Antwort hieß kurz gesagt nein, war aber unübersetzbar. Zudem erwies es sich als überraschendes Problem, sich selbst zu spielen: Gerade die Fragen klangen am Ende einfach nicht überzeugend nach dem Tonfall, den ein normales Interview in der Süddeutschen Zeitung haben muss - das Ergebnis wurde schließlich auf jetzt.de veröffentlicht.

Wer sich als Journalist oder Politiker darauf einlässt, als eine Art embedded comedian an neuen Unterhaltungsformaten mitzuwirken, steht schließlich auch unversehens vor existentiellen Fragen: Bin ich noch Jürgen Rüttgers, oder spiele ich ihn nur - und zwar schon seit Jahren? Und wo lag gleich noch der wesenhafte Unterschied, einen FAZ-Herausgeber darzustellen, im Gegensatz dazu, ein FAZ-Herausgeber zu sein? Man darf da wohl nicht zu lange drüber nachdenken.

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Quelle:
SZ vom 01.08.2009/jeder
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