Comedian Paco Erhard:"Klugscheißerei ist sehr deutsch"

Paco Erhard

Macht Comedy übers Deutschsein: Paco Erhard.

(Foto: Paco Erhard)

Comedian Paco Erhard macht im Ausland erfolgreich Witze über Deutsche und den Holocaust. Jetzt will er auch hier durchstarten. Ein Gespräch über die ständige Frage: Darf man das?

Von Ruth Schneeberger, Berlin

Mit Witzen über den Holocaust, deutsche Gründlichkeit und deutsche Ängste machte sich Paco Erhard auf internationalen Comedy-Festivals einen Namen. Seine englische Show "5-Step-Guide to Being German" ließ die Londoner, New Yorker und Australier über Perfektion und Paranoia lachen. Zentrale These: Deutsche wollen im Ausland am liebsten verbergen, dass sie Deutsche sind.

Letzteres brachte er nun auch dem Berliner Publikum in der "Bar jeder Vernunft" bei. Zur Premiere seines deutschsprachigen Programmes "Hard an der Grenze" gab es eine Kostprobe seiner englischen Stand-up-Comedy obendrauf. Im Interview spricht er über die Unterschiede deutschen und englischen Humors und über nationale wie internationale Verwerfungen.

SZ: Darf ich Sie Herr Erhard nennen?

Paco Erhard: Erhard ist mein Vorname. Paco kam durch eine Nachbarin in Spanien zustande, ich bin so spanisch wie Bockwurst. Ich heiße genau wie der erste Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt: Erhard Hübener. Das war mein Urgroßvater. Viel deutscher kann man eigentlich nicht sein.

Wie kommt es, dass Sie als deutscher Comedian englischsprachig durch die die halbe Welt gereist sind?

Ich wollte Schriftsteller werden, ich wollte Jack Kerouac sein. Deshalb bin ich vor 15 Jahren aus Deutschland nach Italien und Spanien getrampt, habe alles hinter mir gelassen. Eine Saison war ich Animateur auf Mallorca, das war wie Bundeswehr: Ich will es nicht missen, aber nicht nochmal machen. Da habe ich die Engländer kennengelernt. Ich hatte plötzlich mit sehr minderbemittelten Menschen zu tun. Ich sage nur: Junggesellenabschied, stark besoffen, dazwischen ich als Deutscher. Jedenfalls habe ich da gemerkt, dass ich es liebe, auf der Bühne zu sein.

Wie kamen Sie auf die Idee, der Welt das deutsche Wesen einzuimpfen?

Um Gottes Willen, nie im Leben! Ich habe einfach so viele überraschende Vorurteile über Deutsche kennengelernt, von Leuten, die noch nie in Deutschland waren und das auch nie vorhatten: dass wir immer noch Nazis wären. Dass wir immer noch glauben, die Weltherrschaft an uns reißen zu müssen. Vor allem die Engländer brauchen das für ihre Identität. Die wissen selber nicht ganz, wer sie sind nach dem Zerfall des Empire. Sie wissen nur, dass sie keine Franzosen und schon gar keine Deutschen sind. Da sind die Vorurteile gegenüber uns noch mit vielen Animositäten durchsetzt. Während uns die Australier wirklich gerne mögen! Überhaupt mögen uns viele Menschen auf der ganzen Welt viel lieber als wir das glauben.

Warum will man im Ausland Witze über Deutsche hören?

Ich glaube, die Leute haben ein großes Interesse an Deutschland, weil wir gerade viel richtig zu machen scheinen. Die nehmen wahr: Wir haben jede Menge grüne Energie, wir nehmen jetzt alle Flüchtlinge auf. Meine eher links eingestellten Freunde sagen: Wow, ihr seid fantastisch! Die anderen sehen, wie wir als wirtschaftlich starkes Land durch die Krise segeln und fragen sich: Wer sind diese Deutschen wirklich? Die üblichen Vorurteile kennt jeder. Ich muss manche aufgreifen, um sie zu entwerten. Aber ich stimme keinem Klischee wirklich zu.

Deutsche sind anderswo nicht unbedingt für ihren Humor bekannt.

Ja, das ist das Stereotyp, das ich am meisten hasse. Klar: Preußen hat einen nicht groß zum Lachen gebracht. Aber hinter dem Klischee steckt auch eine große Portion Propaganda der Briten. Die mussten im Krieg ihre Bevölkerung dazu bringen, uns zu hassen, und haben uns deshalb dämonisiert. Ich finde: Kein Sinn für Humor ist das entmenschlichendste, was man sich vorstellen kann. Ohne Humor ist man wie eine Maschine, da kann man drauf schießen.

"Diese ständige Frage: Dürfen wir darüber lachen?"

Wie denken die Engländer heute über die Deutschen?

Wesentlich positiver, auch durch die Nationalmannschaft. Ich habe fünf Jahre als Comedymoderator auf Teneriffa gearbeitet und hatte englische Stammgäste. Nach der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 sind die vom Glauben abgefallen und dann auch mit der ganzen Familie nach Deutschland in Urlaub gefahren.

Respekt?

Nein, Zuneigung. Wir haben die Bild, die haben zehn solcher Mistzeitungen. Vor allem in den 80er Jahren wurde denen beigebracht: Die Deutschen sind scheiße. Damit haben sich viele nicht weiter auseinandergesetzt. 2006 hatte die Working Class zum ersten Mal einen Grund, nach Deutschland zu fahren, Hunderttausende waren da und haben sich die Realität angeschaut. Das war ein unglaublicher Umbruch.

Wo genau liegen die Humorunterschiede?

Die Angelsachsen sehen das Lustige auch noch in der ernstesten Situation. Wir Deutsche sehen das Ernste noch in der lustigsten Situation. Die Engländer können über alles lachen.

Die Deutschen eher nicht.

Hier sind die Grenzen des Humors enger gesteckt. Viel mehr Leute sagen: 'Oh, ich finde das lustig, aber ich weiß nicht, ob man darüber lachen darf. Wenn das jeder tun würde! Wenn jeder so verrückte Dinge tun würde wie bei Rot über die Ampel gehen, wo würden wir dann landen?' Die Engländer haben nicht das Gefühl der sozialen Verantwortung, wenn sie da im Dunkeln im Publikum sitzen.

Und wie ist Ihr Humor: eher englisch oder eher deutsch?

Da bin ich sicherlich englisch geprägt: Ich möchte gerne Dinge so krass und deutlich wie möglich sagen. Aber: Der moralische Kompass muss stimmen, die Message muss positiv sein. Provozieren, aber niemanden ausgrenzen.

Wir Deutsche haben immer noch Angst, dass Dinge gesprengt werden: die Grenzen des guten Geschmacks, des Gemeinschaftsgefühls, usw.?

Ja. Diese ständige Frage: Darf man das? Ich schiele mal aus dem Augenwinkel, ob die anderen lachen. Ne, die schielen auch, deshalb lache ich mal lieber nicht. Deutsche haben eher Angst, etwas falsch zu machen.

Worüber lachen die Deutschen im Vergleich zu den Engländern?

Kommt auf die Gesellschaftsgruppe an, teils sind das Generationenunterschiede. Gerade junge Deutsche sind mit US-Humor aufgewachsen. Aber bei meiner Zugabe zum Thema Homophobie heute habe ich wieder was gemerkt. Die mache ich gerne, weil ich mich frage: Wie kann es sein, dass wir Leuten verbieten wollen, glücklich zu sein? Da habe ich ein paar banalere Witze drin. Viele haben nur an diesen Stellen gelacht. Das war mir unangenehm. Ich dachte: Versteht ihr mich überhaupt?

Also die Deutschen mögen's derber?

Das fällt mir schwer zu sagen, ich will die Deutschen nicht stereotypisieren. Aber im deutschen Fernsehen werden zu viele Schenkelklopfer geboten. Die Deutschen wissen es nicht besser. Das Fernsehen denkt, dass alle dumme abgeflachte Comedy wollen. Hier ist Comedy ja schon fast ein Schimpfwort - weil die Leute es nur aus dem Fernsehen kennen. Das kam übers TV aus den USA, weil es billig zu produzieren ist.

Anders als im englischsprachigen Ausland.

Im Ausland ist Comedy seit mehr als 100 Jahren live gewachsen und kam dann ins TV. Bei uns müssen andersrum jetzt die Comedians nachwachsen. In Amerika und England gibt es mindestens genauso viele Idioten wie bei uns, aber deren Comedy im TV ist wesentlich besser. Es gibt schon gute junge Leute auch bei uns, die spielen keine platte Figur, sondern haben eine Sichtweise auf die Welt und gute Vorbilder. Und es gibt so viele Deutsche, die denken: Comedy? Bin ich zu schlau für. Kabarett? Bin ich zu jung für. Kabarettisten stehen eine Stunde auf der Bühne und haben Recht. Aber die Comedy-Infrastruktur ist am Wachsen. Das wird noch.

Sie meinen, Comedy hat noch eine große Zukunft in Deutschland?

Ja, wenn endlich mal die Comedy gesehen wird, die wirklich gut ist. Einige wenige gute Sachen gibt es ja schon: Böhmermann ist super. Bei der Varoufakis-Nummer bin ich niedergekniet. Und es gibt den Postillon. Ich versuche, Kollegen-Bashing zu vermeiden, aber manches ist einfach schlecht. Auch die heute-show hat anfangs viel zu sehr die Daily Show imitiert. Warum müssen wir nachahmen, was im Ausland erfolgreich ist? Deutsche Comedy wäre besser, wenn sie mehr sie selbst wäre.Aber schreiben Sie bitte nicht meine Ratschläge für die heute-show, vielleicht will ich da ja mal auftreten.

"Ich bin wie Seehofer - nur gebe ich zu, dass ich ein Clown bin"

Eine Frage noch zu Ihrem Leib- und Magenthema: Was ist typisch deutsch?

Keine einfache Frage. Das sind schon solche Grundwerte wie Ordnung und Sicherheit, woraus ganz viel Weiteres entsteht. Sich selbst unglaublich viel zu hinterfragen. Perfektionismus, aber unglaublicher Selbstzweifel. Gründlichkeit. Wir sind allerdings in der Entwicklung begriffen. Aber die Angst vor Chaos ist einfach sehr deutsch, die wird nicht von heute auf morgen weg sein.

Ihrer Meinung nach rührt das aus unserer Geschichte?

Ja, natürlich. Schon allein der 30-jährige Krieg hat für Jahrhunderte etwas angerichtet in der Psyche, das trägt sich weiter. Und dann die beiden Weltkriege, auch wieder Chaos und Zerstörung, Und diese Fragmentierung des Landes. Das bestimmt uns auf vielerlei Weise. Klugscheißerei ist auch sehr deutsch. Das stammt aus der Zeit, als die sich entwickelnde Mittelschicht keinerlei politische oder kirchliche Macht hatte. Status kam aus Expertentum und wenn jemand gut in seinem Handwerk war. Nach allem was ich recherchiert habe, steckt das einfach in uns drin.

Und jetzt wird alles anders?

Seit 1990 sind wir zum ersten Mal ein Land mit unbestrittenen Grenzen. Wer würde nicht sagen, dass wir uns in der Berliner Republik nochmal stark verändert haben im Vergleich zu den 60er Jahren? Ich glaube, wir bewegen uns in eine gute Richtung. Die klassischen deutschen Sachen wie Gründlichkeit sollten wir aber nicht ganz aufgeben.

Wie man am VW-Skandal sieht.

Genau. Aber zum Beispiel Ängstlichkeiten überwinden. Wir sind teilweise etwas fremdenängstlich. Deutschland ist auf viele Arten besser, als es das selber wahr haben möchte. Aber es gibt auch Arschlöcher, die müssen wir im Zaum halten.

Gutes Stichwort.

Ja, Pegida!

Ich meinte etwas anderes, aber schießen sie los.

Im Moment gibt es diese Spaltung in der Bevölkerung, das beschäftigt mich sehr. Ich bin mal gespannt, ob das so schlimm wird wie in Amerika.

Gab es bei Ihren Shows auch schon Anfeindungen von Deutschen, beim Thema Deutschtum?

Nein, aber bei der Premiere heute war es wirklich seltsam, das Programm vor Deutschen zu machen. Leute, die kein englisch sprechen, mochten es nicht. Auch die Holocaust-Thematik und wie wir damit aufwachsen, ist eher im Ausland interessant. Weil die dort denken, dass wir das alles am liebsten vergessen würden. Hier in Deutschland könnte der Part auch nach hinten losgehen. Deutsche mögen diese Show eher, weil ich Dinge anspreche, die damit zu tun haben, nicht deutsch sein zu wollen.

Das scheint ja ein großes Thema zu sein.

Ja. Das ändert sich auch gerade ein bisschen, aber viele können stark nachvollziehen, wovon ich rede. In Australien gab es Leute, die mir sagten, ich hätte ihnen zehn Jahre Eheberatung erspart: 'Endlich verstehe ich meine deutsche Frau!' In Edinburgh hatte ich die ersten zwei Reihen voll mit jungem jüdischen Publikum. Die sind mir danach um den Hals gefallen. Wenn sich Israelis und Deutsche umarmen, das gibt mir wirklich was.

Warum jetzt das deutsche Programm? Was wollen sie den Deutschen beibringen?

Beibringen kann ich denen nichts, die wissen eh alles besser. Aber nach vier Jahren Tour muss man irgendwo wohnen. Ich war häufiger in Berlin und habe gesehen, wie sich das verändert hat. Und ich habe schon länger keine Probleme mehr damit, aus Deutschland zu kommen. Ich nehme das Land jetzt nicht mehr so ernst und kann es deshalb umso mehr lieben. Auch ich bin super perfektionistisch. Das ist teilweise bescheuert, aber so bin ich geprägt. Deutschland ist ein Land, zu dem ich was zu sagen habe. England liebe ich nicht leidenschaftlich genug, um so heftige Dinge zu sagen, dass sich was verändert. Die haben momentan einen sehr zynischen Humor, um auszuhalten, dass sich nichts ändert in ihrem menschenverachtenden Kapitalismus. Das ist bei uns nicht so ganz schlimm.

Und die Deutschen sind auch gar nicht mehr so miesepetrig wie vor 15 Jahren noch, als sie weggegangen sind?

Ich habe mich ja auch verändert. Und inzwischen haben sich auch die Deutschen ein bisschen entspannt im Verhältnis zu sich selbst. Was mir wichtig ist: Dass die Leute hier noch gelassener werden in Bezug auf Herkunft und Hautfarbe. Dass wir uns freuen, dass wir türkisch aussehende und schwarze Deutsche haben, wie in der Nationalmannschaft. Leider gibt es immer noch zu viele Leute, die misstrauisch fragen: Woher kommt der denn nun wirklich? Lasst uns eine Gesellschaft haben, in der wir nicht alle weiß und straight sein müssen! Das ist doch wahnsinnig schmeichelhaft, wenn jemand, dessen Eltern aus Syrien kommen, jetzt sagt: Ja, ich bin Deutscher! Aber wir müssen überlegen: Wer sind wir denn? Wer wollen wir sein? Wofür wollen wir stehen? Ich glaube, da müssen wir ziemlich neu anfangen.

Wie sehen Sie die deutsche Flüchtlingspolitik?

Seehofer ist wie ich. Er weiß genau, was seine Leute hören wollen. Das sagt er auch lauthals und pointiert, und die Leute brüllen los. Der Unterschied ist, dass ich zugebe, dass ich ein Clown bin. Den Enthusiasmus von Frau Merkel finde ich super. Ich glaube, das ist eine großartige Herausforderung für die Deutschen - auch wenn es logistisch natürlich schwierig wird. Aber wenn wir das richtig handeln, haben wir jetzt die Chance, zu verhandeln, wie wir sein wollen. Und wie andere sich anpassen müssen, damit wir damit glücklich sind. Sagen Sie Frau Merkel, sie soll mich anrufen, wenn sie Fragen hat.

Wie wird das im Ausland gesehen? Gerade in England?

Die sind begeistert. Naja, ich hänge nicht so viel mit den Konservativen oder Rechten rum. Die gibt es ja hier genauso. Die Leute, mit denen ich regelmäßig spreche, bewundern uns. Die sagen: Ich wünschte, mein Land würde das auch so machen. Die Deutschen sind da ein großes Vorbild. Und das fühlt sich ziemlich gut an.

Ein neues Gefühl für Sie?

Ja, es gibt sowieso schon viele Sachen, die sie an uns toll finden. Aber dass man das Gefühl hat, moralisch mal auf der richtigen Seite zu sein, das ist man als Deutscher nicht so gewöhnt.

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