Früher hingen gerahmte Original-Abzüge von Beatles- und John Lennon-Fotos im Flur des zweistöckigen Gebäudes. Heute ist alles schön bunt hier. Der Farbenmischmasch von Graffiti säumt jetzt die Wände des Coldplay-Headquarters. Vieles deutet zunächst darauf hin, dass Coldplay mit ihrer neuen Platte das Destillat ihres letzten Albums geschaffen haben. Wieder steht ein instrumentales Intro vor einem Songkonzept, das den Angsthämmern der modernen Zivilisation mit Chören und energetischen Gitarrenakkorden in Dur trotzt. Auch die Popstar-Verkleidungsauffassung der Band ist ähnlich, umfasst jetzt Graffiti-Kunstklamotten statt bunter Generalsjacken.
Mylo Xyloto wurde von Markus Dravs, Daniel Green und Rik Simpson produziert, Brian Eno hat mitkomponiert, die Band trotzt mit gradlinig formulierten Texten der Doktrin der vordergründigen Coolness. Dennoch ist die Platte nicht bloß eine Fortsetzung der Produktserie Coldplay. Us Against The World heißt einer der neuen Songs und musikalisch wie auch textlich nimmt sich das ganze Ding auch so aus. Rihanna inszeniert sich in Princess Of China endlich mal als Soul-Rock-Wunder, die erste Single Every Teardrop Is A Waterfall überrascht mit Dance-artigen Beats - und die Coldplayer schert es nicht, ob ihr Plädoyer für das Sehen mit dem Herzen als zeitgemäß erachtet wird. Sie sind wie sie sind: kreativ, individualistisch und beneidenswert konstruktiv-energetisch.
"Cool ist was gefällt, nicht was gefallen soll", sagt Frontmann Chris Martin und benennt man damit die inhaltliche Losung des Albums. "Die Liebesgeschichte eines jungen Paares, das der Panikmache der allumgreifenden Sensationsgier trotzt, mit der die Medien uns füttern, ist die Grundidee, auf dem unsere Art von Konzeptalbum fußt", erklärt Drummer Will Champion.
Mylo Xyloto - der Titel wird weder mit Kenntnissen eines Slangs noch mit dem Verstehen einer exotischen Fremdsprache begreifbar. "Wir haben einen Albumtitel gewählt, der bewusst erst mal nichts bedeuten soll, damit er genügend Projektionsfläche für individuelle Deutungen bietet." Sänger und Texter Martin empfindet "das Mysterium Mylo Xyloto als leeres Blatt Papier, "auf dem ich meine Texte klarer formulieren kann, weil ich mich selbst ausklammern darf, vordergründig".
Im oberen Stockwerk bekommt Mylo Xyloto eine plastische Gestalt. Drummer Will Champion schiebt zwei graue Büsten, eine männliche, eine weibliche, in die Mitte des Tischs. Beide Gesichter machen einen scheuen, neugierigen Eindruck. Will Champion zeigt auf die männliche Büste. "Das ist Mylo", sagt er und Martin charakterisiert die Figur. "Mylo begegnet den modernen Elementen, die ihn und seine Freundin voneinander entfremden wollen mit Liebe, mit der zarten Kraft seines Herzens. Er schert sich nicht um Coolness. Er ist ein großartiges Maskottchen für unser neues Album."