Süddeutsche Zeitung

Coldplay-Tourpläne:Viva la Klima

  • Coldplay-Sänger Chris Martin hat in einem Interview angekündigt, künftig nur noch CO₂-neutral auf Tour gehen zu wollen.
  • Was zunächst nach einem Lippenbekenntnis klingt, könnte sich für die Stadionrock-Band als echte Herausforderung entpuppen.

Von Quentin Lichtblau

Chris Martin ist ein leichtes Opfer. In einem am Donnerstag veröffentlichten Interview sitzt der Brite in der Abendsonne über Amman, Jordanien, wo seine Band Coldplay am Freitag zwei Release-Shows zu ihrem neuen Album spielen sollte. Chris Martin, der mit Coldplay zuletzt 122 Konzerte auf fünf Kontinenten bestritten hat, verkündet, dass die Band erst dann wieder auf Tour gehen wolle, wenn dies klimaneutral möglich sei. Eine interessante Ansage für eine Band, die - zumindest bisher - wie kaum eine andere das Konzept Stadionrock repräsentiert, inklusive drei auf 32 Trucks transportierten Bühnen, hyperinflationärem Konfettiregen und Wegwerf-LED-Bändchen für die Zuschauer.

Diese Zuschauer wiederum finden in Coldplay seit bald 20 Jahren die stets gefällige Hintergrundmusik zu ihrer gehobenen spätkapitalistisch-westlichen Lebensweise: Auf der Suche nach dem Guten im Leben, ein bisschen bewusst konsumierend, die ganze Welt auf Reisen umarmend, hoffentlich geht es bald allen so gut wie uns, im McDrive hab ich ja neulich auf den Strohhalm verzichtet, hach, viva la Vida!

Und nun die Verkündung eines neuen Klimabewusstseins, gerade von Coldplay, gerade einen Tag vor dem neuen Album - natürlich roch das nach PR. Sicherlich ist das Timing ganz bewusst gesetzt, der Reichweiteneffekt kalkuliert. Und auch die relativierenden Folgesätze im BBC-Interview lassen vermuten, dass man bei künftigen Konzerten eben ein paar Alibi-Solarpanels und keine Einwegbecher mehr sehen würde - mehr aber auch nicht. Und das mit dem Fliegen sei natürlich auch schwierig, fügte Martin noch hinzu.

"Nicht nur nachhaltig, sondern auch nützlich"

Was aber sowohl vorhersehbar hämischen Twitter-Kommentatoren als auch Chris Martin selbst bewusst sein muss: In seiner Ankündigung steckt eine Unbedingtheit, die einen halbgaren Kompromiss fast unmöglich macht. Martin sagte wörtlich: "Wir nehmen uns die nächsten ein oder zwei Jahre Zeit, um herauszufinden, wie unsere Tour nicht nur nachhaltig, sondern auch nützlich sein kann. Wir wären enttäuscht, wenn sie nicht klimaneutral wäre."

Vor zwölf Jahren, als bei der weltweiten Klimaschutz-Konzertreihe Live Earth noch Dutzende Künstler um den Planeten gejettet wurden, um dann auf einer von Chevrolet gesponserten Bühne mit symbolischem Recycling-Anteil zu spielen, hätte man Coldplay eine gewisse Inkonsequenz noch eher verziehen. Heute, wo eine globale Klimabewegung Politik und Wirtschaft nicht länger an ihrem vermeintlich guten Willen, sondern an der tatsächlichen Einhaltung vereinbarter Ziele misst, dürfte es für Chris Martin und seine Bandmitglieder schwierig werden: Was soll passieren, wenn Coldplay nach eingehender Beratung feststellt, dass sich die nächste Tournee um die Welt wohl doch nur klimaschädlich ausrichten lässt? Nie wieder touren? Vielleicht könnten sich die Worte von Chris Martin letztendlich als das genaue Gegenteil dessen erweisen, was man ihm auf den ersten Blick vorwerfen könnte: Nicht als bequeme Anbiederung - sondern als radikale Herausforderung.

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Quelle:
SZ vom 23.11.2019/qli
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