Süddeutsche Zeitung

Alben der Woche:Weihnachten kommt

Und zwar mit den Alben von Norah Jones und Kelly Clarkson. Außerdem: Das Debüt von Billie-Eilish-Bruder Finneas, der Niedergang von "Coldplay" und Neues von Marteria und Santana.

Von Max Fellmann

Finneas - "Optimist" (Universal)

Doch doch, als Musiker und Schauspieler kann man den Kalifornier Finneas Baird O'Connell schon auch kennen. Vor allem aber halt: als Bruder. Als Produzent. Als Begleiter. Als Sidekick seiner Schwester - genau, Billie Eilish. Man mag es ja irgendwie kaum glauben, dass die beiden ihre Super-Riesen-Über-Hits wirklich im Kinderzimmer zusammengeschraubt haben sollen. Aber es gibt inzwischen eine ganze Reihe von sehr faszinierenden Youtube-Videos, in denen Finneas vorführt, wie er Songs am Computer baut. Und ja, der Mann weiß sehr genau, was er tut.

Jetzt erscheint "Optimist" (Universal), tatsächlich sein erstes Solo-Album. Man möchte es trotzdem nicht Debüt nennen, weil Billie Eilish, siehe oben. Und weil er auch solo seit 2014 schon zahllose Songs veröffentlicht hat. Der Unterschied: Wenn seine Schwester nicht dabei ist, mag er es eine ganze Ecke konventioneller. Weniger Elektronik, weniger Geflüster, viel mehr klassischer Pop mit warmen Akkordfolgen und großen Melodiebögen, mal ganz zart, mal mit Mut zur Grandezza. Wer will, kann da schon den Billie-Sound raushören, aber mindestens genauso Ähnlichkeiten zu Rufus Wainwright oder Sufjan Stevens. Das Beeindruckende ist, dass Finneas beides so perfekt kann: spröde/modern und retro/geschmackvoll. Noch dazu schreibt er tolle Texte. Beim schönen "The 90s" möchte man ihn umarmen für Zeilen wie "You could sign me up / for a world without the internet". Keine Frage, der Kerl kann wirklich alles, und einen James-Bond-Titelsong hat er auch schon hinter sich. Darf einem ein bisschen unheimlich sein, oder? Max Fellmann

Norah Jones - "I Dream Of Christmas" (Blue Note/Universal)

Schon Mitte Oktober, höchste Zeit, mal nach den Weihnachtsalben zu sehen. Von Norah Jones hätte man eigentlich seit Jahren eins erwarten können: Ihr Wohnzimmer-Jazzpop klingt ja immer ein bisschen nach einer warmen Tasse Tee am beschlagenen Fenster, auf "I Dream Of Christmas" (Blue Note/Universal) haucht sie jetzt 13 Songs, zu denen sich Kind, Hund und Katze gemeinsam unterm Baum zusammenrollen können. Die Klassiker geht sie, nun ja, arg klassisch an, "White Christmas", "Winter Wonderland", "Run Rudolph Run". Gut tun dazwischen aber ihre eigenen Kompositionen, vor allem das perkussiv dahinpluckernde "Christmas Glow". Max Fellmann

In die andere Richtung geht Kelly Clarkson mit "When Christmas Comes Around" (Atlantic): die schmissige Variante, American Showbiz, große Bühne, Bläser, Las Vegas, immer mit Blick auf die Mutter der Mutter aller Weihnachts-Hits, Mariah Carey. An deren unzerstörbares "All I Want For Christmas (Is You)" erinnert Clarksons "Christmas Isn't Cancelled (Just You)" geradezu offensiv. Max Fellmann

Coldplay - "Music Of The Spheres" (Warner Music)

Wer die künstlerische Geschichte von Coldplay seit den gloriosen frühen Erfolgen im Jahr 2000 als konstanten, bestürzenden Niedergang wahrnimmt, wird zugeben müssen: "Music Of The Spheres" ist ein neuer Tiefpunkt, der auch mit großer Anstrengung kaum mehr zu unterbieten sein wird. Joachim Hentschel

Die "DJ Kicks" sind so etwas wie die "Bravo Hits" der Clubmusik. Allerdings werfen die "Bravo Hits" nur einmal im Jahr die Hits der Saison zusammen, die DJ Kicks des Labels !K7 zeigen dagegen jedes Jahr gleich mehrmals, was die besten DJs der Welt so auflegen. Angefangen hat das Mitte der 90er, wurde 1996 sofort riesengroß mit dem Riesenerfolg der "DJ Kicks" von Kruder & Dorfmeister, dann ging's von Downbeat über Nullerjahre-Elektronik ins Kreuz-und-quer der Gegenwart mit Größen wie DJ Koze, Marcel Dettmann oder Mount Kimbie. Jetzt ist das britische Duo Disclosure an der Reihe und mischt, wie zu erwarten, ein dampfiges House- und Dubstep-Set aus bekannten Namen und raren Fundstücken. Aufpeitschend, geradeaus, manchmal ein bisschen angeschrägt. Eine Mischung, wie sie das Duo laut eigenem Bekunden "bei einem verschwitzten Keller-Rave spielen würde". Das geht sehr gut auf, Vorsicht allerdings bei den zwei Stücken, die die beiden exklusiv für diesen Mix produziert haben: Der Bass von "Observer Effect" könnte, über eine starke Anlage abgespielt, eventuell zu Unterleibsbeschwerden führen. Max Fellmann

Marteria - "5. Dimension" (Sony)

Nach eigenen Angaben geht Marteria, der erst Fußballer war, danach Model und später dann Rapper wurde, für sein Leben gerne angeln. Besser als alles andere kann der Allrounder aber vor allem eines: feiern. Warum er zu einer Zeit, in der Clubs und Diskotheken geschlossen waren, eine tanzbare Platte über sein Dasein als passionierter Lebemann geschrieben hat, kann man deuten wie man will. Auf "5. Dimension" macht er jedenfalls klar, dass ihn so schnell nichts davon abhalten wird, auf jeder Fete der Letzte zu sein. Musikalisch wird er dabei eher von elektronisch angehauchten Grooves als von typischen Rap-Beats getragen. Zwischendurch gibt es dazu außerdem Ansätze von Selbstreflexion. Kann man ja machen. Für Partys ist das Album trotzdem passender als zum Angeln. Lennart Brauwers

Santana - "Blessings And Miracles" (Bmg / Warner)

"Eigentlich hat sich nicht so viel geändert", sagt Santana im Interview. Für ihn sei es eben normal, große Musiker und Musikerinnen einzuladen, mit ihm Musik zu machen. "So wie Wayne Shorter einmal meinte: 'Ganz neu und doch vertraut.'" So klingt auch das neue Album. Es erzählt Geschichten von Liebe, Freude, Frieden und Erleuchtung. Es gibt Gäste wie Kirk Hammett von Metallica oder den im Februar dieses Jahres verstorbenen Chick Corea, der vergleichsweise zurückhaltend eine latinfröhliche Passage garniert. Sängerinnen und Sänger von Asdru Sierra über Chris Stapleton und Rob Thomas bis zu Tochter Stella Santana schmücken mal mit mehr, mal mit weniger Schmalz und Soul die Stücke.

Der dramaturgische Bauplan des Albums entspricht also in etwa dem bei "Supernatural" entwickelten Konzept: die eine Hälfte mit schlendernden Instrumentals und improvisierendem Rock-Flow für die hippiesk geprägte Gemeinde, die andere Hälfte mit Strandbar-kompatiblem Radio-Dudel einschließlich Schlüsselreizen von R&B-Feeling bis Reggaeton. Mittendrin im Allerlei finden sich Perlen wie die musikalisch mäandrierende und hinreißend kommunizierende Cover-Version von "Whiter Shade Of Pale" in kleiner Runde mit Steve Winwood als singendem und orgelndem Gegenüber. Ralf Dombrowski

Frank Carter And The Rattlesnakes - "Sticky" (Awal)

Zum Schluss noch ein bisschen Haudraufhurra für die gute Laune. Oder für die schlechte, wie man's nimmt. Punkrock, laut und wütend. Frank Carter And The Rattlesnakes, der Bandname klingt immer noch nach Country-Band, aber weit und breit kein Cowboyhut, sondern britischer Punkrock in der Maschinenversion: E-Gitarren und Drumcomputer. Das neue Album der Band heißt "Sticky" (Awal), Frank Carter singt und wütet gegen alles, was ihn ankotzt, also im Einzelnen und Besonderen, äh: alles. Zu Gast sind zwei Männer, die auch nicht gerade für Sozialoptimismus stehen, Joe Talbot (Idles) und Bobby Gillespie (Primal Scream). Zehn Songs lang wird geschrien und gespuckt und getobt, danach ist Totenstille und die Welt zwar nicht besser, aber wenigstens ein bisschen heiser und verschwitzt. Kleine Fluchten. Max Fellmann

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