Coca Cola:Zynische Realität

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US-Universitäten mobilisieren gegen den Coca-Cola-Konzern, die Vorwürfe der Studenten wiegen schwer: Neben Umweltschäden werden sie in Kolumbien mit der Ermordung von Gewerkschaftlern in Verbindung gebracht.

Andrian Kreye

Als die University of Michigan am 1. Januar ihre Verträge mit Coca Cola beendete, setzte der Studentenausschuss einen Beschluss in die Tat um, dem im vergangenen Frühjahr und Sommer unzählige Sitzungen und Diskussionen vorangegangen waren. Nun sind 1,4 Millionen Dollar Jahresumsatz in den Kantinen einer Hochschule für einen Konzern wie Coca Cola eine Zahl, die in der Jahresbilanz erst gar nicht auftauchen wird.

Demonstration gegen Coca Cola in Michigan. (Foto: Foto: AP)

Doch die Tatsache, dass die University of Michigan nur eine von 20 Universitäten in den USA und Kanada ist, die einen Boykott sämtlicher Coca-Cola-Produkte planen oder schon beschlossen haben, und die weitere Tatsache, dass sich die ersten Studentenausschüsse in England ebenfalls mit Boykottgedanken tragen, hat in der Konzernzentrale in Atlanta nun doch für Unruhe gesorgt. Denn selbst ein Weltkonzern wie Coca Cola kann den Schaden, den eine Protest- und Boykottlawine anrichten kann, nur schwer kontrollieren.

Die Vorwürfe der Studenten gegen Coca Cola wiegen schwer. Sie prangern den Konzern an, in Indien mit Tiefenbohrungen für die Limonadenproduktion den Grundwasserspiegel abzusenken und so vielen Bauern die Lebensgrundlage zu entziehen. Richtig gravierend sind jedoch die Vorwürfe gegen die Probleme des Konzerns in Kolumbien.

Dort ist die lokale Gewerkschaft der Lebensmittelindustrie in schwere Not geraten, weil örtliche Abfüllunternehmen Todesschwadronen angeheuert haben, die Gewerkschaftler nicht nur unter Druck setzten, sondern sogar ermordeten.

Der Fall Kolumbien wirft einige grundsätzliche Fragen auf. Die Lage im Andenstaat ist seit Jahrzehnten unübersichtlich. Linke Guerilla, die Todesschwadrone der rechten Paramilitärs, Drogenkartelle und Armee sind hier seit Jahrzehnten in einen Bürgerkrieg verwickelt, dessen Allianzen sich stetig verändern.

Festzustehen aber scheint, dass in der Provinz Urabß nördlich von Medellin, die zu den am heftigsten umkämpften Kriegsgebieten des Landes gehört, nicht nur die Militärs mit den Todesschwadronen zusammenarbeiteten, sondern auch die dort ansässigen Filialen von Unternehmen. Dazu gehörte auch das Abfüllwerk in dem Städtchen Carepa, in dem die Firma Panamco Sprudelgetränke für Coca Cola produziert.

Einer der mächtigsten Männer Carepas war über Jahre hinweg der Anführer der lokalen Todesschwadron mit dem Spitznamen Calíche. Dieser war mit dem Werksleiter eines Abfüllers, Ariosto Milan Mosquera, befreundet, der Calíche und seinen Männern oft in den örtlichen Bars Drinks ausgab oder ihnen für ihre Feste gratis Coca Cola anlieferte.

Calíche und seine Männer revanchierten sich, wenn mal wieder eine neue Verhandlungsrunde mit den Gewerkschaftlern anstand. Mosquera drohte den Gewerkschaftlern offen mit den Todesschwadronen. Als diese im September 1996 einen Beschwerdebrief an die Firmenzentralen in Bogota schickten, machten Calíche und seine Männer ihre Drohung war.

Am 5. Dezember erschossen zwei Schergen der Todesschwadron den Gewerkschaftsführer Isidro Segundo Gil auf dem Werksgelände. Wenige Tage später versuchten sie Gils Freund Luis Cardona, der den Mord beobachtet hatte, verschwinden zu lassen. Cardona entkam.

Zur Unterschrift gezwungen

Noch am selben Nachmittag marschierten die Männer der Todesschwadron auf dem Gelände des Abfüllwerkes auf und brannten das Büro der Gewerkschaft nieder. Eine Woche später trommelten sie am frühen Morgen die gesamte Belegschaft auf dem Werkshof zusammen. Calíche hatte einen Stapel Austrittserklärungen für die Gewerkschaftsmitglieder mitgebracht, fein säuberlich mit allen persönlichen Daten ausgefüllt, die er sich aus dem einzigen Firmencomputer hatte ausdrucken lassen.

Wer nicht unterschreiben würde, sei dem Tod geweiht, erklärte er. Um späten Nachmittag kamen die Paramilitärs zurück und sammelten die Formulare wieder ein. Alle hatten unterschrieben.

Der Fall Isidro Segundo Gil gilt heute als Musterfall der systematischen Verfolgung kolumbianischer Gewerkschaftler. Über 4000 Mitglieder verschiedener Gewerkschaften wurden in Kolumbien während der letzten 20 Jahre ermordet. Die Mitgliederzahl der Gewerkschaft der Getränkebranche reduzierte sich in den letzten Jahren von 3500 auf 650.

Aber kann man Konzerne für die Taten von Zulieferern verantwortlich machen? Entziehen sich die Verhältnisse in einem Land wie Kolumbien nicht dem Einfluss eines ausländischen Konzerns? Ist es nicht einfach die zynische Realität des Welthandels, dass sich Firmen in Krisengebieten auf eine Seite schlagen - und dass diese Seite meist die Seite des Stärkeren ist, der die Interessen der Firma wirksam schützen kann? Solche Fragen wären zu diskutieren.

In einer Stellungnahme der Konzernzentrale geht Coca Cola allerdings so weit, die Fälle in den Abfüllfirmen schlicht zu leugnen.

Geringe Prozesschancen

Amerikanische Gewerkschaften haben sich der kolumbianischen Fälle längst angenommen. Ein Schutzprogramm des US-Gewerkschaftsverbandes finanziert beispielsweise Jahresaufenthalte verfolgter Kolumbianer in den USA. Gils Freund Luis Cardona war einer dieser Stipendiaten, der nicht müde wurde, im Auftrag der Gewerkschaft durch Amerika zu ziehen und die Geschichte seines ermordeten Freundes zu schildern, verbunden mit der Forderung, das Land müsse Verantwortung für die Verfolgung der kolumbianischen Gewerkschaftler übernehmen.

Gewerkschaftsanwälte haben vor einigen Jahren beim Bezirksgericht in Miami Klagen gegen zwei amerikanische Mutterfirmen eingereicht, deren Unterfirmen in den Terror der Todesschwadrone gegen die Gewerkschaften verwickelt seien - gegen Coca Cola und gegen den Energiekonzern Drummond, der in Kolumbien Kohle abbaut.

Die Aussichten, auf Grund des so genannten "Alien Tort Act" Schadensersatz für die kolumbianischen Gewerkschaftler zu erhalten, sind relativ gering.

Doch der Prozess hat so viel Öffentlichkeit geschaffen, dass Coca Cola jene weltweite Boykottwelle droht, die zwar zunächst keine unmittelbaren wirtschaftliche Auswirkungen haben wird, aber der Marke großen Schaden zufügen kann.

Beispiele, wie der Zorn von Konsumenten eine Marke beschädigen können, gibt es genug. So haben sich in Amerika Firmen wie die Brauerei Coors und die Imbisskette Denny's nie mehr von Rassismusvorwürfen erholt, Nike hat der gesamten Turnschuhbranche den Makel eingebracht, ihre Produkte mit Kinderarbeit in der Dritten Welt herzustellen.

Und Bill Gates hat den Eindruck, sein Softwarekonzern Microsoft sei ein rücksichtsloser Monopolist, erst mildern können, als er begann, mehr Geld für die Bekämpfung von Aids und Malaria in Afrika auszugeben als die Weltgesundheitsorganisation. So wird der Boykott an einer Hochschule nicht nur zur politisch korrekten Geste, sondern zum Bestandteil einer immer komplizierteren Frontenbildung, bei der sich im Rahmen der Globalisierung die heterogenen Interessen von Konsumenten und Arbeitenden verbinden können, auch wenn sich spürbare Resultate ihrer Anstrengungen erst nach Jahren zeigen.

© SZ vom 11.1.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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