Clueso:Made in Erfurt

Je leiser seine Musik wurde, desto lauter wurde es um ihn herum. Einst rappte Clueso, heute spielt er Gitarre. Bei all dem Ruhm vergisst der Sänger eines nie: seine ostdeutsche Heimat. Eine Begegnung mit einer Pop-Hoffnung.

Martin Wittmann

Vor seinem Konzert wollte er sich draußen ins Gras setzen, aber irgendwo sprang eine Maschine an, die ihm zu laut war. Nun sitzt er in einem kahlen Raum in dem nur ein paar Stühle und ein Getränkeautomat stehen. Nach ein paar Minuten fängt der Automat zu brummen an. Clueso wartet, bis das Gerät wieder verstummt. Als es wieder zu brummen beginnt, steht er auf und zieht den Stecker.

Clueso

Früher rappte er, heute spielt er Gitarre: Der ostdeutsche Sänger Clueso ist an der Spitze des jungen deutschen Pop angekommen. In Discos geht er heute nicht mehr, da sorgt er für zu viel Trubel.

(Foto: Tino Sieland/Sony Music)

Clueso hat sich für Ruhe entschieden, vor diesem Konzert und schon einmal vor ein paar Jahren, als es um seine Musik ging. Früher war er Rapper, heute ist er Songschreiber. Je leiser seine Musik wurde, desto lauter wurde es um ihn herum. Er gewinnt Preise, verkauft sehr viele Platten und spielt vor Tausenden von Leuten. Die Mädchen mögen sein Bubi-Gesicht, den Jungs, darunter Herbert Grönemeyer, gefällt sein eingängiger Befindlichkeits-Pop. Eine schöne Geschichte, dazu mit einem Detail, das an Frechheit die Provokationen vieler Rockstars übertrifft: Clueso stammt nicht nur aus Ostdeutschland, er lebt dort immer noch, und das sogar gerne.

Ob die Verwunderung, die sein Standort auslöst, etwas über die leidlich blühende Musiklandschaft des Ostens aussagt, über die dortige demographische Misere oder die Selbstgewissheit der in westdeutschen Großstädten angesiedelten Musikindustrie, das sei dahingestellt. Über den Sänger aber sagt sie wenig. Er selbst hat hingegen viel zu sagen.

Mit Clueso zu sprechen, bedeutet, sich über Heimat zu unterhalten. Das ist zum einen Teil tatsächlich das Land. "Ich bin aber eher ein Wendekind denn ein DDR-Kind", sagt Clueso, der 1980 als Thomas Hübner in Erfurt geboren wurde und sich später nach der Figur des Inspektor Clouseau aus "Der rosarote Panther" benannte. Er erinnert sich noch an seine Zeit an der nach Puschkin benannten Schule in Erfurt, "aber frag mich nicht, wer das war". Oder an den Gitarrenunterricht, den er besuchen musste, "weil ich ein so nervöser Junge war".

Auch viele Kleinigkeiten habe er noch im Gedächtnis, sagt er dann, aber der Alltag in der DDR interessiere keinen. Stattdessen werde stets nur sinnlos zwischen "Alles war schlecht" und "Alles war toll" verhandelt. Reden müsse man darüber, sagt er, gerade die jungen Leute. Es sei wie nach einem fürchterlichen Streit eines Paars, nach dem beide erstmal über die Probleme schweigen, um die neue Harmonie nicht gleich wieder zu gefährden. Jetzt aber sei genug Zeit vergangen, sagt Clueso. So etwas will er sagen dürfen, ohne darauf reduziert zu werden.

"Viel Ego im Raum"

Er erinnert sich an die Wende. "Natürlich war ich damals froh", sagt er, und wer sich seine Biographie ansieht, versteht dieses "natürlich" - wer so oft aneckt wie er, braucht Auslauf. Als Kind rief er "Honni ist doof", weil das "unfassbar verboten" war. "Danach haben sie mich ausgequetscht, von wem ich das hätte". In der Schule hatte und machte er Probleme, und das nicht nur, weil seine Lehrer plötzlich das Gegenteil von dem erzählten, was früher gegolten hatte. Nach seinem Hauptschulabschluss wurde er von einer Lehrstelle zur nächsten geschoben. Er wollte Friseur werden, "weil ich dachte, das sei ein kreativer Beruf, bei dem man mit den Leuten ins Gespräch kommt". Stattdessen sei diese Zeit die Hölle gewesen, vor der er nach Feierabend in die Musik geflohen sei.

Clueso

Clueso

(Foto: Tino Sieland/Sony Music)

Die Musik ist der andere Teil von dem, was bei Clueso unter Heimat zu verstehen ist. Als Heranwachsender suchte er seine Identitätskrise noch mit Reimen zu überwinden, als Rapper. Andere Musik zu hören, war allerdings unvermeidlich, war die Erfurter Hip-Hop-Szene doch so klein, dass "wir froh um jede Party waren, egal was dort gespielt wurde". Clueso brach schließlich seine Lehre ab und konzentrierte sich auf die Musik.

Mit jedem Lied wurden die Gesänge wichtiger

1999 folgte er Freunden, denen Erfurt zu klein wurde. Hier hätte ein Lebenslauf beginnen können, in dem Ostdeutsches nur noch in den Rubriken Geburtsort und Schule vorgekommen wäre, und niemand hätte sich gewundert. "Doch in Köln", sagt er, "war viel Ego im Raum, jeder hat sein eigenes Süppchen gekocht, jeder wollte in die Medien". Er erzählt das nicht wie einer, dem die Wessis stinken, sondern eher wie ein enttäuschter Familienmensch. Nach drei Jahren zog Clueso zurück nach Erfurt, in eine große Künstler-WG namens Zughafen. Mit jedem Lied, das er fortan aufnahm, wurden die Gesänge wichtiger und die Raps weniger, "ich sang, was mich berührt hat, für mich waren das Hörspiele".

Er erinnert sich an die Wende. Irgendwann habe ihn ein Rapper zur Seite genommen und ihn ermuntert: "Kollege, mach' hier nicht auf einen auf hart, du hast was, was wir nicht haben, wir checken das". Clueso verstand.

2005 vertrat er Thüringen beim Bundesvision Songcontest mit dem souligen Lied "Kein Bock zu gehn" und tourte für das Goethe-Institut durch Italien. Mit einem Thüringer Orchester nahm er eine CD auf, und im Sommer 2007 engagierte ihn Grönemeyer als Vorband. "Chicago" und "Keinen Zentimeter" liefen auf jedem Radiosender, und seine letzte CD, "An und für sich", erreichte Platz zwei in den Charts. Wenn er heute auf Tour geht, spielt er in ausverkauften Hallen (und beschäftigt dabei 60 Bekannte). Kürzlich gewann der junge Mann mit dem Hauptabschluss den Fred-Jay-Preis für seine Verdienste um die deutsche Sprache.

Clueso drängt nicht jeden Tag in die Boulevardmedien oder ins Fernsehen, "wir wollen die Marke schützen", sagt er. Doch bei den vielen, die ihn mittlerweile kennen, gilt er als Everybody's Darling. Natürlich wolle er erkannt und geliebt werden, sagt er. Aber in eine Disco zu gehen, sei derzeit kein Spaß, und außerdem sei er jedes Mal genervt, wenn ihn Radiomoderatoren für PR-Aktionen begeistern wollen, bei denen er jemandem die Haare schneiden soll. Oder eben, wenn er Everybody's Ossi sein soll.

"Berühmtsein ist wie ein Radiosender, der eigentlich coole Mucke spielt, den man aber nicht ausschalten kann", sagt Clueso. Den Stecker kann er vorerst nicht mehr ziehen.

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