Clubkultur:Die Bassforscher

Schlachthof Bronx

Eine Art Eiger-Basswand: Ein 50 000-Watt-Soundsystem steht den Klangtüftlern Jakob und Bene zur Verfügung, um ihre vierte CD "Haul & Pull Up" in den Clubs vorzustellen.

(Foto: Kevin Riedl/Muffatwerk/oh)

Das Münchner Produzentenduo "Schlachthofbronx" kultiviert den körperlich erfahrbaren Hybridsound. Nun gibt es ein neues Album

Von Martin Pfnür

Es beginne meist mit einem Kitzeln in der Nase, sagt Jakob von der Schlachthofbronx. "Dann wird die Atmung etwas komisch. Tja, und dann geht es auch schon Richtung Nicht-mehr-scharf-sehen". Bene, sein Produktionspartner, nickt emphatisch. "Richtig schön ist das, wenn du plötzlich jedes Haar am Körper einzeln wackeln spürst", fügt er an.

Kitzelnde Nasen, flattrige Atmung, unscharfe Optik, wackelnde Härchen - falls man sich nun fragen sollte, ob die beiden Münchner Produzenten hier von ihren Erfahrungen mit einer neuen Superdroge berichten, vielleicht ja sogar Hilfe benötigen, so sei an dieser Stelle eine Entwarnung vorausgeschickt: Der Trip, den die beiden da beschreiben, ist ein ganz legaler und - sieht man mal von der Belastung der Gehörgänge ab - durchaus auch gesunder. "Blurred Vision", übersetzt "Verschwommene Sicht", nennt sich das Projekt, mit dem die 2008 gegründete Schlachthofbronx seit bald anderthalb Jahren durch die Lande zieht und nun wieder in ihrer Heimatstadt Halt macht (8. September, 23 Uhr, Muffathalle, mit Gästen). Es steht exemplarisch für die musikalische Vision der beiden; für eine Tradition, der sie nun schon seit knapp einer Dekade auf eine Weise folgen, mit der sie sich sehr deutlich vom Gros der Produzenten elektronischer Musik, ja von der Clubkultur überhaupt, abgrenzen.

Wo diese nämlich bis heute recht fix zwischen den ewigen Koordinaten House und Techno abgesteckt ist, verstehen sich Jakob und Benedikt seit ihrem selbstbetitelten Debüt- und Durchbruchsalbum aus dem Jahr 2009 primär als Forschungsreisende in Sachen Bassmusik. Anstatt sich als eine von vielen Variationen des Immergleichen zu etablieren, ließen die beiden mit Anbeginn ihrer Produktionstätigkeit den Blick stets an die äußersten Ränder des Pop schweifen, aus dem sie ihre Samples kondensieren: In die ghettoisierten Innenstädte in den Südstaaten der USA, in die Favelas von Rio de Janeiro, anfangs auch gerne mal Richtung Balkan oder Bierzelt - am liebsten jedoch dahin, wo vor ihnen noch kaum einer war. "Für uns fühlt es sich natürlicher an, das zu spielen, von dem wir auch selbst Fan sind", sagt Jakob. "In unserem Fall sind das eher unterrepräsentierte Klänge."

Klänge, die die beiden zu einem ebenso hybriden wie basslastigen Sound zusammengießen, der in seinen abrupten Brüchen und seiner erhöhten Beats-per-Minute-Zahl mitunter wie ein Musik gewordenes Aufmerksamkeitsdefizit wirkt, dabei jedoch vor allem live eine körperlich erfahrbare Wirkmacht entfaltet, mit der das Duo als musikalisches Münchner Parade-Exportgut mittlerweile rund um den Globus, mit Verlaub, die Ärsche wackeln lässt.

Womit wir auch wieder bei der "Blurred Vision" wären, die sich zweifelsfrei auch einstellt, wenn Schlachthofbronx ihr neues, diesmal primär von jamaikanischen Reggae-Spielarten zwischen Dancehall und Dub geprägtes Album "Haul & Pull Up" in der Muffathalle vorstellen. Behilflich dabei wird ihnen auch ein 50 000-Watt-Soundsystem sein, das sich mit seinen Lautsprechertürmen von zehn Metern Breite und drei Metern Höhe, bestehend aus 16 Woofern, als eine Art Eiger-Basswand auf der Bühne erhebt, während die beiden Protagonisten selbst inmitten des Publikums stehen.

Und klar, natürlich wirkt das etwas größenwahnsinnig. Für Jakob und Bene ist es jedoch nichts weniger als ihre persönliche Referenz an eine Straßenpartykultur, wie sie in Ländern wie Jamaika, Brasilien oder Mexiko - wo sie sich kürzlich im Rahmen des vom Goethe-Institut ausgerichteten "Deutschlandjahrs" inmitten von 25 000 Menschen wiederfanden - gang und gäbe ist. "Das Besondere an dieser Kultur ist der gleichberechtigte Stellenwert von Musik und Soundsystem, der auch bei uns zum Ausdruck kommt", sagt Bene. Vermitteln lasse sich diese physische Erfahrung im Auge des Bass-Orkans aber nur schwerlich. "Man kann den Leuten natürlich davon erzählen", sagt er. "Um es auch wirklich zu verstehen, muss man es jedoch erlebt haben."

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