Clubbing:Italiener machen's besser

Unter den Discokugeln der 70er waren lange Haare Pflicht und krause Brusthaartoupets keine Albernheit - Trends kamen aus dem Süden. Jetzt ist der "Italo Disco"-Sound zurück. Kitschig, aber wahr.

Paul-Philipp Hanske

Popmusiker fürchten nichts mehr als die Schubladen, in die sie gesteckt werden. Und so wehrt auch Johnny Jewel, Produzent und einer der Chefs des Pop-Labels "Italians do it better" aus New Jersey ab: Nein, nein, Italo Disco mache er mit dem Label nun wirklich nicht. Und der Name, der rühre lediglich daher, dass die Schwester seines Kompagnons ein T-Shirt habe mit der Aufschrift "Italians do it better" - wie Madonna damals in dem Video zu "Like A Virgin".

Diese Ausflüchte konnten freilich nicht verhindern, dass das erst vor kurzem gegründete Label in New Yorker Clubs und von euphorisierten Musikjournalisten längst als Speerspitze der Italo-Disco-Renaissance gefeiert wird. Und die beiden Hauptbands von "Italians do it better", die Chromatics und Glass Candy haben auch alles, was nötig ist, um einen kleinen Pop-Hype loszutreten: Begeisternde Sängerinnen, Melodien, die sich mit kleinen, gläsernen Widerhaken in die Gehörgänge einkrallen, vor allem aber diese geschickte Mischästhetik, die sowohl Freunde elektronischer Tanzmusik als auch Verteidiger des klassischen Poparrangements glauben lässt, sie bewegten sich jeweils auf eigenem Terrain.

Musikalisches Paralleluniversum

Sowohl die Chromatics als auch Glass Candy kommen eigentlich aus ganz anderen musikalischen Zusammenhängen - aus der Punk-Szene der amerikanischen Ostküste. Von diesen Wurzeln ist bei den Bands, die beide von "Italians do it better"-Mastermind Johnny Jewel produziert werden, heute nicht mehr viel zu hören. Beide Bands machen, was gemeinhin "Disco" genannt wird, allerdings nicht in der Nachfolge des Gute-Laune-Bombardements etwa von Abba, sondern in der denkbar morbidesten Spielart.

Die Stimmen der beiden Sängerinnen sind nicht gerade kraftvoll. Das aber wird wettgemacht von der melancholischen Laszivität ihres Gesangs. Dazu ein dürres Beat-Gestell, eine brodelnder, Blasen werfender Bass, darüber klagende Keyboards, Glockenspiele und - verloren zwischen den Takten - eine einsame Funk-Gitarre: Die Chromatics und Glass Candy spielen dunkle Nokturnen, die Wiederholungen nicht scheuen und sich in hypnotische Tracks verwandeln.

Es gab diese Musik schon einmal, sie hieß Italo Disco. Wer sie heute wieder spielt, ist Teil eines Trends. DJs in New York, London und Paris rühmen sich, Italo zu spielen. Über das Internet-Musikkaufhaus iTunes kann man Italo-Mixe abonnieren und die Preise für originale Italo-Platten haben längst alle Preis-Schmerzgrenzen überschritten.

Italo Disco ist eine der seltsamsten Pop-Entwicklungen, die es je gab. Ein musikalisches Paralleluniversum. Angefangen hat alles Ende der siebziger Jahre in München. Der Südtiroler Schnurrbartträger Giorgio Moroder, zuvor als Schlagerproduzent tätig, kam damals auf die grandiose Idee, Disco-Musik nicht mit einer Funk-Band, sondern mit Synthesizer und Sequenzer zu spielen. In Chicago und Detroit wurde später aus dieser Idee House Music - vorerst aber zündete der Funke in Moroders Heimat Italien.

Die popkulturelle Randstellung Italiens begünstigte eine ganz eigene Evolution von Italo Disco. Grundlage blieb stets der elektronische Disco-Bass, vom verkifften Spacerock borgten sich die Musiker das Hintergrundrauschen und die billigen Stimmeffekte. Und weil die Entwicklung erst Mitte der achtziger Jahre ihren Höhepunkt fand und sich da - außer in Italien - niemand mehr für Disco interessierte und statt dessen die kalten und melancholischen Klänge von New Wave und New Romantic gerade angesagt waren, ließen die italienischen Produzenten diese Entwicklungen einfach in ihren Sound einfließen. In Italien, aber auch im übrigen Europa, landeten die Songs regelmäßig in den Charts.

Bloß kein Kitsch

Italo Disco bewegt sich stets auf einem schmalen Grat, die Nähe zum Kitsch ist allgegenwärtig. Erfolgsproduktionen wie die Balladen von Valerie Dore oder das debile Geleier von Righeiras "Vamos A La Playa" gehören zum Schlimmsten, was in den achtziger Jahren eingespielt wurde. Anfang der Neunziger Jahre verlor sich die Szene in der aufkeimenden Techno- und Eurobeat-Bewegung.

Bis sie nun wieder entdeckt wurde. Genau genommen dauert die Wiederaneignung aber schon länger. Schon vor Jahren brachten bekannte DJs und Produzenten wie I-F aus Den Haag oder DJ Hell aus München das dunkelromantische Geblubber von Italo Disco gegen die uninspirierte Härte von Techno in Stellung und produzierten Tracks mit Italo-Anklängen. Alte Helden wurden wiederentdeckt und starteten - wie der Florentiner Alexander Robotnick - eine zweite Karriere.

Im vergangenen Jahr aber schlugen die Wogen höher. Junge Musiker produzierten plötzlich Musik, die wie durch einen geheimen Zeittunnel 25 Jahre in die Zukunft geschickt worden zu sein schien. Das Kollektiv um das "Italians do it better"- Label ist nur ein - wenngleich das wichtigste - Beispiel. Die vor allem in den USA wild gefeierte Schwedin Sally Shapiro treibt die Italo-Disco-Analogie noch weiter. Der stets heikle Status von Italo, seine Nähe zum lieblichen Abgrund, wird schon in dem Titel ihres Albums deutlich: "Disco Romance". Mit noch hellerer Stimme als die Sängerinnen der Chromatics oder von Glass Candy trällert sie Geschichten vom nächtlichen Liebesglück über eingängige Bassläufe in Moll.

Und auch bei Rodion, dem Italo-Projekt des Römers Edoardo Cianfanelli ist die Romantik gezähmt und in den Titel verbannt. Sein vor kurzem Debüt-Album heißt zwar "Romantic Jet Dance". Die Betonung liegt aber deutlich auf Dance. Rodion arbeitet am anderen Ende der Italo-Disco-Scala, nicht an der Schnittstelle zum Kuschelpop, sondern an der zu House und Electro. Stimmen tauchen hier nur noch zu Soundspuren verfremdet auf und flüstern nicht mehr von der Nachtigall.

Nächtelange Tanzexzesse

Und doch schafft es auch Rodion, das für Italo typische Risiko in seine Musik einzubauen, sie auf dem schmalen Grat des sicheren Geschmacks balancieren zu lassen. Er macht das mit schrägen Melodien, die er voller Hingabe in quietschende Analog-Synthesizer greift. Das klingt oft so, als hätte ein Zirkus seine Kapelle durch einen verrückten Keyboard-Spieler ersetzt: lustig, überdreht und melancholisch-nostalgisch zugleich.

Trotz aller Leichtigkeit ist Italo Disco jedoch ein entschieden strategisches Projekt - und als solches Bestandteil einer größeren Bewegung, die schon seit einigen Jahren im Gange ist. Es geht um nichts Geringeres als um die Frage, wie die Nacht nun zu verbringen ist.

In Europa und zum Teil auch in den USA hat sich in vielen Clubs die Musik der 90er Jahre festgesetzt: Techno, meist in der minimalistischen, extrem monotonen Variante, die zum nächtelangen Tanzexzess auffordert. Mancherorts ist diese spartanische Musik gar zum Dogma erstarrt. Das freilich regt zum Widerspruch an. Es gibt immer mehr Pop/Dance-Hybride, die den Club erobern.

Die Wiederentdeckung alter, zum Teil vergessener Tanzmusikstile wie Disco, Disco-Punk oder No Wave in den letzten Jahren war nur deshalb so erfolgreich, weil auf diese Weise die Clubgänger zur lange vermissten Abwechslung tanzen konnten. Italo-Disco eignet sich deshalb so gut als Einsatz in diesem strategischen Spiel, weil diese Musik mit ihrer exaltierten Ästhetik, mit ihrem stets riskanten Spiel mit dem kitschigen Tabu so ziemlich das genaue Gegenteil zum schnörkellosen Klopfen von Minimaltechno ist.

DIVERSE: After Dark. Italians Do It Better, 2007. CHROMATICS: Night Drive. Italians Do It Better, 2007. GLASS CANDY: Beat Box. Italians Do It Better, 2007. SALLY SHAPIRO: Disco Romance. Klein Records, 2007. RODION: Romantic Jet Dance. Gomma Records, 2007.

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