Club Unterfahrt:Rhythmus-Störung

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Die Unterfahrt ist einer der bedeutendsten Jazzclubs in Europa. Jetzt hängt der Haussegen schief, und hinter den Kulissen tobt ein Machtkampf

Von Oliver Hochkeppel

Man gewöhnt sich gerne daran, wenn etwas anscheinend reibungslos läuft. Zum Beispiel der Münchner Jazzclub Unterfahrt. Auszeichnungen vom Musikpreis der Landeshauptstadt bis zum "Jazz Echo" hat der Club in den vergangenen Jahren eingesammelt. Die amerikanische Branchen-Bibel"Downbeat" nahm ihn in die Liste der "100 great Jazz Clubs" auf. Und die Fachwelt ist sich einig, dass das Programm der Unterfahrt zu den fünf besten in Europa zählt. Parallel dazu stieg die Mitgliederzahl des Fördervereins für Jazz und Malerei als Träger der Unterfahrt von 500 Ende der Neunzigerjahre auf heute mehr als 1200.

Viel zu tun mit der nach außen bruch- und geräuschlosen Erfolgsgeschichte hatte die Kontinuität in der Leitung. Mit kurzen Unterbrechungen und Rollenwechseln bestimmte fast ein Vierteljahrhundert lang ein Duo ganz wesentlich die Geschicke des Jazzclubs: Michael Stückl als Vorsitzender des Vereins und Christiane Böhnke-Geisse als künstlerische Leiterin. So konnte man schmunzelnd auf die Anfänge des 1978 gegründeten Clubs zurückblicken, auf den schrägen Treff einiger wildbewegter Hobby-Freejazzer, die sich in einer Eisenbahner-Kneipe am Ende der Kirchenstraße eine kleine Nische neben dem international renommierten "Domicile" und dem Traditionalistentreff "Allotria" eingerichtet hatten. Und man konnte gut vergessen, dass der Club mehrfach und selbst noch nach dem Umzug in das Einstein-Gewölbe 1998 vor dem Aus stand.

Wer im Jazz auf sich hält, ist in der Unterfahrt schon auf der Bühne gestanden. Interne Querelen könnten den Kellerclub an der Einsteinstraße aber leicht in eine Schieflage bringen. (Foto: Florian Peljak)

Doch mit der Kontinuität ist es seit einiger Zeit dahin. Im November 2014 verließ Christiane Böhnke-Geisse den Club, als Nachfolger kam Gábor Simon, der zuvor sechs Jahre lang beim Label ECM beschäftigt war. Doch schon im März 2015 musste er wieder gehen. Mangelnde Erfahrung nannte Michael Stückl damals als Grund. Den seit längerem einzigen Jazzclub in München mit täglichem Programm zu bespielen ist ja eine Quadratur des Kreises: Möglichst alle Facetten, Epochen und Länder des Jazz sind abzudecken, mit internationalen Stars wie mit heimischen Musikern, die auch auf ihre Auftritte pochen. All dies ist aus einer Flut von Bewerbungen herauszufiltern und mit Terminzwängen und Finanzierungsnöten in Einklang zu bringen. "Hätten wir nach Gábors Vorstellungen gebucht, wären wir schnell pleite gewesen", sagte Stückl seinerzeit.

Als dann im Sommer 2015 Fee Schlennstedt die künstlerische Leitung übernahm, galt das allgemein als Idealbesetzung. Sechs Jahre als Programmchefin auf Schloss Elmau hatte sie vorzuweisen, insbesondere bei den Musikern war sie beliebt wie wenige in diesem Job, bei dem man sich zwangsläufig nicht nur Freunde macht. Umso größer war der Schock, als im Oktober vergangenen Jahres auch ihre Kündigung bekanntgegeben wurde. Unter Federführung der Saxofonistin Stephanie Lottermoser stellten Musiker sogar eine Petition für ihren Verbleib ins Internet. Mit Schlennstedts Weggang traten auch der Kassier Thomas Müller, die Schriftführerin Hilary Owers und der Technik-Vorstand Tilmann Zwicker zurück. Nimmt man dazu, dass auch im Büroteam ein reges Kommen und Gehen herrschte, wird klar: Auch in der Unterfahrt menschelt es, hinter den Kulissen tobt schon länger ein Machtkampf.

Schlüsselfigur dabei ist "Mr. Unterfahrt" Michael Stückl, der 1987 zur Finanzierung seines Medizinstudiums als Kellner im alten Laden angefangen hatte und den Verein schon kurz danach vor der Auflösung rettete, indem er Finanzen und Werbung betreute. Schon oft hat er interimsmäßig das Programm gemacht und könnte dies wohl sogar neben seinem Posten als Vorsitzender wieder übernehmen. Über seine Qualifikation dafür bestehen jedenfalls keine Zweifel: Schon als 17-Jähriger organisierte der Oberammergauer, ein Bruder des Volkstheater-Chefs und Passionsspielleiters Christian Stückl, in seinem Heimatort Konzerte. Sein Problem: Er hat bereits einen Fulltime-Job als zentraler Medizincontroller im Bereich Krankenhaus-IT.

Vielleicht hat dieser Controller-Job im Lauf der Zeit auch zu stark abgefärbt. Dass Stückl jede Mail an die Programmplanung gegenliest, Abwesenheitsmeldungen erwartet und sich stets die letzte Entscheidung vorbehält, musste wohl zum Konflikt mit der selbstbewussten und eigenständigen Fee Schlennstedt führen. Dass das von ihr zusammengestellte Programm ausgezeichnet war, gibt auch Stückl zu. Letztlich scheiterte es also an Kleinigkeiten und Befindlichkeiten, die Stückl dann an mangelnder Absprache und einzelnen Versäumnissen festmachte. Schlennstedt wiederum beklagt sich, dass ihre weitreichenden, auch auf die Strukturen zielenden Pläne ebenso abgeblockt wurden wie etwa die Überarbeitung des wenig repräsentativen Programmhefts - natürlich wie die Homepage Domäne des IT-Fachmanns Stückl. Am Schluss war das Verhältnis so zerrüttet, dass Gespräche nur noch in Gegenwart anderer Vorstände und zuletzt mit einer Mediatorin stattfanden.

Im Dezember nahm sich Michael Stückl also unbezahlten Urlaub und stemmte wieder einmal alles selbst, samt einer "Neuorganisation und Programmierung", wie er es nennt. Das Büroteam wurde soeben neu aufgestellt, neben der bewährten Organisatorin Rebekka Paas kümmern sich jetzt Lisa Zettl um die Pressearbeit und Maida Korintelli um die Konzertproduktion. Und das Programm betreut jetzt ein Komitee. Neben Stückl sitzt da der jazzbegeisterte Radiologe Andreas Heuck mit am Tisch, er ist nicht nur langes Unterfahrt-Vereinsmitglied, sondern auch Vorsitzender von MucJazz, der den "Jungen Münchner Jazzpreis" ausrichtet". Und dazu noch ein ganz alter Bekannter: Wolfgang Schmid, der soeben in Stuttgart zum Professor h. c. ernannte Weltklasse-Bassist von Passport, Wolfhound und The Kick, einst schon Mitgründer der Jazzmusiker Initiative München (J. I. M.), firmiert nun im Vereinsimpressum offiziell als Programmleiter. Es ist ein Versuchsballon, der sich bewähren muss. Gegen die Skepsis vieler, die einen erfahrenen hauptamtlichen Booking-Profi für unerlässlich halten. Und auch gegen Ansichten wie die des ehemaligen Vorstandsmitglieds Barbara Heinrich, die generell "zukunftstaugliche Strukturen statt Kopfmonopole" fordert. Man kann nur hoffen, dass sich alle Beteiligten ihrer Verantwortung bewusst sind. Handelt es sich doch bei der Unterfahrt schon lange nicht mehr um eine Spielwiese für persönliche Vorlieben, sondern um ein international bedeutsames Aushängeschild der Musik- und Kulturstadt München.

© SZ vom 02.03.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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