Süddeutsche Zeitung

"Cloud Atlas" im Kino:Urwald von Ideen

Lesezeit: 4 Min.

David Mitchells Bestseller "Cloud Atlas" ist ein literarisches Kaleidoskop, das sich mit einem elementaren Thema beschäftigt - der menschlichen Willenskraft. So etwas ist eigentlich unverfilmbar, doch Tom Tykwer und die Wachowski-Geschwister haben sich dem Stoff gestellt und großes Kino geschaffen.

Susan Vahabzadeh

Ein Mammutprojekt ist "Cloud Atlas" in mehr als einer Hinsicht. Teurer, als deutsches Kino je gewesen ist, hundert Millionen Euro soll der Spaß gekostet haben. Mit großen Stars, von zwei Teams und ihren jeweiligen Regisseuren - den Wachowski-Geschwistern und Tom Tykwer - gleichzeitig gedreht, basierend auf einem internationalen Bestseller. Und vor allem: ein Urwald von Ideen, in dem man manchmal fast die Orientierung verliert.

Aus sechs Geschichten setzt sich "Cloud Atlas" zusammen, die in einem Zeitraum von einem halben Jahrtausend spielen. In jeder stemmt sich der freie Wille gegen das Schicksal, am Ende siegt fast nie das Gute; und die Hoffnung bleibt doch, jedes Mal: Es kommen bessere Zeiten, irgendwann, nur nicht jetzt.

Der Amerikaner Adam Ewing ist im Pazifik unterwegs, Ende 1849; der Komponist Robert Frobisher flieht 1931 vor seinen Gläubigern in die Dienste eines älteren, wohlhabenden Kollegen, der ihn ausbeutet; eine Journalistin recherchiert in einem Energiekonzern; ein Verleger landet in einer Irrenanstalt; in der Zukunft wird eine Duplikantin verhört, die sich in ihr Dasein als Arbeitsbiene nicht fügen wollte und einem fürchterlichen Soylent-Green-Treiben auf die Spur kommt; und weit jenseits unserer Zivilisation lebt in einem Tal in Hawaii ein Stamm von Ackerbau und Viehzucht und erzählt sich von den Alten, die fliegen konnten und Krankheiten heilen und doch alles zerstörten mit ihrer Gier.

Im Roman von David Mitchell sind diese Segmente locker miteinander verknüpft. Ein Muttermal in Form eines Kometen taucht immer wieder auf, und die Geschichten werden weitergereicht: Frobisher liest die Aufzeichnungen von Ewing, dessen Briefe die Journalistin findet; das Wolkenatlas-Sextett, das Frobisher komponiert, ist später eine Schallplattenrarität.

Alles ist verbunden, auch Wirklichkeit und Fiktion: Die Episode, in der eine Journalistin der Vertuschung von Sicherheitsrisiken in einem Atomkraftwerk auf die Schliche kommt, ist ein Roman im Roman, den der Verleger in der nächsten Episode in die Finger bekommt. Aber der Wissenschaftler, der der Journalistin hilft, ist Frobishers Jugendfreund, und der Autor, dessen Name auf dem Deckblatt steht, ist das Kind, um das sie sich in der Geschichte manchmal kümmert.

Ein Großunternehmen

All das zu einem Drehbuch zu verarbeiten - Mitchells Roman hat mehr als 600 Seiten, das meiste braucht man auch für den Fortgang der Geschichte - ist an sich schon ein ambitioniertes Unternehmen, es dann zu verfilmen ein Großunternehmen.

Der Film dauert nun fast drei Stunden. Die noch größere Aufgabe aber ist es, Mittel und Wege zu finden, all das, was ihn ausmacht, in eine Bildsprache zu übersetzen. Mitchell verknüpft ja nicht nur, er hat die Erzählformen vermengt - ein Tagebuch, Briefe, Roman, Interview, inneren Monolog, bis in der fernen Zukunft alles zur Urform des Erzählens zurückkehrt, der oralen Überlieferung - im Kino kann man das nicht, dem Kino ist das alles eins.

Es galt also, etwas zu finden, was gleichwertig einzigartig nur dem Film möglich ist - in "Cloud Atlas" sind das der Schnitt und die Besetzung. Mitchells elf Kapitel wirbelt der Film durcheinander, und das macht es vielleicht etwas schwieriger, sich einzufinden, aber dafür ist der Prozess spannender (bis man das Prinzip des Romans durchblickt, braucht man schließlich auch eine Weile).

Und die Besetzung ist dann ein ziemlich genialer Coup. Nicht, weil Tom Hanks und Halle Berry und Hugh Grant mitspielen, sondern weil sie es - diverse Figuren verkörpernd - in den verschiedenen Zeitebenen tun: Tom Hanks ist ein verbrecherischer Arzt 1849, ein Ziegenhirte in der Zukunft, ein Wissenschaftler, ein Gangster. Auch Berry und Broadbent, Ben Wishaw, Susan Sarandon und Hugh Grant transformieren sich immer wieder, über die Zeit und sogar über ihre Hautfarben hinweg. Die Menschen sind keine Inseln in dieser Geschichte, sondern Teile eines nicht enden wollenden Stroms aus Ideen und Gefühlen, aus Verfehlung und Erkenntnis, aus Genen und Gedanken.

Dass der Schnitt, das Verweben kleiner Episodenschnipsel, dann den Eindruck der Gleichzeitigkeit erweckt, ist eine wunderbare Lösung: Die Geschichte kennt keinen wirklichen Fortschritt in "Cloud Atlas", schon bei Mitchell nicht, sie ist ein sich ewig wiederholender Kampf um Freiheit.

Die Zivilisation bäumt sich auf zu einem hochtechnologisierten, gefühlskalten Superkapitalismus und fällt dann zurück ins Stadium der Jäger und Sammler. Die Menschen sind wieder Buschmänner, die ein fürchterliches Kauderwelsch sprechen und von Neuem herausfinden müssen, dass man seine Nachbarn nicht mit einer Keule erschlagen sollte. Der Höhepunkt menschlicher Zivilisation ist für Mitchell jener, in dem sich ein freier, reicher Mann gegen die Versklavung seiner Mitmenschen auflehnt - 1849.

Das ist ein großartiger Stoff für ein großes Filmepos - und das ist "Cloud Atlas" auch geworden. Aber dieses Epos widersetzt sich dann doch übersichtlichen Erklärungsversuchen. Die Seelenwanderungstheorie, die die Filmemacher propagieren, geht jedenfalls zeitlich nicht auf, es sei denn, dass ihren Figuren die Seelen bisweilen bei lebendigem Leib abhandenkommen - wandelt der vorherige Eigentümer seelenlos auf Erden, oder kriegt die nächste Figur, die dieser Schauspieler übernommen hat, erst mit zwanzig eine Seele?

Es ist aber auch gar nicht nötig, dem Zusammenhang zwischen den Figuren auf den Grund zu gehen. Es geht ums Menschsein, und wenn es eine Seele gibt, etwas Metaphysisches, Unzerstörbares, was uns ausmacht - dann wird es den Code, mit dem man das entschlüsselt, nie geben.

Wir hoffen noch, wo es nichts zu hoffen gibt

Letztlich sind das vielleicht keine bahnbrechenden Erkenntnisse: Dass wir uns selbst zugrunde richten und dass wir noch hoffen, wo es nichts zu hoffen gibt. Und jene wunderschöne These, dass jeder Mensch dann doch für sich zählt, denn "was ist der Ozean, wenn nicht ein Meer von Tropfen?"

Mitchell wollte kein Enigma schaffen, dass wir auseinandernehmen sollen, bis wir den Code entschlüsselt haben. Der Mann unserer Gegenwart in seinem Roman ist der Verleger Cavendish, und der sagt einmal: Examensarbeiten über Postmoderne und Chaostheorie gehören in die Achtzigerjahre des letzten Jahrhunderts.

Cloud Atlas , D 2012 - Regie und Buch: Lana Wachowski, Tom Tykwer, Andy Wachowski. Basierend auf dem Roman von David Mitchell. Kamera: Frank Griebe, John Toll. Mit: Tom Hanks, Halle Berry, Jim Broadbent, Hugo Weaving, Ben Wishaw, Susan Sarandon, Hugh Grant. Warner/ X Verleih, 172 Min.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen für 0,99 € zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.1522321
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.11.2012
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.