Clint Eastwoods "Letters from Iwo Jima":Das wüste Land

Mit seinem neuen Film "Letters from Iwo Jima" hat Clint Eastwood ein beklemmendes Kammerspiel des Pazifikkriegs inszeniert.

Susan Vahabzadeh

Nach den Gesetzen von Hollywood ist Clint Eastwoods "Letters from Iwo Jima" der Film, der nicht hätte sein dürfen. Ein auf japanisch gedrehter Film, der vom Pazifikkrieg erzählt aus der Perspektive der Japaner, das ist ein tollkühnes, unberechenbares Unternehmen für einen amerikanischen Regisseur.

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Die andere Seite: Eastwood zeigt das Schicksal japanischer Soldaten auf Iwo Jima.

(Foto: Foto: dpa)

Der Ansatz, auf der anderen Seite dieselben Emotionen wie bei sich selbst zu finden, klingt simpler, als er es im Kino ist, wo es darum geht, das nicht nur zu behaupten, sondern erfahrbar zu machen - es gibt nicht viele Filme über den Krieg, denen es tatsächlich gelungen ist, die Empfindungen auf den Kopf zu stellen.

Clint Eastwood hat bei der Arbeit an "Flags of Our Fathers", der noch basierte auf dem Buch von John Bradley und Ron Powers, sich mehr und mehr für die Protagonisten der Gegenseite zu interessieren begonnen, den japanischen General Kuribayashi zunächst, der die Insel Iwo Jima verteidigte gegen die amerikanische Übermacht.

Dass dabei, fast nebenbei, ein noch konzentrierterer Film entstehen durfte, hat mit dem Legenden-Status zu tun, den Eastwood inzwischen genießt, sogar bei den Studios - für die Geld nun mal immer noch mehr zählt als cineastischer Ruhm.

Seitenwechsel zum Feind

Eastwood kommt seinen Helden hier noch ein bisschen näher als in "Flags", dem amerikanischen Komplementär-Film - vielleicht, weil er sich diese Nähe nach und nach hat erarbeiten müssen. In den USA traf das keineswegs auf ungeteilten Beifall, der Seitenwechsel fiel schwer, der Anblick der amerikanischen Soldaten in der Rolle des Feindes tat weh.

Aber Eastwood hat sich den Wagemut nicht austreiben lassen, und er wusste seinen Produzenten auf seiner Seite - Steven Spielberg, der selbst viel herumexperimentiert hat mit der Verkehrung von Perspektiven, dem Einfühlen in die Emotionen eines Fremden. Die Intensität von "Letters from Iwo Jima" aber hat er dabei nie erreicht.

Der Film beginnt mit der Ankunft des Generals Kuribayashi (Ken Watanabe) auf der Insel. Er ändert die Verteidigungsstrategie, lässt die sinnlosen Grabungsarbeiten an der Küste einstellen und stattdessen ein Tunnelsystem anlegen, von dem aus die japanischen Truppen Iwo Jima verteidigen sollen. Der junge Soldat Saigo (Kazunari Ninomiya) kreuzt dabei seinen Weg - an diesen beiden Figuren und ihren Begegnungen hangelt sich die Geschichte entlang; die eigentliche Schlacht, auf die es hinausläuft, ist Nebensache, es geht weniger um den Krieg in diesem Film als darum, was er in den Menschen bewirkt. Farblos und kalt wirkt Iwo Jima, eine Toteninsel von Anfang an, Eastwood treibt die Aufnahmen fast ins Schwarzweiß - nur in den Gesichtern, in der kargen Vegetation taucht Farbe auf, in dem, was lebt. Ein totes Stück Land, das die Opfer, die es fordert, nicht wert ist.

Kammerspiel der Hoffnungslosigkeit

Etwa 20 000 Japaner waren auf Iwo Jima stationiert, um die Insel zu verteidigen. Die Truppen, die die Amerikaner schickten, um den Widerstand zu brechen, waren fünfmal so stark. Es gibt viel weniger computergenerierte Bilder hier als in "Flags of Our Fathers", aber eines, das man nicht mehr aus dem Kopf bekommt, zeigt, was Saigo sieht, als er einmal mit dem Latrineneimer aus dem Tunnel gejagt wird von einem Vorgesetzten, sein erstes Tageslicht nach langer Zeit - die ganze Bucht ist voller amerikanischer Schiffe, bis zum Horizont . . .

Ein Offizier verlangt später, dass sich seine Soldaten Granaten an den Bauch drücken und sich selbst in die Luft jagen - sich lieber selbst das Leben nehmen sollen, als sich von den Amerikanern abschlachten zu lassen. Einige tun es, und sie tun es mit der selben Panik in den Augen, mit denen die amerikanischen Soldaten in "Flags" im Kugelhagel sterben.

Ein Kammerspiel der Hoffnungslosigkeit entspinnt sich im Tunnelsystem, es geht nur noch darum, wann man stirbt und wie. Es gibt nicht viel, was einen noch bewegen und treiben kann in so einer Situation - dass einer, bloß weil er Japaner ist, sein Ehrgefühl über seinen Vaterinstinkt stellt, kann Eastwood nicht glauben. Kuribayashi hat das big picture im Kopf, die großen Zusammenhänge - er hat Angst, dass die amerikanischen Truppen bald vor seiner Haustür stehen werden, wenn er nicht alles gibt.

Minimalistischer Ernst

Saigo, der zuhause kein Krieger ist, sondern bloß Bäcker, kann das nicht so sehen, es ist ihm nicht süß und ehrenvoll, fürs Vaterland zu sterben: Es sind die selben Emotionen auf beiden Seiten, auf allen Seiten, sagt Eastwood. Saigo will zu seinem Kind, er hat es versprochen.

Das ist eine der anrührendsten Szenen, ganz am Anfang des Films, wenn sich Saigo zurückerinnert an einen Abend mit seiner hochschwangeren Frau - er ist schon einberufen - und versucht ihr Mut zu machen. Keiner kommt je zurück, sagt sie. Und Saigo beugt sich über ihren Bauch und flüstert: Für dich werde ich zurückkehren. Eine solche Szene drehen, ohne dass sie ihre Würde verliert, ernsthaft und minimalistisch - das kann keiner so gut wie Eastwood.

Natürlich hat er den Irakkrieg gemeint, als er sich der Schlacht um Iwo Jima annahm - eine der umstrittensten Szenen des Films war jene, in der amerikanische Soldaten japanische Deserteure kaltblütig erschießen, und dass er damit den Skandal um Abu Ghraib berührt und eine Reihe schwebender Militärgerichtsverfahren, war Eastwood klar.

Überraschend ist das aber nicht - er hat zwar mit seinen letzten vier Filmen noch einmal an Intensität zugelegt und mit jedem neue Variationen des Erzählens für sich entdeckt, aber das Haudruff-Image, dass ihm mancherorts immer noch anhaftet, hat auf den Filmemacher Eastwood noch nie zugetroffen. Das speist sich nur aus der Vorstellung, Kino sollte die Welt nicht zeigen, wie sie ist, sondern wie sie sein sollte.

Eastwoods Filme sind nicht tröstlich; sie sind unendlich traurig darüber, dass die Welt so ist. Eastwood kommt nicht aus dem linksliberalen Pazifistenspektrum, das ist richtig. Er macht es sich unendlich viel schwerer, vom Krieg zu erzählen, weil er nicht ablehnt oder befürwortet, sondern versucht zu verstehen, wie Menschen ticken - ihnen nicht ein Weltbild überstülpen will, sondern ihres ergründen. Darum ist es wohl so, dass man das Gefühl hat, Eastwood lasse einen an den Weisheiten teilhaben, die zu finden er ein Leben gebraucht hat.

LETTERS FROM IWO JIMA, USA 2006 - Regie: Clint Eastwood. Buch: Iris Yamashita, Paul Haggis. Kamera: Tom Stern. Musik: Kyle Eastwood, Michael Stevens.. Mit: Ken Watanabe, Kazunari Ninomiya, Tsuyoshi Ihara, Ryo Kase. Warner, 141 Minuten.

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