Süddeutsche Zeitung

Clint Eastwood zum 80.:Der Mann, der seine eigene Legende überlebte

Völlerei, Exzess, lange Besprechungen gab es nie bei Clint Eastwood: Der Mann mit der gemeißelten Kinnlinie wird heute 80.

Tobias Kniebe

Reden wir erst einmal nicht über den Oscargewinner für "Unforgiven" und "Million Dollar Baby"; über den Kommandanten der französischen Ehrenlegion; über den großen, späten, "Cinema for Peace"-tauglichen Historien-Clint, der genauso überzeugend in die Kriegshölle des Pazifik eintauchen kann wie zuletzt, mit seiner Nelson-Mandela-Hommage "Invictus", ins Südafrika einer gerade überwundenen Apartheid.

Natürlich würde es an Irrsinn grenzen, diesen weisen alten Mann heute nicht zu verehren, zu feiern und mit Preisen zu überhäufen. Aber in dem Moment, wo Meisterschaft schließlich unübersehbar wird, versteht man oft nicht mehr, worauf sie gründet, wie sie über Jahre und Jahrzehnte erkämpft und errungen und den Umständen abgetrotzt wurde.

Stattdessen sollte man vielleicht zurückgehen in eine dieser bleiernen Zeiten, die es natürlich auch für Clint Eastwood gab. Wie in das Jahr 1983, in die tiefste Reagan-Ära. Da sind die frühen, bis heute geradezu unanständig lässigen Sergio-Leone-Triumphe, als er 1964 auf dem Rücken eines Maultiers in die Filmgeschichte einritt, zum Töten bereit "Für eine Handvoll Dollar" oder "Für ein paar Dollar mehr", längst vorbei.

Oder besser gesagt, sie sind bereits Legende geworden, endlos parodierfähig. "Das ist der Moment, wo es wirklich hart wird", hat Eastwood gesagt. "Weil man all das Zeug aus dem Kopf verbannen muss, damit man überhaupt zur Arbeit gehen kann."

Eastwood hat versucht, aus diesem unzerstörbaren, alles überschattenden Legendenbild das Beste zu machen: Er hat sich, auf halbem Weg zwischen Hollywood und San Francisco, ein gemütliches, von Meer und Golfplätzen umgebenes Nest in Carmel-by-the-Sea eingerichtet; hat seine eigene Firma Malpaso gegründet, eine Gruppe treuer und zuverlässiger Kinohandwerker um sich geschart, fast alle seine Filme auf eigene Rechnung produziert und oft auch selbst Regie geführt, weil es mit den zickigen, ewig unentschlossenen Regiediven des New Hollywood doch nur Probleme gab.

1983 hat sich sein großer Freund und Mentor Don Siegel endgültig aus dem Filmgeschäft zurückgezogen, aber "Dirty Harry", diese ebenfalls längst mythische Figur, die sie 1971 zusammen geschaffen haben, soll und muss jetzt ihren vierten Auftritt haben. Der Achtziger-Jahre-Clint weiß sehr genau, was er dem Publikum schuldig ist. Die Alternative wäre, nach "Every Which Way But Loose" und "Any Which Way You Can" ein drittes Mal mit diesem durchgeknallten Orang-Utan zu drehen, dem er seine beiden größten Kassenerfolge überhaupt verdankt. Sie sind es, wenn man die Inflation herausrechnet, übrigens bis heute.

Das vierte Mal Dirty Harry also, der Film wird "Sudden Impact" heißen. Eastwood führt selbst Regie, und man muss sich das jetzt als restlos vertraute Routine vorstellen. Der große, dunkle Befreiungsschlag "Unforgiven", in dem er mit dem Phantasma vom kaltblütigen, folgenlosen Töten ein für allemal aufräumen wird, liegt noch fast ein Jahrzehnt in der Zukunft.

Ein großes Verachtungs-V

Nach all den Faschismus-Vorwürfen der Vergangenheit ist die Story von "Sudden Impact" jetzt vage feministisch. Eine verstörte junge Frau rächt sich und ihre Schwester nach einer Gruppenvergewaltigung, Harry wird naturgemäß mit ihr sympathisieren. Zunächst aber muss er durch den üblen Schlamassel durch: Eine liberale Richterin maßregelt ihn mit selbstgerechten Worten, dann verhöhnt ihn der freigesprochene Gangster. Die vier schwarzen Halunken, die in der nächsten Szene versuchen, Harrys Stammcafé um die Ecke zu überfallen, sind also extrem schlecht beraten. Drei von ihnen liegen schnell durchlöchert am Boden, der vierte aber nimmt eine Geisel. Harry hebt seinen Revolver, und dieses Bild müssen wir jetzt kurz einfrieren.

Eine tiefstehende Sonne fällt durch die Glasfront des Diners, schräg auf Eastwoods Gesicht. Sie meißelt jede Kontur heraus und betont, wie so viele Wüstensonnen zuvor, die Warze rechts auf seiner Oberlippe. Da ist nichts dem Zufall überlassen, es ist die beste denkbare Beleuchtung überhaupt für dieses Gesicht. Von der Stirn laufen steile Falten auf die schmale Nasenwurzel zu, die harten Linien um den Mund spiegeln diese Bewegung - es ist, als würde das ganze Gesicht von einem großen Verachtungs-X durchschnitten. Die nach oben geschwungenen Augenbrauen und die nach unten geschwungenen, zu den patentierten Schlitzen verengten Augen kreuzen diese Bewegung. Die Kinnlinie wirkt wie aus Stein gemeißelt.

Die entscheidende Feststellung ist hier allerdings, dass man diese Kinnlinie, in nun mehr als fünfzig Jahren des Filmemachens und Fotografiertwerdens, nie anders als gemeißelt gesehen hat. Nicht für einen Durchhänger lang ist sie der Völlerei und Behäbigkeit, kurz dem Genuss des Ruhms, zum Opfer gefallen. Wenn Eastwood ein Sandwich serviert bekommt, deckt er es auf, nimmt Schinken und Käse sorgsam herunter, lässt nur Salat und Truthahnbrust übrig und murmelt entschuldigend: "I'm more the Turkey kinda guy."

Fett, in geistiger, emotionaler oder körperlicher Form, wie überhaupt Exzess, lange Entscheidungswege, ausgelebtes Großkünstlertum, Bandwurmsätze, zu lange Produktionsbesprechungen, endlose Drehtage, zuviele Takes - er hat gelernt, das alles zu meiden wie die Pest.

Was auch eine moralische Entscheidung ist. Clint Eastwood, geboren am 31.Mai 1930 in San Francisco, ist ein Kind der Depressionsära - die Eltern waren Fabrik- und Wanderarbeiter, so gerade über der Armutsgrenze. Die Maximen und Lebensweisheiten, genau wie die Jazzklassiker, die er als wichtige Einflüsse zitiert, stammen alle aus der Zeit vor 1950. Sich einen klaren Reim aufs Leben machen und dann einfach daran festhalten, das war sein Ding.

Wie die Pest

Und je älter und souveräner er wird, je weniger er das Gefühl hat, irgendetwas beweisen zu müssen, desto mehr kommt das in seinen Filmen auch wieder zum Vorschein: seine Musikalität, seine Liebe zum Jazz in "Bird", seiner gefilmten Charlie-Parker-Improvisation; die beinah errötende Zärtlichkeit als Liebhaber, als Vater, als Ersatzvater in "Bridges of Madison County", in "Million Dollar Baby", ja sogar in dem komisch bärbeißigen "Gran Torino"; und die mit jedem Jahr noch zunehmende Unbestechlichkeit, mit der er auf das ewige menschliche Drama blickt, zum Beispiel im bemerkenswerten amerikanisch-japanischen Zwillings-Filmprojekt über den Zweiten Weltkrieg, "Flags of Our Fathers" und "Letters from Iwo Jima".

Ein Ende ist nicht abzusehen - müsste man den amerikanischen Regisseur benennen, mit dessen nächsten Werken man die allergrößten Hoffnungen verbindet - sein Name stünde an erster Stelle.

Aber zurück zu Dirty Harry. Wie er so zielt und grimmig schaut, wird der ganze vordere Teil des Bildes von seiner mächtigen Waffe eingenommen, einem Smith & Wesson Revolver .44 Magnum. Etwas ist allerdings seltsam irreal daran, und man braucht eine Weile, bis man merkt, was es ist. Eastwoods graugrüne Augen und sein Gesicht sind völlig scharf, aber die Mündung der Waffe ist es auch. Die Hand dazwischen ist aber unscharf. Das geht fotografisch gar nicht. Und tatsächlich: Da hat der alte Fuchs doch wirklich von seinem Kameramann Bruce Surtees eine komplizierte Speziallinse vors Objektiv setzen lassen, den sogenannten "Split Diopter", der es ermöglicht, zwei Punkte in ganz unterschiedlicher Entfernung von der Kamera scharfzustellen.

Nichts ist doch härter als die tägliche perfektionierte, endlos disziplinierte Arbeit am eigenen Handwerk. Das, was einem eh schon keiner mehr nachmacht, noch mal einen Tick besser hinzukriegen. Die Oscars, die Lebenswerkpreise, die Elogen all jener, die es immer schon gewusst haben wollen - die kommen dann später irgendwann von selbst. Als Glück, Fügung, Beigabe. Lassen wir das Bild also weiterlaufen.

Welchen Spruch könnte Dirty Harry jetzt sagen, den er in den Dirty-Harry-Filmen zuvor nicht auch schon gesagt hätte? Er sagt: "Go ahead. Make my day."

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Quelle:
SZ vom 31.05.2010/rus
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