Uraufführung von Clemens J. Setz:Gestorben wird nicht mehr

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Medienhype um ein totes Kind: Mutter Renate (Therese Dörr, rechts und als Videoprojektion) hält ihren Sohn digital-medial am Leben. (Foto: Björn Klein)

Das Schauspiel Stuttgart zeigt "Der Triumph der Waldrebe in Europa", das neue Stück von Büchner-Preisträger Clemens J. Setz. Darin geht es um Eltern, die ihr totes Kind im Internet weiterleben lassen.

Von Christine Dössel

Medienhype um ein totes Kind: Mutter Renate (Therese Dörr, rechts und als Videoprojektion) hält ihren Sohn digital-medial am Leben. (Foto: Björn Klein)

Ein Junge ist gestorben. David Herzer war acht, als er bei einem Autounfall ums Leben kam. Jetzt ist er elf. Nicht, dass David nicht tatsächlich tot wäre. Aber seine Eltern akzeptieren das nicht. Renate und Konrad Herzer halten den Jungen mit Hilfe digitaler Medien am Leben, kommunizieren via Tablet, Kamera und Computer mit ihm - und für ihn, also an seiner Stelle. Sie nennen es Elternliebe und berufen sich auf das Menschenrecht. Vor allem Mutter Renate betreibt die virtuell-mediale Existenz ihres Sohnes mit unermüdlicher, oder man muss wohl eher sagen: total ermüdender Einsatzkraft. Sie tut das über einen Blog, auf dem sie die Öffentlichkeit an ihrem Familienleben teilhaben lässt, und gibt ein Interview nach dem anderen. Darin erklärt sie, dass ihr Sohn seit dem Unfall einfach eine "extreme Form von Demenz" habe, also nichts als eine kognitive Einschränkung, "bei der wir ihm jetzt eben helfen". Andere Eltern behinderter Kinder täten dies ja auch.

In den sozialen Medien geht die Post ab. Die einen sind für, die anderen gegen Davids Existenz und die Forderung der Mutter, ihn am Unterricht teilnehmen zu lassen. Täglich Kommentare, Hassbriefe, Morddrohungen. Ein Tim muss sich bei seinen Followern auf Youtube entschuldigen, weil er in seinem David-Video verletzende Worte gewählt hat. Ein Xaver rappt für David einen Emo-Song à la Xavier Naidoo und beendet sein Whatsapp-Video mit Brudergeste und Faust auf der Brust: "Für dich, David. Geh dein' Weg." Das Ganze ist ein hypertrophes Medienphänomen.

Werden wir im Metaverse ewig fortbestehen?

Eigentlich ein hoch spannendes Thema, das Clemens J. Setz da in seinem neuen Stück mit dem kryptischen Titel "Der Triumph der Waldrebe in Europa" angeht. Welche Rolle spielt der Tod in einer zunehmend digitalisierten Welt, in der mittels Avatare und künstlicher Intelligenz längst ein Weiterleben oder Andersexistieren möglich ist? Wie ist das mit dem Sterben und Trauern im Internet, das bekanntlich nichts vergisst? Werden wir im Metaverse ewig fortbestehen? Es gibt Leute, die die Social-Media-Profile ihrer Verwandten weiterbetreiben. Wer bestimmt, wann jemand tot ist? Fragen dieser Art gibt einem der Österreicher Setz, Träger des Georg-Büchner-Preises 2021 und generell ein kluger Kopf, zuhauf mit auf den Weg. Er selber aber drückt sich in seinem erstaunlich eindimensionalen Text drumrum. Die Beschreibung dessen, was die Eltern tun und wie die Medien, die Lehrer und diverse Internetplayer darauf reagieren, ist schon das Stück. Tiefer geht es nicht. Der Tod, den die Eltern nicht wahrhaben wollen, ist als dunkle Größe auch für Setz kein Thema. Es fehlt sein Stachel.

Gardineneinblick in ein Gespensterhaus: Für Renate (Therese Dörr) existiert ihr Sohn im Rollstuhl weiter und kommuniziert mittels Kamera und Tablet. (Foto: Björn Klein)

Bei der Uraufführung am Schauspiel Stuttgart, im dortigen Kammertheater, geht auch der Regisseur Nick Hartnagel weder in den Schmerz noch zieht er weitere hilfreiche Ebenen ein. Er geht als User mit seiner eigenen Handschrift über das Stück, die für sich genommen durchaus bemerkenswert ist - interessanter Look! -, hier aber unpassend wirkt. Hartnagel setzt einen optisch seltsam hippiesken und atmosphärisch arg betulichen Social-Media-Karneval in Gang - mit wie für eine Party auf Ibiza kostümierten Fernsehleuten, Influencern und Youtube-Kanalarbeitern (Camille Dombrowsky, Jannik Mühlenweg, David Müller und Elias Krischke). Zu ihren hell gefärbten Pilzkopf-Frisuren tragen sie Patchwork- und Batikkleidung, entworfen von Tine Becker. Therese Dörr spielt im Kontrast dazu in einem Büßerkleid die strenge, ernste Mutter, die mit ihrer resoluten Art der Verdrängung regelrecht ein Business betreibt. Ihrem Mann gegenüber (Gábor Biedermann) hat sie ein eigenes Simulationsterrorregime errichtet. Hier sind Momente, wo es kurz mal spannend zu werden verspricht.

Alle sind ständig mit Mikro, Kamera, Laptop zugange. Die Bilder und Videos werden auf eine Holzverkleidung projiziert, die geschachtelt über der Bühne hängt, eine Art furnierte Internet-Benutzeroberfläche. An diesem Holzkasten hängen weiße, durchlässige Gardinen, deren Anordnung Wänden entspricht. Als Gesamtgebilde stellt diese originelle Bühne von Yassu Yabara das Haus der Herzers dar. Alles, was darin vor sich geht, ist einsehbar, den Blicken freigegeben. Nur bewirkt das, was da vorgeht, zunehmend Langeweile. Setz' Dialoge bleiben viel zu sehr im Alltags-und Internetbanalen stecken, werden ausgewalzt statt zugespitzt und auch von der Regie nicht forciert. Es gibt keine emotionalen Andockstellen. David, das tote Kind, ist auf der Bühne als Rollstuhl zugegen, mit einer auf den Sitz montierten Kamera und einem iPad. Eine Leerstelle, die niemand füllt.

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