Claus Peymann wird 80:"Er nennt es Leidenschaft"

Claus Peymann wird 80

Claus Peymann wird 80

(Foto: dpa)

Claus Peymann wird 80 Jahre alt. Freunde, Kollegen, Weggefährten gratulieren dem Ausnahmeregisseur.

Zusammenstellung: Susanne Schneider und Florian Zinnecker.

Claus Peymann geht an niemandem spurlos vorüber. Seine Inszenierungen, seine Skandale, seine Ausfälle haben Theatergeschichte geschrieben. Zum 80. Geburtstag erinnern sich Kollegen und Zeitgenossen an den Regisseur.

Im Sommer trug er dicken Pulli und Wollschal, im Winter dafür nur das bloße Hemd - das war c-pey aus der Klasse 12 s/a des Bremer Hermann-Böse-Gymnasiums. Wir gehörten in den Fünfzigerjahren zur selben Clique und arbeiteten bei der Schülerzeitung Elefant, Peymann schrieb unter dem Namen c-pey. Er fiel mit beißenden Sprüchen auf. Einmal spazierten wir mit Händen in den Hosentaschen über den Pausenflur, die Aufsicht raunzte: "Daumen raus!" c-pey darauf: "Herr Dr. Ringewitz, ich schreibe einen Roman über die Schule, und Sie kommen darin vor!" Im Sommer 1956 sind wir nach Holland getrampt, um uns Rembrandts "Nachtwache" anzusehen. Auf dem Rückweg hatten wir keinen Pfennig mehr und schliefen im Freien. Am nächsten Morgen nahm uns hinter Arnheim ein alter VW Käfer mit. Ich schlief sofort ein, c-pey quatschte ununterbrochen mit dem Fahrer. Als wir in Düsseldorf abgeladen wurden, sagte Peymann: "Meensch, Harald, das war Heinrich Böll."

Harald Weinacht wurde Pastor in Bremen und hat Peymann nie mehr getroffen.

Tagsüber saßen wir zusammen im Oberseminar "Faust II", nachts versuchten wir, die Wächter zu bestechen, damit wir im Auditorium Maximum proben konnten. Zehn Jahre studierten wir immer weniger und spielten immer mehr Theater. Wir nannten uns "studiobühne an der universität hamburg", Kleinschreibung war uns wichtig. Einmal kaufte Peymann nach einer durchfeierten Nacht auf dem Fischmarkt ein lebendes Huhn und verkündete, sich mit ihm die Wohnung zu teilen. Nach einer Woche brachte er es heimlich zurück, es pickte dauernd seine Bibliothek an. Er hatte die feste Absicht, irgendwann das Hamburger Schauspielhaus zu übernehmen. Wir haben gelacht, er zwirbelte an seinem Schnurrbart und sagte: "Ihr werdet das alle noch erleben."

Horst-Dieter Ebert gehörte zu Peymanns Studiobühne, einer der besten des Landes. Später wurde er unter anderem Kulturredakteur des "Spiegel".

Ilse Ensslin hat niemals an Peymann geschrieben, um Geld für eine Zahnbehandlung ihrer Tochter Gudrun zu sammeln. Im Brief von Ilse Ensslin an Peymann ging es ausschließlich um die Zahnbehandlung von Jan Carl Raspe, der in Westdeutschland keine Angehörigen hatte. Die Zahnbehandlung von Jan Carl Raspe hat Dr. Maurer, der Zahnarzt der Familie Ensslin, übernommen. Die Quittung dafür war, dass Dr. Maurer auf seinem Tennisplatz nicht mehr spielen durfte.

Christiane Ensslin, Schwester von Gudrun Ensslin. Peymann hatte 1977 als Intendant des Stuttgarter Theaters einen Brief der Mutter der RAF-Terroristin Gudrun Ensslin ausgehängt. Er spendete 100 Mark, wurde als Sympathisant beschimpft. Viele forderten seine Entlassung. Peymann blieb.

1986, bevor Peymann ans Wiener Burgtheater ging, fragte er Autoren, deren Werke unter seiner Intendanz in Bochum uraufgeführt wurden, ob sie ihm zum Abschied etwas schreiben würden. Thomas Bernhard war der Erste, der etwas schickte. Ich machte den Umschlag auf, las, dass im ersten Akt ständig Peymann und ich vorkamen. Ich war nicht glücklich über dieses "Fräulein Schneider", Peymann fand sich und das Stück großartig. Am letzten Tag seiner Intendanz wurde ab elf Uhr auf allen Bühnen gespielt, zum Schluss Bernhards Dramolett "Claus Peymann verläßt Bochum und geht als Burgtheaterdirektor nach Wien", Peymann inszenierte natürlich selbst. Er wurde von Martin Schwab, ich von Kirsten Dene gespielt. Kurz vor der Premiere schickte mich Peymann nach Hause, ich sollte genau die Kleider anziehen, die Kirsten Dene trug (wie immer Jeans, Hemd, Pullover), er hatte natürlich schon sein weißes Sakko und eine seiner schwarzen Leinenhosen an, genauso sah Martin Schwabs Bühnenkostüm aus. Am Ende, als das Licht ausging, zog Peymann mich erbarmungslos auf die dunkle Bühne. Das Licht ging an, und da standen die beiden Originale. Jubel brach los. Kirsten und Martin kamen dazu. Der Zuschauerraum tobte. Es war ein großer Moment der Zugehörigkeit. Ich verstand plötzlich, warum man sich dem Theater mit einer Ausschließlichkeit, Radikalität und Hingabe verschreibt. Peymann verlangt das bis heute von seinen Mitarbeitern, entzieht man sich dem, kann er unangenehm und ungerecht werden, verlässt man ihn, wird man verflucht. Er nennt es Leidenschaft.

Christiane Schneider, Leiterin des Suhrkamp Theater Verlages, war 18 Jahre lang enge Mitarbeiterin Claus Peymanns.

"Bernhard war der Einzige, der ihn im Griff hatte"

Der Interviewer André Müller hatte mich als Fotograf engagiert, und ich hab ihm gleich gesagt: "Den Peymann musst du machen!" Das war im Frühjahr 1988. Müller hatte eine eigenwillige Interviewtechnik, fing an zu blödeln, bis seine Interviewpartner Sätze sagten, die sie später bereuten. Peymann sagte Sachen wie: "Schauspieler sind oft sehr dumm." Und er schoss gegen andere Regisseure: Heiner Müller sei ein Maulheld der Revolution. Später hat mir Thomas Bernhard erzählt: Peymann hat das Interview, bevor es in der Zeit erschien, zum Durchlesen bekommen und ihn gefragt: "Soll ich das veröffentlichen?" Bernhard hat gesagt: "Das müssen Sie, es ist das beste Interview, das Sie je gemacht haben." Bernhard hat gewusst, dass die österreichischen Medien auf so einen Knall gewartet haben. Aber der Bernhard war der Einzige, der ihn so im Griff hatte, dass er sich nichts getraut hat.

Sepp Dreissinger begleitete Thomas Bernhard lange Jahre als Fotograf. Er lernte Peymann auf der Rückfahrt von einer Probe kennen.

November 1988, die Uraufführung von "Heldenplatz" von Thomas Bernhard. Schon Wochen vorher sickerten Sätze durch wie "Alle Österreicher sind Nazis". Vor der Premiere wurde ein Misthaufen vor der Burg abgelagert, Peymann wurde auf der Straße angespuckt. Die Öffentlichkeit forderte eine Absetzung des Stückes sowie seinen Rauswurf. Ich habe seinen Vertrag verlängert. Peymann war sich der Situation bewusst, hat es aber genossen, wochenlang auf Seite 1 der Zeitungen zu stehen. Viele Künstler gaben eine Solidaritätserklärung ab. Bernhard und Peymann haben mit "Heldenplatz" entscheidend zur Aufarbeitung der Rolle Österreichs in der Nazizeit beigetragen. Unbedingt möchte ich noch erwähnen, dass Peymann das Burgtheater geöffnet hat. Die Abonnenten aus den bürgerlichen Bezirken, die "Lodenmantelträger" und "Nerzjackerldamen" blieben der Burg treu, aber zusätzlich füllten die Jugendlichen in Jeans den 3. Rang. Heute wird Peymann, wenn er in Wien ist, freundlichst angesprochen.

Dr. Hilde Hawlicek war von 1987 bis 1990 österreichische Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Sport.

Peymann und ich trafen 1995 auf dem Parkplatz des Wiener Burgtheaters aufeinander. Ich parkte meinen Jaguar, wollte zur Probe von Schillers "Räubern", als er, der nie einen Führerschein besaß, von einem Fahrer gebracht wurde. Er betrachtete mein Auto. Ich: "Das Auto hört auf meine Stimme." Peymann ungläubig. Ich: "Ich beweise es Ihnen. Licht an, Licht aus, Kofferraum auf, Kofferraum zu." Bei jedem Befehl drückte ich in der Hosentasche auf den Knopf der Fernbedienung. Peymann darauf: "Jetzt probiere ich das mal: Licht an. Licht aus." Ich drückte wieder auf die Knöpfe. Peymann: "Ich habe Ihre Stimme nachgemacht. Und dann wundern sich alle, dass so viele Autos gestohlen werden."

Ich glaube, ein luzider Mensch wie er ist überzeugt, die Welt konnte nur entstehen, weil er beim Urknall "Los" gesagt hat.

Matthias Hartmann führte in der Ära Peymann Regie an der Burg. Von 2009 bis 2014 war er selbst Intendant des Theaters.

Während meiner Proben zu "Richard II." vor 17 Jahren erzählte mir der Regieassistent Philip Tiedemann folgende, für CP so typische Geschichte: Er probte am Burgtheater das Handke-Stück "Die Fahrt im Einbaum", in dem die Regieanweisung stand: "Ein Huhn überquert rückwärts die Bühne." Darauf CP in seinem Duktus: "Äh ... hm, Tiedemann! Äh, wir brauchen ein rückwärts gehendes Huhn!" Tiedemann gab zu bedenken, dass ein Huhn das nicht bewerkstellige, er habe recherchiert. CP: "Äh, Blödsinn", er habe schon unzähligen Tieren alles Mögliche beigebracht, und Rückwärtsgehen sei eine der leichtesten Übungen. "Äh, wir brauchen einen, äh, Tiermagier, hmmm, einen Hühnerflüsterer, vom Zirkus. Morgen ist das Huhn mit Trainer hier auf der Probe!" Am nächsten Tag kam Tiedemann mit leeren Händen, worauf, nach einem Tobsuchtsanfall CPs, die Proben für zwei Tage unterbrochen wurden, und er schrie, er werde sich der Angelegenheit persönlich widmen. Bei der Premiere stolzierte ein lebendiges österreichisches Huhn scheinbar rückwärts über die Bühne.

Allerdings war es etwas größer als ein richtiges Huhn, sein Hinterteil war mit einem täuschend echten Hühnerkopf, der Kopf mit einem ebenso realistischen Hühnerhinterteil verkleidet. Es trug Hühnerkrallenschuhe, die in die verkehrte Richtung zeigten. Das Huhn bekam einen zweiminütigen Szenenapplaus. Handke sagte später, die Anweisung war nur eine Metapher, niemals hätte er verlangt, dass sie wörtlich genommen würde.

Michael Maertens spielt seit 17 Jahren Richard II. am Berliner Ensemble wie auch am Burgtheater. Regie: Claus Peymann.

"Ich möcht' mich einmal mit mir selbst zusammenhetzen, nur um zu sehen, wer der Stärkere ist, ich oder ich." - Diese Weltformel des österreichischen Weltkomödianten Johann Nepomuk Nestroy praktiziert der Bremer Claus Peymann unbeirrbar in einem unermüdlichen Selbstversuch, wie ich es, seit wir zusammenarbeiten, bis heute erlebe. Und dieses sein Experiment begann 1974 im theaterseligen Stuttgart. Wer ist der stärkere, wer der wahre Peymann? Der Regisseur oder der Theaterdirektor? Der Literaturliebhaber oder der Spielmacher? Der rigorose Arbeitsfanatiker oder der melancholische Genussmensch? Ist es der Profi für Schlagzeilen, oder der politisch Nachdenkliche mit historischem Bewusstsein? Enthusiasmierender Ensemblehäuptling oder bewusster Einzelgänger? Ist er penibel korrekter Sparmeister oder großzügiger Investor in Fantasie? Der instinktsichere Theaterpraktiker oder der verspielte Theaterzauberer? Als Theaterzerstörer verteufelt und als Theaterretter dringend gewünscht. Als Publikumsbeschimpfer verdächtigt, als Publikumsfreund gefeiert!

Begabt vermag er, in jedes Fettnäpfchen zu treten, aber ohne Gedöns freundlich hilfsbereit zu sein. Was ist nun das Geheimnis dieses Claus Peymann? Sein Januskopf hat viele Gesichter, weil er alles zugleich sein möchte. Und tatsächlich zugleich ist! Vielleicht schöpft er gerade aus dieser paradoxen Ambivalenz seine Kraft, all die Prügel der Kritiker, Theaterpolizisten und Besserwisser auszuhalten. Ihn kann man nicht fertigmachen. Auch nicht in Berlin! Und Niederlagen beflügeln ihn stets neu - selbst wenn er außen herumgehen muss. Sein Alter Ego in Thomas Bernhards "Theatermacher" verkündet fröhlich "Lebenslängliche Theaterkerkerhaft ohne die geringste Begnadigungsmöglichkeit. Und doch niemals aufgegeben!" So ist es: Peymann hat im wahrsten Sinn des Wortes niemals aufgegeben. Er wird auch nie aufgeben! Er kann nicht. Und das ist gut so! Glückwunsch! Natürlich.

Hermann Beil ist seit 1974 Dramaturg, Chefdramaturg und Co-Direktor bei Claus Peymann. Sie siezen sich bis heute.

Mitarbeit: Anna Petersen

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