Lesung mit Claus Peymann:Menschenhass, leicht gekürzt

Lesung mit Claus Peymann: Der Theaterregisseur und Intendant Claus Peymann im Renaissance-Theater.

Der Theaterregisseur und Intendant Claus Peymann im Renaissance-Theater.

(Foto: Jens Kalaene/dpa)

Der große Regisseur Claus Peymann liest Texte des großen Schriftstellers Thomas Bernhard. Allerdings in Berlin, wo man von Liebe nichts versteht.

Von Johanna Adorján

Ein bisschen merkwürdig ist es schon, dass einem Theaterabend, in dem Claus Peymann Thomas Bernhard liest, nicht die Bude eingerannt wird, wo doch die allgemeine Verehrung des Schriftstellers Bernhard immer weiter fortschreitet und Regisseur Peymann ja nun derjenige ist, der Bernhard mehr oder weniger im Alleingang für das Theater durchgesetzt hat, in einer Zeit, in der das Theater noch Skandale verursachte, zumal in Österreich, wo die beiden zusammen in den Siebziger- und Achtzigerjahren mehrere mittelschwere Erdbeben auslösten. Aber das Renaissance-Theater, in dem Peymann an zwei aufeinanderfolgenden Abenden aus Bernhard-Werken las, befindet sich eben in Berlin, und da versteht man von Liebe nichts. Was man in Berlin außerdem nicht versteht, ist eine gewisse, sehr unterhaltsame Form der Großspurigkeit. In einer Stadt, in der Erwachsene selbst an verkehrsfreien Tagen minutenlang brav an einer roten Fußgängerampel warten würden, beargwöhnt man natürlich Menschen mit charmant ausgeprägtem Größenwahn.

Am ersten Abend las Peymann in einem roten Ohrensessel, der einst George Tabori gehörte, aus "Holzfällen". Es soll ein Fest gewesen sein, von teils stehenden Ovationen war zu lesen. Der zweite Abend, es war der Freitag, fiel vergleichsweise ruhig aus, was aber auch daran gelegen haben mag, dass Teile des Publikums bereits am Vorabend da waren. Es war ein älteres Publikum, man war am zweiten Abend vielleicht ein bisschen ermüdet. Auch Peymann ist nicht mehr der Allerjüngste, wie er selbst gleich eingangs bemerkte. Von warmem Applaus empfangen, trat er auf, ganz in Schwarz, die Mao-Jacke bis oben zugeknöpft, und gab erstmal lässig am Bühnenrand stehend den Conferencier.

Am Vorabend sei er voller Zweifel gewesen. "Es war schließlich mein erster Auftritt als 85-jähriger." An dieser Stelle gab es Applaus, denn am 7. Juni hatte Claus Peymann Geburtstag. Heute jedoch komme er optimistisch. Dies könne sogar zu einer Schwierigkeit führen, nämlich Eitelkeit. Das Publikum lachte, und der Theaterdirektor, der er zwar faktisch nicht mehr ist, in Wahrheit aber natürlich für immer bleiben wird, kündigte an, wie der Abend verlaufen werde. Eine Stunde werde er nun lesen, dann gäbe es eine Pause. Und danach nochmals 47 Minuten. Wer müde sei, könne ein Nickerchen machen oder gehen, "aber Vorsicht" - kurze, listige Pause -, "der beste Text ist der erste nach der Pause."

Dann setzte er sich in einen schwarzen Korbstuhl, aus dem er immer wieder mal aufstand, um eine Passage andeutungsweise vorzuspielen, und las das gesamte (schmale) Buch "Meine Preise" von Thomas Bernhard (Suhrkamp). Es erschien erst nach dessen Tod, weshalb nicht sicher geklärt ist, ob oder wie er es genau veröffentlich haben wollte. Für diesen Abend hatte die Dramaturgin Jutta Ferbers, Peymanns Lebensgefährtin, es interessant gekürzt.

Der schönste Moment ist, wie immer am Theater, eine kleine Panne

Ihrer Strichfassung fielen viele der für Bernhard typischen Wiederholungen und Verschachtelungen zum Opfer, was den Text effizienter auf Pointen zielen ließ, aber insgesamt auch den Sound veränderte. Was Peymann vorlas, klang eigentlich gar nicht so sehr nach Bernhard. Das Eigentümliche war den Texten ausgetrieben, dieser kaum von der Stelle kommende, hinreißend griesgrämig sich gerecht nach allen Seiten ausbreitende Menschenhass. Was blieb, war herrlich genug: rasend komische Geschichten über, eben, die Preise, die Bernhard gewonnen hat, vom Grillparzer- bis zum Büchnerpreis, was ihn, mit einer Ausnahme, seinem ersten, dem Julius-Campe-Preis (1963), niemals freute, weil er den ganzen mit den Ehrungen zusammenhängenden Zirkus natürlich verabscheute, allen voran die sich für honorig haltenden Wichtigtuer, die sich mit dem Preisträger schmücken wollten. Er hasste wirklich alles an Preisen - bis auf einen Aspekt: das Preisgeld.

Von purem, unverstelltem Materialismus geleitet, fuhr Bernhard also, wie er selbst fröhlich bekennt, zu den Preisverleihungen, dachte sich dämliche Dankesreden aus (er fand, im Grunde täte es ein einfaches "Danke"), ließ Horsd'œuvres mit Politikern über sich ergehen - um dann endlich mit der jeweiligen Preissumme wieder nach Hause zu fahren und sich davon zum Beispiel einen alten Bauernhof zu kaufen.

Peymann, der außerhalb von Theatern heute immer noch durch vollmundige Interviews für Erregung zu sorgen vermag, las vor, als hätte er sein Leben lang nichts anderes gemacht, als Hörspiele für Kinder aufzunehmen. Wahnsinnig nett, mit Betonungen und perfekt eingesetzten Pausen. Er klang dabei nicht wie Bernhard, der seine eigenen Texte selbst eher monoton vorgetragen hatte, was die Hinterlist, manche würden vielleicht sagen Hinterfotzigkeit, auf das Prächtigste enthüllte, sondern viel freundlicher. Harmloser vielleicht. Aber nicht minder komisch. Das Publikum lauschte hingerissen.

Einmal gab es eine kleine Panne, als auf einmal eine Seite Text fehlte und Peymann die betreffende Geschichte vom Anton-Wildgans-Preis dann frei zu Ende nacherzählte, was, wie immer bei Pannen im Theater, eigentlich der schönste (weil freieste) Moment war.

Niemand ging vorzeitig, niemand schlief ein. Und gäbe er weitere Vorstellungen, würden wohl alle, die da waren, wiederkommen.

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