Kulturpolitik:Kunst ist politisch

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Noch sind die ersten 100 Tage seit Amtsantritt nicht vorbei, aber ein grundsätzlich anderes Verständnis von Kunst und Kultur wird schon deutlich. Claudia Roth, Staatsministerin für Kunst und Kultur, bei einer virtuellen Parteiveranstaltung. (Foto: Michael Sohn/AP)

Erstmals fährt eine Kulturstaatsministerin zur Sicherheitskonferenz. Was will Claudia Roth dort?

Von Jörg Häntzschel

An diesem Samstag wird Kulturstaatsministerin Claudia Roth die Münchner Sicherheitskonferenz besuchen. Es ist das erste Mal, dass eine deutsche Kulturpolitikerin an der Konferenz teilnimmt. Aber was noch mehr aufhorchen lässt, ist der knappe Satz, mit dem sie ihre Teilnahme begründet: "Kulturpolitik ist Sicherheitspolitik."

Abgesehen von etlichen "bilateralen Gesprächen" will Roth in München im Literaturhaus mit der belarussischen Bürgerrechtlerin und ehemaligen Präsidentschaftskandidatin Swetlana Tichanowskaja und dem belarussischen Schriftsteller Sasha Filipenko diskutieren - "über die Rolle von freier Kunst und Kultur, von Literatur, von Feminismus in und für Belarus".

Und als bedürfe es noch eines weiteren Hinweises, dass Roth hier nicht vorhat, unter lauter Außenpolitik- und Verteidigungsexperten und -innen die Kulturdame zu spielen, schreibt sie: "Die Menschen in Belarus haben meine volle Solidarität. Ich unterstütze ihren Wunsch nach Neuwahlen, Demokratie, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit und fordere die bedingungslose Freilassung aller politischen Gefangenen."

Hat man solche Worte je von Roths Vorgängerin Monika Grütters gehört? Nein. Grütters saß auch nie auf einem Panel mit Dissidenten. Dazu passt, dass Roth in den nächsten Wochen ein "Artists at Risk" betiteltes Hilfsprogramm für politisch verfolgte Journalisten, Schriftsteller und Künstler vorstellen will.

Kunst ist für Roth auch dann politisch, wenn die Künstler nichts ins Gefängnis kommen

In drei Wochen sind die ersten 100 Tage von Roths Amtszeit abgelaufen, aber die wesentlichen Merkmale der neuen deutschen Kulturpolitik zeichnen sich schon jetzt deutlich ab. Zum einen der politische Kulturbegriff der neuen Staatsministerin. Ihre Vorgängerin Monika Grütters, obwohl berühmt für Übergriffigkeit und Expansionswillen, vermied es stets, anderen Ressorts in die Quere zu kommen. Ohnehin verstand Grütters die Kultur als ein Reservat des Schönen, das von der Politik so weit wie möglich abzuschirmen ist, statt mit ihr verschaltet zu werden. Für Roth hingegen, die damit auf der Höhe der Debatte liegt, ist Kunst immer schon politisch, auch wenn die Künstler nicht ins Gefängnis kommen.

Abgeschafft, das ist die zweite Neuerung, ist die strikte Trennung von deutscher und auswärtiger Kulturpolitik. Erst mit dem Beginn der letzten Legislaturperiode hatte Grütters in Michelle Müntefering ein gleichwertiges Pendant im Außenministerium bekommen. Doch die Stärkung der auswärtigen Kulturpolitik, die man sich davon erhoffte, blieb aus, Müntefering war vier Jahre lang kaum sichtbar. Von den Softpower-Initiativen, die sie zu Beginn ihrer Amtszeit ankündigte, und die Deutschland und Europa im internationalen Diskurs eine deutlichere Stimme gegenüber illiberalen Staaten wie der Türkei, Russland und China geben sollten, hat man wenig gehört. Ganz abgesehen davon erwies sich die Trennung von innen und außen als realitätsfern. Sieht man von der Akquise und Verteilung von Fördermillionen für Kulturbauten ab, Grütters' Königsdisziplin, gibt es kaum ein kulturpolitisches Thema, das sich noch "national" verhandeln lässt. Die jüngste Aufregung um angeblich antisemitische Tendenzen unter den Kuratoren der kommenden Documenta Fifteen war dafür ein Beispiel.

Münteferings Nachfolgerin Katja Keul ist zwar weiterhin für die auswärtige Kulturpolitik zuständig, für die Goethe-Institute und für vieles mehr. Doch mit Dissidenten aus Osteuropa spricht jetzt eben Roth. Und in Andreas Görgen hat sie sich aus dem Außenministerium den Mann als rechte Hand ins eigene Haus geholt, der dort unter Müntefering die eigentliche Arbeit machte. Vielleicht hilft es auch, dass Roth und Außenministerin Baerbock Parteifreundinnen sind.

Und schließlich hält mit Roth ein neuer Politikstil Einzug: Der erwähnte Pseudoskandal um die Documenta hätte leicht aus dem Ruder laufen können, die Künstler drohten Schaden zu nehmen. Doch Roth gelang es, die haltlosen Vorwürfe mit ein paar Gesprächen vom Tisch zu räumen. Als ein interner Bericht der Deutschen Welle kürzlich die antisemitischen Äußerungen von Mitarbeitern bestätigte, über die zuvor die SZ berichtet hatte, griff Roth ebenfalls durch. Die Pressemitteilung, die sie dazu verschicken ließ, glich einer heftigen öffentlichen Rüge des Intendanten. Noch unüblicher war, dass sie "den Journalistinnen und Journalisten. ..., die diese Missstände aufgedeckt haben" ausdrücklich ihren "Respekt" aussprach. Grütters wurde oft als politisches Großtalent gefeiert. Mit Roth kommt eine Entschiedenheit hinzu, die bislang fehlte.

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