Zum Tod von Claude Chabrol:Das süße Gift

Als französischer Hitchcock hielt Filmemacher Claude Chabrol mehr als 50 Jahre der kleinbürgerlichen Seele den Spiegel vor. Nun ist er im Alter von 80 Jahren gestorben. Sein Leben und Werk in Bildern.

Luise Checchin

1 / 11
(Foto: ap)

Als französischer Hitchcock hielt Filmemacher Claude Chabrol mehr als 50 Jahre der kleinbürgerlichen Seele den Spiegel vor. Nun ist er im Alter von 80 Jahren gestorben. Sein Leben und Werk in Bildern. Als Sohn eines Apothekers wurde Claude Chabrol am 24. Juni 1930 in Paris geboren. Inzwischen gilt er als Altmeister des französischen Kinos. Wie es dazu kam? Es war nicht die französischen Metropole, die den jungen Chabrol prägte: Einen großen Teil seiner Jugend verbrachte er bei seinen Großeltern in Sardent - einem kleinen Dorf in der französischen Provinz. Schon in jungen Jahren richtete er ebendort in der Garage des ansässigen Holzhändlers ein improvisiertes Kino ein - und nutzte später die Gegend als Spielort für seinen ersten Film. Ursprünglich schien sein Berufsweg vorgezeichnet: Nach dem Abitur nahm Chabrol ein Studium der Pharmazie und Literatur in Paris auf und sollte anschließend die väterliche Apotheke übernehmen. Doch der jungen Claude fühlte sich zu Höherem berufen ... Text und Bildauswahl: Luise Checchin/sueddeutsche.de/rus

2 / 11
(Foto: Arte)

Statt in der Universität zu pauken, trieb er sich lieber im Pariser Café de la Comédie herum und wurde bald Mitglied des Cineasten-Zirkels rund um den berühmten Kinokritiker André Bazin. Nach einer kurzen Tätigkeit in der Presseabteilung von 20th Century Fox, machte Chabrol sich mit Kritiken für die legendäre Zeitschrift Cahiers du Cinéma einen Namen. Nur über das Objekt seiner Begierde zu schreiben, war dem tatkräftigen jungen Mann dann bald zu wenig. Nach einer größeren Erbschaft seiner damaligen Frau, Agnès Goute, wagte Chabrol Ende der fünfziger Jahre den Sprung von der Theorie zur Praxis und drehte seinen ersten eigenen Spielfilm: Die Enttäuschten (Le beau Serge). Die Geschichte eines Studenten, der in sein Heimatdorf zurückkehrt und versucht, seinen an den Verhältnissen gescheiterten Freund zu retten, wurde zum unerwarteten Erfolg. Gérard Blain und Bernadotte Lafont in "Die Enttäuschten" (Le beau Serge) von 1958.

3 / 11
(Foto: Verleih)

Mit seinem zweiten Coup, Schrei, wenn Du kannst (Les Cousins) - ein Film über zwei ungleiche Vetter - gewann Chabrol den Goldenen Bären der Berlinale und machte die internationale Filmwelt auf sich aufmerksam. Dabei interessierten die Kritiker sich gerade nicht nur für ihn, sondern für die gesamte Szene des jungen französischen Kinos, die unter dem Namen Nouvelle Vague eine neue, progressive Auffassung des Filmemachens voranbrachte. Junge Regisseure wie François Truffaut oder Jean-Luc Godard lehnten sich auf gegen das altbewährte, kommerzielle französische "Qualitätskino". Stattdessen propagierten sie Filme, die in einer harten und realistischen Bildsprache aktuelle soziale und politische Themen ansprechen sollten. Filmplakat zu "Schrei, wenn Du kannst" (Les Cousins) von 1959.

4 / 11
(Foto: dpa)

Chabrol war nicht nur ein Vertreter dieses neuen Stils. Begünstigt durch den Erfolg seiner Filme, gründete er die Produktionsfirma AIYM-Films und ermöglichte unbekannteren Kollegen wie Philippe de Broca oder Jacques Rivette, ihre ersten Filmprojekte zu realisieren.

5 / 11
(Foto: Verleih)

Schon sehr früh hatte Chabrol das Thema gefunden, das er in den nächsten 50 Jahren seines Schaffens in unterschiedlichen Facetten immer wieder neu beleuchten würde: die Doppelmoral des französischen Bürgertums. Hinter vordergründiger Harmonie und Idylle entlarvte Chabrol akribisch die dunkle, abgründige Seite der kleinbürgerlichen Seele. Dabei bediente sich der bekennende Hitchcock-Fan zwar der Mittel des Thrillergenres, behielt aber immer eine ihm eigene ironisch-distanzierte Erzählweise bei. Besonders die zwischen 1968 und 1973 entstandene Hexalogie (Die untreue Frau, Das Biest muss sterben, Der Schlachter, Der Bruch, Vor Einbruch der Nacht, Blutige Hochzeit) gilt als Beispiel für diesen Stil, den Chabrol selbst beschreibt: "Ich finde es unmoralisch, dem Zuschauer eine Moral aufzudrücken, ihn beeinflussen zu wollen, ihm sozusagen ein Hirn-Klistier einzupflanzen. Ein Film sollte das Publikum vielmehr zum eigenständigen Nachdenken anregen." Michel Bouquet und Stéphane Audran in "Die untreue Frau" (La femme infidèle) von 1968.

6 / 11
(Foto: Verleih)

Nicht nur das Publikum sollte Chabrol zufolge eigenständig sein, sondern auch der Regisseur: Chabrol verweigerte alle Versuche der künstlerischen Vereinnahmung und lehnte es ab, seine Filme auf ein bestimmtes Genre festzulegen. Anders als viele seiner Kollegen der Nouvelle Vague bestand er nicht auf dem Status des "Autorenfilmers" und war auch bereit, fremde Drehbücher zu verfilmen. So entstanden in den siebziger und achtziger Jahren eine Reihe von Auftragsproduktionen für das Fernsehen, wie etwa 1979 die Serie Fantômas oder 1982 Goethes Wahlverwandschaften, die dem Regisseur von Kritikerseite den Vorwurf einbrachten, in die Routine abzurutschen. Stéphane Audran, Michael Degen, Helmut Griem und Pascale Reynaud in "Die Wahlverwandtschaften" (Les affinités électives) von 1982.

7 / 11
(Foto: Verleih)

Im Jahr 1994 meldete sich Chabrol in alter Meisterschaft auf der Kinoleinwand zurück. Sein Melodram Die Hölle (L'enfer) erzählte die Geschichte eines frischverheirateten Paares, das an der krankhaften Eifersucht des Ehemanns zerbricht. Henri-Georges Clouzot hatte bereits 1964 versucht, den Stoff mit Romy Schneider und Serge Reggiani in den Hauptrollen zu verfilmen, scheiterte aber an dem Projekt. Chabrol beendete seine Version nicht nur, sie wurde noch dazu von der Kritik als "Kino-Meisterstück bürgerlichen Horrors" gefeiert. Daraufhin folgte eine Erfolgsserie, die wohl nicht zuletzt Chabrols Kooperation mit einer gewissen französischen Schönheit zu verdanken ist ... François Cluzet und Emmanuelle Béart in "Die Hölle" (L'enfer) von 1994.

8 / 11
(Foto: rtr)

Isabelle Huppert wurde von Claude Chabrol selbst als seine Lieblingsdarstellerin bezeichnet. Mit ihr drehte er 1995 den Psychothriller Biester (La cérémonie) - eine grausige Geschichte über Sozialneid und Schamgefühle, die in mörderischen Impulsen gipfeln. Zwei Jahre später folgte die Kommödie Rien ne va plus, die mit Huppert und Michel Serrault in den Hauptrollen ein Betrügerpärchen porträtiert, das sich seinen Lebensunterhalt mit Tricksereien in Hotels und Spielcasinos verdient. Der Regisseur befand zu diesem Film, es sei sein unbeschwertestes Werk. Claude Chabrol mit Isabelle Huppert bei den European Film Awards 2003.

9 / 11
(Foto: Verleih)

Auch für Chabrols süßes Gift (Merci pour le chocolat) konnte der Filmemacher im Jahr 2000 Isabelle Huppert wieder gewinnen. In der Geschichte um die reiche Erbin eines Schokoladenimperiums geht es einmal mehr um sein bevorzugtes Thema: das psychologische Porträt einer kleinbürgerlichen Idylle, die sich im Laufe des Films in einer Spirale aus Widersprüchen und Zweifeln auflöst. Den bisher größten Kassenerfolg in Frankreich dagegen konnte Chabrol mit seinem Kammerspiel Die Blume des Bösen (La fleur du mal) feiern - eine bitterböse Satire über die Nazi-Kollaboration unter dem Vichy-Regime. Anna Mouglalis und Jaques Dutronc in "Chabrols süßes Gift" (Merci pour le chocolat) aus dem Jahr 2000.

10 / 11
(Foto: dpa)

Privat ließ es der Regisseur genauso wenig langweilig werden wie in seinen Filmen: Der als Gourmet und leidenschaftlicher Pfeifenraucher bekannte Chabrol war seit 1983 in dritter Ehe mit Aurore Pajot verheiratet, die ebenfalls beim Film arbeitet. Mit seiner zweiten Frau, der Schauspielerin Stéphane Audran, arbeitete er in mehreren Filmen zusammen, etwa in Blutige Hochzeit (Les noces rouges) von 1973. Chabrol hat drei Söhne, von denen zwei ebenfalls ins Filmgeschäft eingestiegen sind: Der eine, Thomas, ist Schauspieler geworden, der andere, Mathieu, schreibt seit dem Film Die Phantome des Hutmachers (Les fantômes du chapelier) die Filmmusik für seinen Vater.

11 / 11
(Foto: dpa)

Am 24. Juni 2010 ist Claude Chabrol 80 Jahre alt geworden - an Ruhestand wollte er aber noch lange nicht denken. Nach einer 50-jährigen Karriere als Regisseur, Produzent und Drehbuchautor und mehr als 60 Filmen erklärte er vor wenigen Wochen: "Filmen ist für mich wie eine Droge, ohne die ich nicht leben kann. Was sollte ich denn auch sonst treiben?". Am Sonntag ist Claude Chabrol gestorben. 

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: