Süddeutsche Zeitung

Popart-Künstler Claes Oldenburg:Meister des monumentalen Humors

Claes Oldenburg ist tot. Der in Schweden geborene Künstler, dessen Skulpturen ihn zu einem Pionier der Pop-Art machten, wurde 93 Jahre alt.

Von Georg Imdahl

Der Auftrag für eine seiner ersten öffentlichen Skulpturen kam von der Yale University. Auf eine Gruppe von Architekturstudenten ging die Idee zurück, Claes Oldenburg um ein Monument für die "Zweite amerikanische Revolution" zu bitten: Überall im Land wurde seinerzeit gegen den Vietnamkrieg demonstriert, zugleich richteten sich die Proteste gegen eine erstarrte bürgerliche Gesellschaft. Oldenburg sollte dem Widerstand dagegen eine symbolische Form geben. Er befriedigte den Wunsch 1969 mit einem gigantischen, gleichsam phallisch in die Höhe gereckten Lippenstift, aufgepflanzt auf den Ketten eines Panzers. "Make Love not War" - die Losung der Stunde schien damit kongeniale Gestalt anzunehmen.

Schon mit einem Auftritt in New York hatte Oldenburg 1967 Amerikas Krieg in Vietnam kritisiert. In diesem Fall eher sarkastisch. "Friedliches bürgerliches Denkmal" hatte er eine Performance genannt, bei der ein angeheuerter Totengräber eine Grube hinter dem renommierten Metropolitan Museum im Central Park aushob, um sie sogleich wieder zuzuschütten. Nicht nur spielte der Erdaushub auf die Form des Grabes an; Oldenburg verstand ihn zudem als negativen Leerraum des Sockels, auf dem sich ansonsten das Denkmal erhebt. Auch dieses mitsamt seinen repräsentativen Pathosformeln war somit negiert.

Was anfangs aus dem Geist der Kritik entstand, machte Claes Thure Oldenburg später zu einem der populärsten Bildhauer des vorigen Jahrhunderts. Kaum jemand verkörperte die Erfolgsgeschichte der Kunst im öffentlichen Raum wie er. Und nur wenige Künstler hatten das Werk Marcel Duchamps und das Ready-made so einfach in eigene Bahnen gelenkt wie der 1929 in Stockholm geborene Künstler, nicht nur wegen seines 1972 auf der documenta 5 gezeigten "Mouse Museums", in dem Oldenburg Spielzeugpistolen aller Art sammelte und für sich selbst sprechen ließ.

Indem er Alltagsdienst in Stahl produzierte, machte er Kunst

Aus dem Fundus der Gebrauchsdinge griff Oldenburg Wäscheklammern, Sicherheitsnadeln, Zahnbürsten und Maurerkellen heraus, Stecker, Stempel und Fahrradräder, die er in ihren Dimensionen ins Riesenhafte aufblies und in den öffentlichen Raum brachte. Indem er diese Dinge in Stahl produzierte, ging er allerdings auch wieder hinter Duchamp zurück - und produzierte Kunst.

Als Beweggrund seiner Großskulpturen, die er seit den späten Siebzigerjahren gemeinsam mit seiner Ehefrau, der Kritikerin Coosje van Bruggen (1942-2009), geschaffen hatte, hat Oldenburg einmal den Humor genannt. Humor helfe, "die Welt neu zu sehen", er stehe gar in der "Funktion einer ,höheren' Vernunft". Hierzulande waren es die überdimensionierten Billardkugeln im Münsteraner Aasee-Park, die Oldenburgs Monumentalisierung von Alltagsdingen dem Publikum näherbrachten. Eigentlich hatte er die kolossalen Kugeln - sein Beitrag zu den ersten, heute legendären Münsteraner "Skulptur Projekten" - über die gesamte Stadt verstreuen wollen. Doch letztlich blieben es deren drei, "angepasst an die Umstände und der finanziellen Mittel", wie der eingebürgerte Amerikaner lapidar feststellte: Noch immer ruhen die Zementkugeln in jener Konstellation am Aasee, die sich beim Ablauf einer Partie Billard in einem Lokal am Ort ergeben hatte.

Der Sohn des schwedischen Generalkonsuls in Chicago hatte einst als Polizeireporter in der Stadt des Verbrechens angefangen. Nichts an diesem Job deutete auf eine spätere Karriere als einer der berühmtesten Künstler der Pop Art voraus. Zum Glück für die Kunst entschied sich das kommunale Nachrichtenbüro der Stadt Chicago in den frühen Fünfzigerjahren, den Reporter vom Außendienst abzuziehen und in die Textredaktion zu versetzen. Darüber verlor der junge Oldenburg die Lust am Chronistendasein und wandte sich endgültig der Kunst zu. Schon als Kind hatte er seine Begabung beim Zeichnen und Aquarellieren bewiesen; nun schlug er sich erstmal als Illustrator einer Werbeagentur durch, bevor er mit der künstlerischen Laufbahn ernst machte und 1956 nach New York ging.

Oldenburg streifte durch die Straßen, suchte den Puls der Stadt, schuf Collagen aus Abfall. Wohl zwangsläufig waren es die Happening-Künstler, die den damals auch dichtenden Maler in den späten Fünfzigern in den Bann zogen, darunter die Protagonisten Jim Dine und Allan Kaprow. "The Street" nannte Oldenburg 1960 ein Environment in der Judson Gallery: Eine Straßenszene stellte Oldenburg in einem trashigen Set aus Pappe und Jute nach und hielt bei dieser Gelegenheit schriftlich fest, was er damals unter Popkultur - "popular culture" - verstand: all den Lärm und Dreck, den die Stadt produziert, Asphalt, Beton, Teer, Metall und die "Primitiven von heute", nämlich Kinder, Arme, Abgedrehte, Gescheiterte.

In kellerengen Verliesen ahmte Oldenburg mit emphatischen Happenings wie "Snapshots in the City" das rumorende Leben auf der Straße nach, begann sich dann aber auch näher für die Konsumwelt zu interessieren und wandte sich dem ökonomischen Kreislauf der kleinen Läden und Boutiquen in der Lower East Side zu. Kleidungsstücke, Kaffeetassen, Kuchen und andere Konsumgüter schuf er aus Gips und bemalte die klobigen Wirtschaftswerte in einem expressionistischen Stil, wie ihn die New York School hervorgebracht hatte. Wer wollte, konnte darin noch Pollock, de Kooning und Co. wiedererkennen, aber mit dem heiligen Ernst des Abstrakten Expressionismus hatte das dann doch nichts mehr zu tun.

Seine künstlerisch besten Arbeiten schuf er für Innenräume

Mag Oldenburg seinen großen Erfolg den Arbeiten im öffentlichen Raum verdankt haben - seine künstlerisch beste Zeit erlebte er Mitte der Sechzigerjahre, als er noch Arbeiten für den Innenraum schuf. Damals bereicherte der junge Bildhauer die zeitgenössische Skulptur um eine entscheidende Variante. Er schuf mehrere Versionen ein und desselben Sujets, eine "Hard Version" zum Beispiel aus Karton, eine "Soft Version" aus Vinyl sowie eine "Ghost Version" aus verblichenem Stoff - und verewigte das identische Objekt so in unterschiedlichen Gemütszuständen.

Als Andy Warhol mit seinen Desaster-Serien und dem Sujet "Death in America" berühmt wurde, ging Oldenburg für einige Jahre nach Los Angeles und vertiefte sich in das psychologische Innenleben der Wohlstandsgesellschaft und ihrer Alltagsdinge. Bei einer "Soft Toilet" von 1966 stimulieren knautschiges Latex und eine fleischige Kloschüssel latent libidinöse Assoziationen, eine entsprechende "Soft Toilet - Ghost Version" aus weiß getünchtem Leinen wirkt geisterhaft, und die aus Pappe geschnittene, Stil mit weißem Lack bemalte "Toilet - Hard Model" wirkt wiederum hart und konkret, scharfkantig und nackt. Ein schwarzer "Ventilator" oder ein wiederum sexuell konnotierter, weicher "Mixer" sind ebenso aus dem Alltags entrückt und von Anflügen ins Monströse gekennzeichnet wie ein "Staubsauger" (1964/71) aus Aluminium, Gummi und Kabel.

Oldenburgs flexibler Skulpturbegriff öffnet das Objekt gegenüber den Ansätzen der Konzeptkunst und hält zugleich an der Sprachkraft des Materials fest. Damit hat Oldenburg auf zahlreiche Nachfolger gewirkt wie Paul McCarthy und Mike Kelley. Insgesamt bezeugt sein Oeuvre die Vielschichtigkeit des Phänomens Pop Art. Oldenburgs Archetypen des modernen Alltags dürfen ermüden, erschlaffen, sich von ihrem Gebrauchswert verabschieden. Die Riesentüte Pommes frites, ein monumentaler Zigarettenstummel im Aschenbecher oder eine hin geklatschte Eiswaffel, die wie ein Wal daliegt: Es ist, als wären diese Dinge von ihren Funktionen und Begriffen befreit.

Dies gilt auch für seine Riesenskulpturen im Außenraum. Sie galten so lange als up to date, wie die drop sculpture, die irgendwo draußen "fallengelassene" Skulptur, noch nicht von der ortsbezogenen, kritischen Intervention in Frage gestellt war.

Nun ist Claes Oldenburg, dessen monumentale Skulpturen ihn zu einem Pionier der Pop-Art machten, mit 93 Jahren am Montag in Manhattan gestorben.

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