Süddeutsche Zeitung

Christopher Schmidt:Einer von uns

Der Tod des SZ-Literaturchefs Christopher Schmidt hat bei vielen große Bestürzung hervorgerufen. Der Schauspieler Edgar Selge war sein Freund und erinnert sich.

Seit dem Tod des SZ-Literaturchefs Christopher Schmidt am Mittwoch haben viele Leser, Künstler und Kulturschaffende ihrer Bestürzung Ausdruck verliehen. Eine Mail stammt von dem Schauspieler Edgar Selge. Christopher Schmidt hatte Selge 2005 erstmals zum Interview getroffen. Damals spielte Selge den einarmigen Kommissar Jürgen Tauber in einem "Polizeiruf 110" von Dominik Graf und den "Faust" im Deutschen Schauspielhaus in Hamburg. Selge betreibe "Spielen als Ermittlung in eigener Sache", schrieb Schmidt später. So begann eine Freundschaft zwischen Schauspieler und Kritiker, in der sich der eine offenbar im jeweils anderen erkannte. SZ

Christopher Schmidt war ein ungewöhnlich leidenschaftlicher Journalist und Theaterkritiker. Seine lodernde Hingabe ans Theater war ungeteilt und rückhaltlos. In jeder Zeile war eine Besessenheit spürbar, die dem Temperament vieler Menschen, die innerhalb des Theaters arbeiten, ähnlich war: Er war von bekennender Subjektivität, und er liebte das Risiko seiner Sätze, ganz gleich, ob sie Bewunderung oder Kritik ausdrückten. Da gab es keinen akademischen Ton. Er war keiner, der zeigen wollte, dass er etwas besser weiß. Man spürte Neugierde und den heißen Atem großer Erwartungen. Und natürlich konnte er scharf und vernichtend sein, wenn die Energie dieser Erwartungen weit unterboten wurde.

Christopher Schmidt unterwarf das Medium, über das er schrieb, ob Theater oder Literatur, mit großer Selbstverständlichkeit seinem persönlichen Temperament, weil er sich mit seinem Geist, seiner eigenen Ausdruckssehnsucht und seiner sprachlichen Kraft dort zu Hause wusste.

Er war schüchtern, aber sein Lachen verriet, dass er eigentlich gern zugegen war

Jenseits seiner geschliffenen Sätze, seiner Bildung, des Reichtums seines Wissens und seiner Belesenheit strahlte er die Einsamkeit eines Menschen aus, der eine Bühne zum Überleben braucht: die Bühne der Theater und Literaturkritik. Er lebte auf keinem anderen Planeten als die Menschen, über die er schrieb. Er vermittelte manchmal dieselbe Ausdruckswut. Lebendiger kann man Zeitungsleser nicht ans Theater und an die Literatur heranführen, als er es getan hat. Ob er über Faulkner schrieb oder die Geschichte avantgardistischer Impulse an den Münchner Kammerspielen bis zu Matthias Lilienthal: Er hob seinen Gegenstand immer auf eine neue Stufe des öffentlichen Diskurses. Und einen Moment lang strahlten die Argumente in noch nicht gekanntem Glanz.

Er fehlt mir, und er wird mir fehlen. Wenn wir uns verabredet haben, leider viel zu selten, war die Kommunikation gar nicht so leicht. Seine Zurückhaltung, seine Schüchternheit standen offensichtlich im Gegensatz zu seiner Neugierde. Obwohl er beinahe vor Präsenz bebte, stand er wie unter einem selbst auferlegten Bann, als hätte er Angst vor dem Ansturm seiner eigenen Sätze. Nur sein unglaublich junges, immer wieder aufflackerndes Lachen verriet, dass er eigentlich gerne zugegen war und gerne das Gespräch suchte. Sich daran zu erinnern tut weh.

Edgar Selge

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Quelle:
SZ vom 07.03.2017
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