Den Deutschen wird bisweilen vorgeworfen, sie wüssten nicht so recht mit ihren Film-Stars umzugehen, ja, sie würden ihre Besten sogar vertreiben. Erst im Ausland dann, was oft gleichbedeutend ist mit Hollywood, würden solcherlei hierzulande verkannte Schauspieler ihre wahre Bestimmung und Anerkennung finden, weil bei uns der Neid regiere. Das Verhältnis der Deutschen zum Erfolg sei unentspannt.
Schon Marlene Dietrich und Romy Schneider, beide zwischenzeitlich nach Paris ausgewandert, wussten wahrlich ihr Leid darüber zu klagen. Der Deutsch-Österreicher allerdings, der nun zum zweiten Mal für einen Oscar nominiert ist, macht es den Deutschen eigentlich leicht, ihn nicht zu mögen.
Überzeugend böse
Christoph Waltz spielt so überzeugend das Biest, auch abseits seiner Filmrollen, dass man glatt auf die Idee kommen könnte, er wolle oder könne sogar gar nicht anders. Im Umgang mit Journalisten, am Rande der roten Teppiche, oder wo immer es vorkommen kann, dass ihn einer öffentlich mit einer Frage nervt, gefällt sich Waltz immer wieder mal darin, sein Gegenüber vor den Kopf zu stoßen. Als "unnahbar, bei Aufdringlichkeit und Blödheit aufbrausend, bei Frechheit: eiskalt" wird er beschrieben. Auch auf der Pressekonferenz zu Tarantinos aktuellem Kinofilm "Django - Unchained" in Berlin gab er sich abermals sperrig. Unhandlichkeit ist auch das Attribut, das ihm in den Jahrzehnten seiner Schauspielerei vor Hollywood in Deutschland nachgesagt wurde - was ihn die ein oder andere Rolle gekostet haben dürfte.
Mit Interviewpartnern hingegen, die ihm auf Augenhöhe erscheinen, ist er durchaus gewillt, ausführliche und intelligente Gespräche zu führen. Berichtet aber auch dann genüsslich davon, dass er sich selbst für einen Snob hält, wie sehr ihm die deutsche Filmindustrie auf den Senkel ging, was unter deutscher Regie alles verbockt werde - und lässt Zitate los wie dieses:
"Als mein Sohn acht Monate alt war, da starrte der minutenlang eine blöde, fröhliche Fliege an, die über den Wohnzimmerboden krabbelte. Dann fuhr der seelenruhig seinen kleinen Zeigefinger aus und blööötsch, da war die Fliege Matsch. Ein ganz großer Auftritt!"
Auch im Alltag scheint es also nicht das Gute im Menschen zu sein, an dem er vordergründig interessiert ist.
Er sagt aber auch: "Schauspieler wird man grundsätzlich aus einer irren Sehnsucht nach Bedeutung. Glauben Sie nie einem Schauspieler, der das bestreitet!" Und an anderer Stelle: "Jeder, der Schauspieler wird, wird das auf Grund eines psychischen Defekts." Es handele sich dabei um ein Aufmerksamkeitsdefizit.
Nominierte Filme für den Oscar:Demokratie, Freiheit, Glaube
Die Stimmen für sind abgegeben: Jetzt heißt es Warten bis zur Oscar-Nacht am Sonntag. Unter den Nominierten sind auffallend viele Filme, bei denen es um essenzielle Themen der menschlichen Gemeinschaft geht. Für die Kategorie "Bester Film" werden "Lincoln" und "Schiffbruch mit Tiger" die besten Chancen eingeräumt. Wer hat ihn verdient?
Christoph Waltz ist ein begnadeter Schauspieler, er wird als "virtuoser Handwerker mit der Präzision eines Uhrmachers" gelobt, als "Superstar des deutschen Films" oder als "unfassbar". Doch so unfassbar ist das gar nicht: Waltz spielt fast immer die Chimären, Mischwesen zwischen Gut und Böse. Die Schurken, Monster, Charakterschweine mit ansprechendem Auftritt. Und das sehr überzeugend. Auch seine Physiognomie hilft ihm dabei. "Gucken Sie sich meine Visage an. Würden Sie mich als Otto Normalverbraucher besetzen?", antwortet er auf die Frage, warum er so oft die dunklen Charaktere gibt.
Sperrig und schlau
Auch die neue Rolle, die Tarantino ihm für "Django - Unchained" auf den Leib geschneidert hat, ist so eine scheinbar unfassbare, aber eigentlich urtypische Rolle für Waltz: Der Zuschauer muss diesen Deutschen, "Dr. King Schultz aus Düsseldorf", einfach mögen, weil er so drollig und - wieder einmal - sperrig und schlau der Hauptfigur Django dabei hilft, der Sklaverei zu entkommen, seine Frau zu befreien und sich obendrein noch an seinen Peinigern zu rächen. Doch das einzige, was an dieser angeblichen Nebenrolle, für die Christoph Waltz in der Nacht zu Montag seinen zweiten Oscar bekommen könnte, nebenrollig ist, ist ihr Ende: Wie nebenbei wird Schultz erschossen, als er seine Schuldigkeit getan hat.
Bis dahin aber sind es weder ein gewollt ausdrucksloser Jamie Foxx, der die Hauptrolle spielt, noch die bezaubernde Kerry Washington als dessen Frau, und noch nicht einmal Leonardo DiCaprio mit seiner überraschend überragenden Leistung als snobistischer Sklavenhalter, um die sich der Film vor allem dreht, sondern: Waltz und seine besondere Gabe, dem Bösen ein doppeltes Gesicht zu geben. Denn der so verschroben sympathisch daherkommende Schultz ist nichts anderes als ein Kopfgeldjäger. Doch Waltz täuscht über diese klitzekleine Nebensache so überzeugend hinweg, dass außer dem ganzen tomatenroten Filmblut und Elend und tarantinohaften Action-Absurditäten vor allem eines in Erinnerung bleibt: Waltz als Schultz.
Wir haben gelernt: Dieser Mann kann die düstere Seite in ihren flammendsten Erscheinungen erhellen. Was wir allerdings noch nicht kennen, ist der Christoph Waltz, der mal in einer ganz anderen Rolle überzeugt. Komplett abseits des Abgründigen und Ambivalenten, das er schon in den meisten seiner Filme im deutschen Fernsehen zum Besten gab. Gibt es den auch? Womöglich wäre dafür dann der zweite Oscar fällig.
Denn das wäre doch mal eine echte Überraschung: Wenn Christoph Waltz sich nicht selbst spielen würde. Auch wenn er das tadellos und immer wieder grandios hinbekommt.