Zum Tod von Christoph Schlingensief:Mit Mut und Menschlichkeit

Lesezeit: 2 Min.

Christoph Schlingensief stand für das, was er wollte und erträumte, auch im Zustand der Erschöpfung noch gerade. Wie kaum ein anderer Künstler hat er sich alles zugetraut - und am Ende Recht behalten.

Till Briegleb

Als Christoph Schlingensief vor wenigen Wochen in seiner Produktion "Via Intolleranza II" auf der Bühne stand, war ihm von Krankheit nicht viel anzumerken. Selbst als er in einer fast koketten Manier über den nahenden Tod scherzte und von seinen Schwächeanfällen und Bewusstseinstrübungen sprach, tat er dies mit der nahezu gleichen Energie, mit der er sich stets zum Angriffspunkt seiner Inszenierungen gemacht hat.

Christoph Schlingensief ist tot
:"So schön kanns im Himmel gar nicht sein!"

Ein großer deutscher Regisseur geht, ein Provokateur, ein Moralist. Christoph Schlingensief hat im Alter von 49 Jahren den Kampf gegen den Krebs verloren. Wichtige Stationen seiner Karriere

in Bildern.

Obwohl er zu diesem Zeitpunkt längst wusste, dass auch sein zweiter Lungenflügel vom Krebs befallen war und er mit den schweren Nebenwirkungen einer neuerlichen Chemotherapie kämpfte, stand er für das, was er wollte und erträumte, auch im Zustand der Erschöpfung noch gerade.

Er verspottete das Publikum und die deutsche Spendenmanier der Gewissensbereinigung - und warb danach mit provozierender Frechheit um Geld für sein Operndorf Remdoogo in Burkina Faso. Die Beschimpften fühlten mit ihm, lachten und spendeten viele Scheine.

Diese Zustimmung zu Schlingensiefs wilder Kunstidee fand in diesem Moment der Gemeinsamkeit einen Moment der herzlicher Nähe, der viel über die Größe und Konsequenz seiner Arbeit aussagt.

Seine besondere Verbindung von Mut und Menschlichkeit, die so lange als Selbstinszenierung, Berufsprovokation und Schamlosigkeit missverstanden wurde, hat ihn in den letzten Jahren vom Rand der deutschen Kulturakzeptanz ins Zentrum bewegt. Bekam er für seine exzessiven Filme über deutsche Doppelmoral und politische Verlogenheit in den Achtzigern noch aggressive Ablehnung von links wie rechts zu spüren, so war Schlingensief spätestens mit dem Auftrag, den deutschen Pavillon auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig zu gestalten, als bewunderter Repräsentant jenes Landes geadelt, das er 30 Jahre lang mit Kunst kritisiert hat.

Das Schöne an diesem Prozess war, dass der Applaus Schlingensief nie korrumpiert hat, seine Arbeit nicht weichspülte, und er selbst dann, als er durch zahlreiche Talkshowauftritte zu Everybody's Darling geworden war, seine persönliche Eitelkeit mit Ironie und freundlichen Augen zu zügeln wusste. Schlingensief war ein warmherziger, direkter Mensch, der einfach die ganze banale Schaustellerei der deutschen Öffentlichkeit, die Heuchelei und Verlogenheit, die Schutzmechanismen der Macht nicht ertragen konnte, und deswegen früh einen Angriffsreflex ausbildete, den er auf alles bezog: das politische Tagesgeschehen wie das zwischenmenschliche Zwangsverhalten, die Verdrehung der Wirklichkeit durch Medien, aber auch die Schlaumeierei von neunmalklugen Berufskritikern.

Christoph Schlingensief: Die Kunst verlor ihren tollsten Jungen. (Foto: REUTERS)

Wie kaum ein anderer Künstler hat sich Christoph Schlingensief alles zugetraut, und damit am Ende Recht behalten. Vom wirren Experimentalfilm seiner Jugendzeit zur Großen Oper in Bayreuth ist Schlingensiefs Arbeit weniger ein kontinuierliches Reifen, als ein gereiftes Ausgreifen gewesen. Schlingensief-Kunst funktionierte im Theater so gut wie im Hörspiel, in Ausstellungshallen wie in performativen Installationen im öffentlichen Raum, selbst in Fernsehformaten ließ sich nicht verbiegen, was die Moral dieses freundlichen Missionars blieb: Ein kreatives Ringen um Wahrhaftigkeit mit der Methode der mutigen Infragestellung. Die Skepsis hat nie einen glücklicheren Parzifal gehabt.

Als Christoph Schlingensief dann 2008 die Diagnose erhielt, er habe Lungenkrebs, fühlten alle, die ihn kannten, dass sich diese Krankheit nie so geirrt hat, wie mit dieser Strafe. Wie er bald damit begann, schonungslos seine Angst vor dem Tod zum Zentrum seiner Arbeit zu machen, aber vor allem, wie er dabei weder seinen Humor, noch seine Aufrichtigkeit und Poesie verlor, das machte diese Selbstbetrachtung zu einer der intensivsten und fruchtbarsten Auseinandersetzungen mit dem Sterben, die je unternommen wurden. Dass am Ende dieses Streits der Tod auf ihn warten würde, war sicher. Dass er so bald kommen würde, wollte sich niemand vorstellen. Heute verlor die Kunst ihren tollsten Jungen. Und die Welt den vielleicht herzlichsten Querulanten, den es je gab.

Christoph Schlingesief verstarb an diesem Samstag, an dem Tag, an dem seine neueste Produktion "S.M.A.S.H. - In Hilfe ersticken" bei der Ruhtriennale Premiere hätte haben sollen.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: