Als Christoph Schlingensief vor wenigen Wochen in seiner Produktion "Via Intolleranza II" auf der Bühne stand, war ihm von Krankheit nicht viel anzumerken. Selbst als er in einer fast koketten Manier über den nahenden Tod scherzte und von seinen Schwächeanfällen und Bewusstseinstrübungen sprach, tat er dies mit der nahezu gleichen Energie, mit der er sich stets zum Angriffspunkt seiner Inszenierungen gemacht hat.
Obwohl er zu diesem Zeitpunkt längst wusste, dass auch sein zweiter Lungenflügel vom Krebs befallen war und er mit den schweren Nebenwirkungen einer neuerlichen Chemotherapie kämpfte, stand er für das, was er wollte und erträumte, auch im Zustand der Erschöpfung noch gerade.
Er verspottete das Publikum und die deutsche Spendenmanier der Gewissensbereinigung - und warb danach mit provozierender Frechheit um Geld für sein Operndorf Remdoogo in Burkina Faso. Die Beschimpften fühlten mit ihm, lachten und spendeten viele Scheine.
Diese Zustimmung zu Schlingensiefs wilder Kunstidee fand in diesem Moment der Gemeinsamkeit einen Moment der herzlicher Nähe, der viel über die Größe und Konsequenz seiner Arbeit aussagt.
Seine besondere Verbindung von Mut und Menschlichkeit, die so lange als Selbstinszenierung, Berufsprovokation und Schamlosigkeit missverstanden wurde, hat ihn in den letzten Jahren vom Rand der deutschen Kulturakzeptanz ins Zentrum bewegt. Bekam er für seine exzessiven Filme über deutsche Doppelmoral und politische Verlogenheit in den Achtzigern noch aggressive Ablehnung von links wie rechts zu spüren, so war Schlingensief spätestens mit dem Auftrag, den deutschen Pavillon auf der nächsten Kunstbiennale in Venedig zu gestalten, als bewunderter Repräsentant jenes Landes geadelt, das er 30 Jahre lang mit Kunst kritisiert hat.