Lehár Ferenc' Oper "Giuditta" an der Bayerischen Staatsoper:Glotzt nicht so melancholisch

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Liebe, Liebe, Liebe - das geht gar nicht: Christoph Marthaler inzeniert Lehár Ferenc' Oper "Giuditta" an der Bayerischen Staatsoper und wird heftig ausgebuht.

Von Reinhard J. Brembeck

Wenn in 100 Jahren sich die Theaterwissenschaft mit dem Opernbetrieb ums Jahr 2000 beschäftigen wird, dann wird unweigerlich der recht unwissenschaftliche Begriff "Marthalerei" fallen als hilflose Umschreibung für all jene Abende, die von Christoph Marthaler für die Bühne angerührt wurden aus freundlichen Endlosturnereien, lächelnder Politisiererei und verspieltem Antitheater. "Marthalereien" gelingen umso besser, je weniger ihr Urheber durch eine feste Vorlage stranguliert wird. Als Marthaler an der Bayerischen Staatsoper unlängst William Shakespeares Macht- und Altersrenitenzstudie "Lear" in der Veroperung von Aribert Reimann zeigte, wirkte er phantasietechnisch gehemmt. Umso ungehemmter machte er sich jetzt über die 1934 in Wien erstaufgeführte "Giuditta" her, die letzte Operette des Lehár Ferenc (Franz).

Wäre das Münchner Nationaltheater nicht seuchenpolitisch bedingt nur zu einem Viertel mit Zuschauern befüllt, so wäre dieser Drei-Stunden-Abend früh tumultös verlaufen. So aber bleibt nicht nur der Beifall lau, sondern auch die Proteste gegen eine Operette, die schon bei Lehár bös unhappy endet und bei Marthaler noch viel böser aufs schlimme Ende zusteuert. Liebe, Liebe, Liebe: Das geht gar nicht. Marthaler und seine beiden Dramaturginnen haben zwischen die Operettennummern viel von Lehár-Zeitgenossen implantiert, von Dmitri Schostakowitsch, Alban Berg, Arnold Schönberg, Hanns Eisler (die Liste ist noch viel länger), dazu böse Monologe aus dem mörderischen Politik- und Liebesscheiterspektakel "Sladek" von Ödön von Horváth.

Die Soldateska in kurzen Hosen wirkt harmlos , aber diese Harmlosigkeit ist tödlich

Lehár erzählt, wie der Krieg eine große Liebe auf den ersten Blick zerstört. Daniel Behle gibt den Ottavio, der die Liebe als sein Ein und Alles ausgibt, aber dann doch in den Krieg zieht. Behles Tenor strahlt, hat Körper in Tiefe wie Höhe, ist Sehnsucht und Verführung. Obwohl Titus Engel bevorzugt das Endzeitliche und Katastrophische herausdirigiert, dominiert Behle Raum wie Musik. Im Schlager "Freunde, das Leben ist lebenswert" evoziert Daniel Behle die Entgrenzungen in Gustav Mahlers "Lied von der Erde" und erklärt so, warum in dieser Marthalerei sich so viel andere Musik tummelt. Denn Lehár, der Meistermelodiker komponiert, im Orchester ist das unüberhörbar, auf Augenhöhe mit Schönberg & Co.

Weder Marthaler noch Ausstatterin Anna Viebrock mögen Pathos, Larmoyanz, Melancholie, Sentimentalität. Viebrock denkt die "Giuditta" in einer Turnhalle mit Bühne und Kleinküche. Mildes Schwimmbadtürkis dominiert, Stühle wechseln mit Sesseln, Bewegungen hüpfen auf der Stelle. Die Soldateska in kurzen Wüstensandhosen wirkt harmlos , aber diese Harmlosigkeit ist tödlich. Vida Miknevičiūtė, ihre unsentimental direkte Art macht ihr nicht nur Freunde, zeigt die Giuditta als herb selbstbestimmte Frau, die anders als die Männer lieben kann. Aber nicht daran zerbricht, dass ihre große Liebe Ottavio genauso verschwindet wie dessen Liebe. Die Wiederbegegnung der beiden ist einer der desolatesten Theatermomente überhaupt, da atmet Lehárs Musik nur noch Depression und Weltverdruss.

Gerade wurde in "Komm, wir wollen fort von hier" die Flucht aus Viebrocks Sporthallentheatersaal und den Kriegsseuchenzeichen angedacht, da lockt auch Schostakowitschs Tango aus dem Ballett "Bolzen" die Fluchtwilligen und provoziert ein herrlich absurdes Ballett der Verrenkungen und Sinnlosigkeiten: heftiger Widerspruch von einzelnen Zuschauern. Dann kontrastiert Erich Korngolds Meisterduett "Glück, das mir verblieb", Eislers "Selbstmord"-Lied und zuletzt der zweite große "Giuditta"-Schlager "Meine Lippen, sie küssen so heiß". Das alles ist, Operettenfreunde seien gewarnt, kein Tanz auf dem Vulkan, sondern ein Totentanz mitten im ausbrechenden Ätna. Marthaler und sein Team werden tüchtig ausgebuht, aber auch das gehört sich für eine ausgewachsene Marthalerei.

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