Christo-Doku im Kino:"Das ist Wahnsinn. Totaler Wahnsinn!"

Lesezeit: 3 min

"Wir machen es so, wie ich will" - Künstler Christo auf dem Iseosee. (Foto: Wolfgang Volz)
  • Christo ließ Besucher 2016 auf den "Floating Piers" über den Iseosee laufen.
  • Eine gelungene Kinodokumentation zeigt das Drama hinter den Kulissen und kommt Christo dabei überraschend nah.
  • "Christo - Walking on Water" läuft von Donnerstag an im Kino.

Von Carolin Gasteiger

Hätte er doch die anderen Schuhe angezogen! Mit besserem Profil unter den Füßen wäre er bestimmt nicht auf den Pontons ausgerutscht und hätte sich die Stirn aufgeschlagen. Nun aber muss Christo stillhalten. Und sein Neffe Vladimir klebt ihm vorsichtig Heftpflaster auf Stirn und Oberlippe. Auf Plastikstegen will Christo die Menschen übers Wasser laufen lassen. Aber er selbst fällt darauf erst einmal hin. Und sieht dann mit Heftpflastern zugeklebt aus wie ein lädiertes Kaninchen.

Vor drei Jahren installierte der bulgarischstämmige Künstler, der einst den Reichstag verhüllte und 2020 den Pariser Triumphbogen einpacken will, die "Floating Piers" auf dem norditalienischen Iseosee. Auf stoffumspannten Pontons sollten die Besucher "einmal in ihrem Leben übers Wasser laufen". Ein Großprojekt und das erste, das er nach dem Tod seiner Frau Jeanne-Claude allein realisiert hat. Viele ihrer Pläne hatten eine lange Vorgeschichte, so auch die Floating Piers. Die erste Idee entwickelten Christo und seine Frau 1970, versuchten es in Argentinien, später in Japan. Ohne Erfolg. In Italien hat es geklappt.

Der ebenfalls aus Bulgarien stammende Dokumentarfilmer Andrey Paounov hat Christo und sein Team bei der Realisierung der Floating Piers begleitet und ein ebenso spannendes wie liebevolles Künstlerporträt geschaffen, das im vergangenen Jahr auf dem Filmfestival in Locarno lief.

Die Filmstarts der Woche
:Welche Filme sich lohnen und welche nicht

Keira Knightley spielt eine etwas zu willenlose Ehefrau in einer romantisierten Nachkriegszeit. Überraschend nostalgisch ist auch der Dokumentarfilm "Bouncer".

Von den SZ-Kinokritikern

Das hätte leicht schiefgehen können. Schließlich ist Christo alles andere als einfach. Seine Spleens sind bekannt. Jeden Morgen isst er eine Knoblauchzehe, in seinem Atelier arbeitet er stehend und, solange seine Frau und Kunstpartnerin Jeanne-Claude noch lebte, stiegen sie nie ins selbe Flugzeug. Auch in diesem Film wird schnell klar, wie kompromisslos Christo ist. "Wir machen es so, wie ich will", ruft er während einer Videokonferenz. Das kann er sich erlauben, schließlich finanziert er all seine Projekte selbst, durch den Verkauf von Skizzen und Zeichnungen.

Aber der Weg zu einer Installation wie den Floating Piers ist dennoch mühsam. Und so muss der damals 80-jährige Christo viele fremde Hände schütteln, in Mikrofone sprechen, wo er doch gerade mal weiß, wie ein Telefon funktioniert, und an Sitzungen von Lokalpolitikern teilnehmen, bei denen er kein Wort versteht. Paounov lässt diese Momente nicht weg, sondern kostet sie genüsslich aus. Er hält die Kamera auch dann auf den 80-Jährigen, als dieser einnickt.

Mehr Ausdauer und Elan entwickelt Christo, als die Pontons endlich aufgebaut werden. In Outdoorjacke und Schutzhelm packt er selbst mit an, um die Pontons aus Plastik zusammenzuschieben. Selbst im Regen und in stockdunkler Nacht lässt er sich mit dem Motorboot über den See fahren, um die Aufbauarbeiten zu überwachen. Wie das Team gegen die Zeit kämpft und mit dem Wetter hadert, ist spannend mit anzusehen.

Der Film spart die nervenaufreibenden Umstände hinter den Kulissen nicht aus

Immer an Christos Seite: sein Neffe Vladimir Yavachev. Er versucht, Christo von den geeigneten Materialien zu überzeugen, bläut ihm bei öffentlichen Auftritten die Namen derer ein, denen er danken muss, und feilscht mit Sammlern um den Preis von Christos Zeichnungen. Als an einem der ersten Tage der Floating Piers ein kleines Mädchen verloren geht, hört Vladimir stirnrunzelnd neben der weinenden Mutter die Funkmeldungen ab. Aber er beleidigt auch Behördenvertreter und feuert Angestellte, die nicht spuren. Ohne ihn funktioniert nichts.

Neues Kunstprojekt
:Mit Christo übers Wasser wandeln

Mit einem drei Kilometer langen, umhüllten Steg schafft der Künstler eine Verbindung vom Festland zu zwei Inseln im norditalienischen Lago d'Iseo.

Von Carolin Gasteiger

Schon nach den ersten Tagen eskaliert die Situation. Immer mehr Besucher strömen auf die Floating Piers, die Züge sind voll, dicht drängen sich die Menschen vor dem Rathaus, endlos zieht sich bald die Warteschlange bis zum See. Immer wieder starrt Christo fassungslos auf die Überwachungskameras und ruft: "Das ist Wahnsinn. Totaler Wahnsinn!" Vielleicht wäre das der bessere Filmtitel gewesen. Aufgrund des gigantischen Andrangs drohen Christo und sein Team, das Projekt abzublasen. Sie fürchten, dass es sonst zu Unfällen kommt. Schließlich locken die Floating Piers mehr als eine Million Besucher an. Das Warten müsse man als Teil des Kunsterlebnisses begreifen, sagt Christo, und warnt: "Wenn Sie es eilig haben, sollten Sie nicht kommen."

"Walking on Water" hätte leicht ein reiner Werbeclip für Christo werden können. Allein optisch bieten die Floating Piers genug für einen Film. Der orangefarbene Stoff, der selbst im Regen noch leuchtet, die Luftaufnahmen der akkurat arrangierten Stege, die wie Pfeile vom Festland zur Insel führen. An manchen Stellen wirkt es fast, als laufe man selbst über die Floating Piers. Aber Paounov spart die nervenaufreibenden Umstände hinter den Kulissen nicht aus und schafft es, dass der mit Heftpflastern beklebte Christo eher wie ein verunfallter Rentner im Park aussieht als wie ein weltberühmter Künstler. Auf einer Gartenparty wirkt er zwischen all den sich ekelhaft anbiedernden Bewunderern verloren, die nur ein Foto mit ihm wollen und danach gleich den Schinken ablichten. Auf den Pontons wirkt Christo glücklicher.

Seine und Jeanne-Claudes Projekte seien völlig sinnlos und nur dazu da, ihnen beiden selbst zu gefallen, sagt er oft. Aber er begeistert damit die Menschen, selbst der Pizzabäcker ruft Christo hinterher: "Grandissimo." An einer Stelle steht Christo mit seinem silberglänzenden Haarschopf auf den noch unverkleideten Pontons. "Schaut nur, schaut, schaut, schaut, schaut, schaut", ruft er immer wieder und breitet freudig die Arme aus. Als Künstler brauche man keine Geduld, erzählt er einer Schulklasse. Was es brauche, sei Leidenschaft.

Christo - Walking on Water , IT/US/D/UAE 2018 - Regie und Buch: Andrey Paounov. Schnitt: Paounov, Anastas Petkov. Verleih: Alamode, 100 Min.

© SZ vom 12.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

SZ PlusInterview mit Christo von 2019
:"Es geht nie etwas glatt"

Jedes neue Projekt ist ein Kampf. Na und? Der Verhüllungskünstler Christo im April 2019 über die Kunst, Widerstände und Angst zu überwinden.

Interview von Johanna Adorján

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: