Lesung von Imperium:Für Kracht ist alles nur ein Spiel

Alle reden über Christian Krachts "Imperium", nun spricht der Autor: In Zürich las der Schweizer erstmals öffentlich aus seinem Roman, der vom "Spiegel" unter Totalitarismusverdacht gestellt wurde. Dazu wäre eine Stellungnahme des jungen Schriftstellers angebracht.

Susanne Gmür

"Bitte behalten Sie diesen Abend für sich", wurde man bei der kurzen Einführung zur Buchpremiere von Christian Krachts "Imperium" am Mittwochabend im Zürcher Kaufleuten ermahnt. Es seien keine Ton-, Foto- oder Filmaufnahmen gestattet, heute solle es nur um dieses Buch gehen. Dank flächendeckender Berichterstattung und Kommentierung bedurfte dieser Hinweis keiner weiteren Begründung.

Neue Vorwuerfe gegen Schriftsteller Kracht

Christian Kracht ist kein besonders souveräner Typ, zumindest lassen das seine Auftritte in der Öffentlichkeit vermuten, vielleicht will er es auch einfach nicht sein.

(Foto: dapd)

Das Publikum nahm die Bitte ohne das leiseste Raunen hin, es mochte der eine oder andere Journalist und Fotograf gemurrt haben, als er von den Organisatoren eine Absage für Interviews oder Bildaufnahmen erhielt. Das lässt sich jedenfalls aus einem genervt klingenden mitternächtlichen Online-Bericht vom Nachrichtendienst Newsnet entnehmen.

Zu den Totalitarismusvorwürfen von Seiten Georg Diez' im Spiegel - welche Kracht veranlasst hatten, die im Februar in Berlin geplante Premiere abzusagen - gesellten sich kürzlich ja auch noch Plagiatsunterstellungen durch Marc Buhl, der 2011 dieselbe historische Figur, den verschrobenen Aussteiger, Vegetarier und Kokosnussanbeter August Engelhardt, zu seinem Romanhelden gemacht hatte.

Moderiert wurde der Abend auch nicht, ebenso wenig wollte Kracht Fragen aus dem Publikum beantworten - was er aber offenbar sowieso nie will. Kein "Event" also, nur eine ganz normale Autorenlesung, mit Signierstunde hinterher, die sehr rege und in fast andächtiger Stille genutzt wurde, manch strahlendes Gesicht kehrte vom Büchertisch zurück, darunter auch das von Dieter ("Yello") Meier.

Gewiss kamen einige der rund 400 Gäste aufgrund des Medienrummels (und hätten gegen eine kleine aufregende Live-Fortführung bestimmt nichts einzuwenden gehabt) - der Veranstalter musste wegen der Nachfrage gar den Anlass in den großen Klubsaal verlegen. Ein eleganter Ort, mit dunklem Holz und rotem Samt verkleidet, in dem fast allein die überdimensionale Discokugel und die Beleuchtungs- und Tonmaschinerie daran erinnern, dass man sich im Popzeitalter befindet und nicht mehr zu Beginn des alten Jahrhunderts, als Engelhardt in die Südsee reiste und als Gustav Mahler unter anderem das Adagietto der 5. Sinfonie komponierte, mit dem das eintreffende Publikum nun zuckersüß eingestimmt wurde.

Ein bodenlanges Tuch bietet ihm Schutz

Wo sonst getrunken, getanzt und ausgiebig gekokst wird, gehörte die Bühne an diesem Abend ganz dem jungen Autor (tatsächlich schon 45 Jahre alt). Kracht - in dieser nonchalanten Art gekleidet, die ihren Preis elegant herunterspielt, Sakko, Hemd, helle Hose, Krawatte, alles ein wenig altbacken und zerknittert - betritt sie unter freundlichem Applaus; leise setzt er sich an den Tisch, der ihm durch ein bodenlanges Tuch Schutz gewährt, sodass die meisten seiner nervösen Kratzereien irgendwo da unten nur im Ansatz sichtbar werden. "Guten Abend, ich lese Ihnen heute aus dem Buch ,Imperium' vor."

Freilich geht es an diesem Abend nicht nur "um dieses Buch" - es geht vielmehr um Christian Kracht. Eine Autorenlesung lebt ja gerade davon, dass die Trennung zwischen Werk und Autor hier aufgehoben ist, dass man "den Künstler" einmal erlebt. Dass er sich und sein Werk entzaubert, kann dabei schon mal vorkommen. Doch während man zu Hause im Bett zwischen Tag und Nacht in die fremden Phantasiewelten entgleiten und sich eines Buches bemächtigen kann, bleibt es bei der Lesung ganz beim Autor. Er bestimmt, wie weit die Reise geht, in welcher Tonlage sie spielt, er überfliegt und wählt die Stellen aus, die er für geeignet hält.

Kracht hat sie gut gewählt, sodass durch die ruhigen Reihen immer wieder mal ein Lachen huscht: als Engelhardt sich vor versammelter Gesellschaft erster Klasse als "Vegetarier im allgemeinen und Fruktivore im besonderen" outet oder bei der bunten Schilderung der Umstände, durch die das "Schwarzwasserfieber in den Gouverneur gekommen" war. Sowieso eignet sich dieses Buch prima zum Vorlesen. Es kommt im Großen und Ganzen ja doch nicht zu komplex daher. Alles ist klar und ordentlich ausgemalt, alles von gleicher Bedeutung und Intensität, eine eingängige und glatte Bildergeschichte, ein schwarzhumoriges Märchen für Erwachsene.

Hitler als "pickliger, verschrobener Bub"

Gelacht wird auch bei der Beschreibung Hitlers als "pickliger, verschrobener Bub, der sich zahllose väterliche Watschen einfängt" - kann man denn anders? Wenn das Ungeheuerliche so gebannt wird, ist das nun mal reflexartig entlastend. Gelacht wird entsprechend nicht, als der Erzähler daran erinnert, komödiantisch wäre der Aufstieg Hitlers nur dann anzusehen, "wenn da nicht unvorstellbare Grausamkeit folgen würde". Dass Kracht diese Stellen liest, wird seine Gründe in der vergangenen Debatte haben. Er liest sie so, wie "Imperium" geschrieben ist, sauber und mit ruhiger, sonorer Stimme, mit grundlegend unaufgeregter Gleichgültigkeit.

Dass Kracht eine Antwort auf die Vorwürfe verweigert, die Diez vor allem auf dessen E-Mail-Verkehr mit dem umstrittenen Künstler David Woodard gegründet hat ("Five Years", Wehrhahn Verlag 2011), ist sein gutes Recht, auch wenn eine Stellungnahme angebracht erscheint. Nun ist Kracht aber kein besonders souveräner Typ, zumindest lassen das seine Auftritte in der Öffentlichkeit vermuten, vielleicht will er es auch einfach nicht sein. Und er tritt ja nicht als Intellektueller auf, sondern als sensibler, etwas verschüchterter, wortkarger junger Mann, der doch gar nichts Böses will. Es ist ihm alles ein Spiel. Und wahrscheinlich sollte man von seinen Antworten noch weniger erwarten als von jenen der Fußballer, die ihr eigenes Spiel kommentieren.

An diesem Abend wurde jedenfalls kein Tabu gebrochen. Sondern jenes von der heiligen Freiheit der Kunst - rituell einwandfrei - untermauert. Sogar rauchen durfte der Vogelfreie.

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