Süddeutsche Zeitung

Christian Kracht am Theater:Rebellion ohne Risiko

Nachdem Christian Kracht mit seinem neuen Roman für Furore sorgte, bringt das Schauspiel Hannover nun ein älteres Stück von ihm auf die Bühne. Leider ist der Regisseur total fasziniert von "Faserland" - und nett lächelnde Schauspieler zeugen von naiver Begeisterung für eine sorglose Jugend mit verrückten Partyerlebnissen.

Till Briegleb

Was ist oft so unangenehm an Kindern von reichen Eltern? Nicht, dass sie bedenkenlos Geld für alles ausgeben, auch nicht diese gewisse Hochnäsigkeit. Es ist diese Manier, die ganze Welt mit Stilkriterien zu beurteilen. Dieser Form der anteilslosen Abschätzigkeit hat Christian Kracht mit seinem Debütroman "Faserland" 1995 ein Denkmal gesetzt.

Krachts Ich-Erzähler, der in wenigen Tagen von Sylt über Hamburg, Frankfurt, Heidelberg zum Bodensee und weiter nach Zürich reist, lehrt den Leser den feinen Unterschied zwischen Meinung und Haltung. Denn die vernichtenden Urteile, die Krachts reicher Salem-Absolvent bei seiner kurzen Erlebnisreise mit Flugzeug, Porsche und Kreditkarte ohne Limit andauernd fällt, sind vor allem: Geschmacksekel. Nazis verachtet dieser Geldjunge mit der gleichen Verve als dumm und stillos wie Jungs mit Ziegenbart und Stüssy-Kappe, sein Hass auf Autonome, Linke und Hausbesetzer folgt der gleichen leeren Meinung von Spießigkeit und fehlender Coolness wie der gegen SPD-Gewerkschafter oder Wim Wenders.

Die große Gleichgültigkeit

Das Problem bei der Rezeption von Krachts Erstling, die dazu führte, dass der Roman zunächst herzhaft verrissen, später von Autoren aus Krachts Generation ebenso beherzt als "bedeutend" rehabilitiert wurde, ist seine Unentschiedenheit zwischen Faszination und Kritik. In dem amüsierten Plauderton eines Partygesprächs aufgeschrieben, entzieht sich Krachts Text jeder Haltung zu der hier abgebildeten Schicht reicher gelangweilter Internatsschüler, die ihre innere Leere mit Drogenerlebnissen tapezieren.

Anders etwa als Bret Easton Ellis, der in seinen Romanen diese reiche Langeweile als strukturelle Gewalt und Kälte deutet, bleibt Krachts Beschreibung konsequent auf der Ebene eines Beteiligten, der - garniert mit netten Kindheitserinnerungen und herzlichen Momenten - nie irgendetwas in Frage stellt. Seine aggressiven Momente des Danebenbenehmens sind Rebellion ohne Risiko. Die große Gleichgültigkeit erhält höchstens eine Note von Weltschmerz.

Vor dem Hintergrund von blendend aussehenden Diktatoren-Gattinnen, die in Paris shoppen gehen, während ihre Männer mit schwerer Artillerie auf das eigene Volk schießen lassen, wäre es ja vielleicht möglich, auch einen Roman wie "Faserland" mal daraufhin abzuklopfen, wo der gute Stil nur eine soziale Brutalität tarnt. Doch Regisseur Robert Lehniger, der ihn fast zwanzig Jahre nach seiner Entstehung jetzt im Ballhof Eins des Schauspiels Hannover erstmals für die Bühne inszeniert hat, ist leider total fasziniert von dem Buch. Und entsprechend richtet er die Reise richtig schön her. Mit seinen Schauspielern ist er alle im Roman vorkommenden Orte abgefahren, um jene Videoaufnahmen zu machen, die den gesamten Abend über als Hintergrundfilm ein stimmungsvolles Panorama von Platin-Card-Travelling schaffen (Video: Bert Zander). Sturm in Sylts Dünen, Villen an der Alster, bequeme Betten im "Frankfurter Hof" und pastellfarbiges Licht am Bodensee lassen wenig andere Empfindungen zu als: "Die Welt ist schön!"

Die stets nett lächelnden Schauspieler erzählen fast den ganzen Roman daher, während sie sich mit Unmengen von Wasserflaschen immer aufs Neue nass machen - schließlich liegen alle Orte der Faserland-Reise am Wasser. Aufregung existiert nur in Form von Empörung über falsche Drogen, falsche Klamotten, falsche Intimitäten. Und diese freundliche Darreichung zeugt dann doch vornehmlich von einer naiven Begeisterung für sorglose Jugend mit verrückten Partyerlebnissen denn von einer Suche nach dem dahinter verborgenen Schrecken. Da war dann die arrogante Teilnahmslosigkeit, in der Christian Kracht über tote Freunde und innere Leere plauderte, einen deutlichen Schritt weiter in ihrem Potential, Einwände zu provozieren.

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SZ vom 18.04.2012/rus
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