Süddeutsche Zeitung

Deutsche Literatur:Verharren bei Longdrinks

In Christian Dittloffs Debütroman "Das weiße Schloss" will ein Paar sein perfektes Leben nicht für ein Kind aufgeben. Nur: Was wird da eigentlich bewahrt?

Von Kathleen Hildebrand

Wenn ein Autor seine beiden Hauptfiguren nach Adam und Eva benennt, dann ist klar, dass er Großes mit ihnen vorhat. Wenn sie dann auch noch Ada und Yves heißen - "Yves" klingt, spricht man den Namen aus, wie die englische "Eve", also "Eva" -, wenn ihre Namen also sowohl modernisiert wurden als auch die Geschlechter getauscht haben, dann wird ihre Geschichte wohl das sein, was Kritiker gern eine "Versuchsanordnung" nennen. Ein fiktives Experiment mit der geschlechtlichen Conditio humana.

Ada und Yves also sind ein Paar Mitte dreißig. Sie sucht als gut verdienende Beamtin in einer Behörde der Zukunft vielversprechende Migrationskandidaten aus anderen Ländern aus wie eine Gesellschaftskuratorin. Yves ist bildender Künstler. Adas Behörde hat ihn aus einem Frankreich, das offenbar von Terrorismus zerrüttet ist, ins Land geholt.

Nach einigen Jahren Beziehung und dem Umzug in eine Bungalowsiedlung am Stadtrand beschließen sie, ein Kind zu bekommen. Allerdings mit einem Twist: Sie bewerben sich für eine akribisch ausgewählte Leihmutter, die das Kind in einem pittoresken Institut namens "Weißes Schloss" auch aufziehen soll. "Sie beide", heißt es über Ada und Yves, "würden das Kind monatlich besuchen kommen, nicht öfter. Sie wollten schließlich auch selbst leben."

Zwei Utopien: die Freiheit der Eltern in der Stadt und das Landlust-Leben der Leihmütter und Kinder im Schloss

Dass dieses Konzept interessant zwischen Utopie und Dystopie changiert, liegt daran, dass dieses Schloss keine Frankenstein-Höhle ist, sondern der Traum aller Biosupermarkt-Jungfamilien: sanierte alte Bausubstanz mit Geschichte, draußen in der unverdorbenen Natur. Im Garten wird Biogemüse für die Mütter angebaut. Sie bewegen sich an der frischen Luft, können sich ganz auf ihren schwellenden Körper und später auf das Kind konzentrieren. Es sind zwei einander ausschließende Utopien, die so scheinbar gleichzeitig gelebt werden können - die Freiheit der Eltern in der Stadt und das Landlust-Leben der Leihmütter und Kinder im Schloss. Diese malen dort im musischen Flügel nicht nur mit Fingerfarben, sondern machen Videoinstallationen und musikalische Performances. Eine durchoptimierte Kindheit, die auf sanftestmögliche Weise die kreativen Leistungsträger von morgen hervorbringen soll.

Ada und Yves sind nicht irgendein Paar. Und eigentlich sind sie auch keine echten Menschen. Sie stehen vielmehr für ein Milieu. Eines, das es heute schon gibt, das aber bis in die nahe, unbestimmte Zukunft, in der Dittloffs Roman spielt, seinen Optimierungswahn noch verschärft hat: Gebildete Großstädter, die ihr Leben als ästhetisches Projekt begreifen. Immer mehr Selbsterfahrung wollen sie sammeln, aber bitte nur von der besten Sorte. Es geht darum, die unendlichen Möglichkeiten eines privilegierten Lebens in der westlichen Welt so gekonnt zu managen, dass einem auf dem Sterbebett bloß nichts einfällt, was man verpasst hat.

Eigentlich, sollte man meinen, wäre auch das Kinderkriegen so eine interessante Erfahrung. Mit einem Unterschied: Der Nachwuchs blockiert mit seinem Gesabbere, seinem Geschrei und mit den ganzen Sorgen, die man sich um ihn macht, eben so unglaublich viele andere mögliche Erfahrungen. Kinder sind kein Auslandsaufenthalt und auch keine Affäre. Nichts, was man absagen oder abbrechen kann. Wenn sie einmal da sind, dann bleiben sie - egal, ob man sich noch weitere Erkenntnisse über sich selbst von ihnen verspricht oder nicht. Ada weiß das, ihre Schwester hat Kinder. "Was Lea jetzt wohl tat?, dachte Ada. Wahrscheinlich rannte sie durch die Wohnung und stillte die Bedürfnisse ihrer Nachkommen. Spielzeug, vollgepisste Klamotten, ein permanentes Weinen und Schreien und der Geruch von Scheiße." Ada stößt das ab.

Sollte man Haushalt, Erziehung, Pflege lieber bezahlten Profis überlassen?

Ihr Unwille zur Selbstaufgabe, die die Gesellschaft noch immer vor allem von Müttern erwartet, weist über ihren Hyperindividualismus hinaus. Er verweist zum Beispiel auf die Debatten über Care-Arbeit. Sollten familiärer Haushalt und Kindererziehung, die Pflege von Alten bezahlt werden? Wer soll sie unter welchen Umständen verrichten? Wieso ist sie noch immer hauptsächlich Frauenarbeit? "So viel Zeit, so viel Zeit könnte sie niemals aufbringen, dachte Ada. So viel Zeit und Geduld. Man kann das alles nur leisten, wenn man dafür bezahlt wird."

Damit hat Ada recht. Das Alles-Können wird mit Familie schnell zum Zu-viel-Müssen. Aber welche Konsequenzen will die Gesellschaft daraus ziehen, wenn nicht die, Elternschaft als Job zu definieren, vielleicht auch für Hochqualifizierte, wie es im weißen Schloss geschieht? Und ist das würdevoll und quasi mit Bio-Siegel nur unter so privilegierten Bedingungen wie dort möglich? Es ist bemerkenswert, wie subtil der Roman diese Fragen aufwirft. An anderen Stellen wäre etwas mehr Klarheit aber doch von Vorteil gewesen.

Christian Dittloff lässt sehr viele Fragen offen und bringt seinen Roman damit um einiges. Zum Beispiel um das offene Spiel mit dem Gedanken, dass es auch verlockend sein könnte, durch ein Kind endlich nicht mehr nur an sich selbst zu denken, wie Ada und Yves es ohne Unterlass tun. Auf diesen Gedanken kommen die beiden mit ihren hermetischen, durchgestylten Persönlichkeiten nicht. Auch die für das Thema seines Romans sehr zentrale Frage, warum sie überhaupt ein Kind wollen, bleibt unbeantwortet und man fragt sich alle zwanzig Seiten wieder, ob das nun zum Konzept gehört - ob Dittloff damit sagen möchte, dass die beiden innerlich leer sind und nur ein neues Accessoire für ihr selbstsüchtiges Leben wollen. Oder ob der Autor nicht doch die Intelligenz seiner eigenen Figuren unterschätzt, weil er sie eben lieber als beispielhafte Exemplare der Gattung "Opfer der Selbstoptimierung" darstellt als sie als echte Menschen zu beschreiben.

Das Problem von "Das weiße Schloss" liegt darin, dass der Roman nicht beim Individuum verharren, sondern das ganz große Ganze verhandeln will. Zwischen die Kapitel über Adas und Yves' Weg zum Kind schaltet Dittloff kurze Vignetten aus den Viten von Wissenschaftlern, die entweder zum heutigen Stand der Fortpflanzungstechnologie beigetragen haben, wie der Biologe Oscar Hartwig, oder die, wie die Mathematikerin Ada Lovelace, noch mehr hätten erreichen können, wenn ihre Rolle als Ehefrau und Mutter ihnen nicht im Weg gestanden hätte.

Seine Hauptfiguren aber lässt er abstrakt. Ada denkt über die "Möglichkeiten einer globalisierten Welt" nach. Sie und Yves "trinken verschiedene Longdrinks". Kaum etwas wird konkret. Es ist, als würden die Figuren sediert durch ihre Einzelgänger-Leben wabern. Damit vollzieht Christian Dittloff einerseits formal, was er an seiner fiktiven Welt diagnostiziert. Nur: Das Buch bleibt blutleer dadurch, nirgends lässt es eine Ritze, durch die Aufruhr und Realität dringen könnten. Als Leser bleibt man mit der Wut und auch mit der Genervtheit über diese Schlafwandler-Menschen allein.

"Wir können" heißt das Spiel, das Ada und Yves regelmäßig spielen und mit dem sie sich ihrer Freiheit, ihres Individualismus versichern. Meistens "können" sie Sex in verschiedensten Varianten haben, die Dittloff sehr detailliert beschreibt. Manchmal beenden sie den Satz aber auch weniger fleischlich: "Wir können morgens am Frühstückstisch die Zeitung lesen und über den Krieg reden ohne jemanden zu schonen", sagen sie. "Und wir müssen keine Ecken abrunden oder abkleben und Nachtlichter im Flur installieren". Das klingt in seiner Banalität dann schon wieder fast, als müssten die beiden sich dieses Leben schönreden, dass sie so dringend vor einem tatsächlich anwesenden Kind bewahren wollen.

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Quelle:
SZ vom 13.02.2019
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