Chinesisches Kino:Die Mauer muss weg

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Matt Damon macht in "The Great Wall" mit Muskeln und begrenzter Mimik Blockbusterdienst nach Vorschrift. (Foto: dpa)

Der chinesische Kinomarkt boomt und Hollywood wird nervös. Die Lösung: Der Verbrüderungsblockbuster "The Great Wall". Aber kann das funktionieren?

Von David Steinitz

Nein, die Chinesische Mauer wurde nicht erbaut, um das Kaiserreich vor Nomadenkriegern zu beschützen, wie naive Historiker behaupten. Sondern um eine Invasion von schmatzenden Schleimmonstern zu verhindern, die gerne Menschen fressen. Das stellt der Fantasy-Film "The Great Wall" endlich klar, der in dieser Woche in Deutschland gestartet ist. Darin kämpft ein Söldner aus dem Westen, gespielt von Matt Damon, gemeinsam mit chinesischen Mauerwächtern gegen die Horrorwesen.

Bereits als der Werbetrailer zum Film veröffentlicht wurde, schallte ein wütendes Social-Media-Echo aus dem Netz, das auf die Frage hinauslief, welcher rassistische Hollywoodtrottel sich das denn nun wieder ausgedacht habe: Chinesen, die nur mit der Hilfe eines weißen Mannes gegen Monster kämpfen können?

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Der Ost-West-Blockbuster "The Great Wall" zeigt mehr Hollywoodtouch als asiatische Filmkunst. Lars Eidinger spielt in "Die Blumen von gestern" einen Holocaustforscher, der keinen Spaß versteht.

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Das sei doch ein weiterer Beweis für das inflationäre "Whitewashing" in der amerikanischen Filmindustrie, wo nur weiße Strahlemänner wie Matt Damon Helden sein dürften, beschwerten sich zum Beispiel die asiatisch-stämmigen US-Schauspieler Constance Wu und John Cho auf Twitter. Aber so beschränkt die Besetzungspolitik in Hollywood oft auch sein mag, "The Great Wall" ist dafür kein gutes Beispiel, im Gegenteil. Der Film ist nicht als imperialistische Überlegenheitsgeste eines amerikanischen Filmstudios inszeniert worden, sondern als eine Art Verbrüderungsblockbuster zwischen Ost und West, in dem der weiße Mann aus dem Westen bei den Helden aus dem Osten in die Lehre geht. Regie führt der chinesische Actionspezialist Zhang Yimou.

Netflix und Amazon verzichten vorerst auf den chinesischen Markt - viel zu kompliziert

"The Great Wall" ist eine chinesisch-amerikanische Koproduktion, und zwar die teuerste und aufwendigste, die es bislang gab. 150 Millionen Dollar hat der Film gekostet, obere Blockbusterliga. Gedreht wurde komplett in China, unter anderem in Peking und am Gelben Meer, aber Budget, Filmcrew und Besetzung kommen aus beiden Produktionsländern.

Das Projekt ist der heikle Versuch, den wichtigsten Kinomarkt der Welt (USA) mit dem zweitwichtigsten (China) zu versöhnen. Bislang sahen sich die beiden Länder im Kinobereich mehr als Konkurrenten denn als Partner, vor allem, weil die Chinesen die Amerikaner vermutlich noch in diesem Jahrzehnt als ökonomisch bedeutendste Filmnation überholen werden. Wann genau, kann leider niemand prognostizieren, weil die chinesische Filmbranche zwar wächst und wächst und ein Multiplex nach dem anderen aus Boden gestampft wird, diese Entwicklung aber ziemlich achterbahnförmig verläuft. 2015 zum Beispiel stiegen die Einnahmen der chinesischen Kinos innerhalb eines Jahres um 49 Prozent an. Das ist für europäische und amerikanische Produzenten, die es mit relativ gesättigten Märkten zu tun haben, ein feuchter Traum. Der Erregungszustand nahm allerdings rapide ab, als das Riesenplus 2016 plötzlich auf ein Zwergenplus von nur noch drei Prozent schrumpfte. Vermutlich, weil die Ticketpreise nicht mehr ganz so rasant steigen wie in der Zeit davor, und weil 2016 nicht ganz so viele Topfilme starteten, mutmaßen die Analysten des US-Branchenblatts Variety, das die Zahlen veröffentlichte.

Trotzdem verknüpfen Filmemacher und Investoren mit China weiterhin große künstlerische und kommerzielle Hoffnungen. Allein im letzten Jahr ist die Zahl der Kinoleinwände von gut 31 000 auf etwas über 41 000 angestiegen. Sprich: Das volle Zuschauerpotenzial des gigantischen Landes ist noch längst nicht ausgeschöpft. Um sich diese Massen etwas besser vorstellen zu können: der erfolgreichste Kinofilm des letzten Jahres in China war die Komödie "Mei ren yu/The Mermaid", die mit über 92 Millionen Besuchern mehr Zuschauer hatte als Deutschland Einwohner.

Wer von diesen Zuschauermassen profitieren soll, ist aus Sicht der chinesischen Regierung klar: chinesische Filmemacher. Um die heimischen Künstler zu fördern, werden immer wieder Megaprojekte beschlossen. In der Stadt Chongqing zum Beispiel soll ein gigantischer Studiokomplex inklusive angeschlossenem Vergnügungspark entstehen, wie die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua verkündete. Baubeginn ist im Frühjahr 2017, die Kosten betragen umgerechnet zwei Milliarden Dollar. Gibt es in solchen Großkinofantasien noch Platz für ausländische Filmemacher?

Die mächtigen Konzerne der amerikanischen Unterhaltungsindustrie haben sich an China oft genug die Zähne ausgebissen. Streamingdienste wie Netflix und Amazon, die fast auf der ganzen Welt verfügbar sind, verzichten zumindest vorerst auf den riesigen chinesischen Markt, weil ihnen das staatliche Geflecht aus Regularien und Zensur derzeit zu kompliziert ist. Zudem haben chinesische Video-Dienste wie iQIYI und Youku Tudou bereits Hunderte Millionen Nutzer.

So scheu agieren die klassischen Kinostudios in Hollywood zwar nicht, aber auch ihnen machen die protektionistischen Maßnahmen der Regierung zu schaffen. Dazu gehört zum Beispiel, dass pro Jahr nur etwa drei Dutzend ausländische Filme in China starten dürfen, und auch das nur unter der Lizenz von chinesischen Verleihen, die ihre Starttermine behördlich vorgeschrieben bekommen. Durch diese Maßnahmen sollen heimische Filmemacher belohnt werden, denen oft die zuschauerreichen Startwochen im Sommer und Ende des Jahres vorbehalten bleiben. Dabei schauen die Chinesen sehr gerne amerikanische Filme. In den Top Ten von 2016 sind insgesamt vier ausländische Produktionen vertreten, die alle aus den USA kommen. Am besten liefen das Superheldenspektakel "Captain America: Civil War" und der Disney-Trickfilm "Zoomania".

Manchmal lieben die Chinesen das amerikanische Kino sogar ein bisschen zu sehr, wovon die Anwälte des Disney-Konzerns ein Lied singen können. 2015 kam der chinesische Animationsfilm "The Autobots" ins Kino, der wohl nicht ganz zufällig genauso aussah wie der Disney-Pixar-Hit "Cars". Der Regisseur Zhuo Jianrong behauptete vor einem Gericht in Shanghai zwar standhaft, er habe ein Werk namens "Cars" nie gesehen, aber die Kopie war so dreist, dass Disney den Rechtsstreit gewann. Ein Glücksfall, denn ausländische Firmen haben es oft nicht leicht bei Urheberrechtsverletzungen in China.

Eine ökonomische und künstlerische Win-win-Situation?

Weil aber trotz aller Schwierigkeiten die Amerikaner weiterhin Geld machen wollen und die Chinesen wohl auch künftig amerikanische Filme schauen möchten, ist das Actionabenteuer "The Great Wall" der logische Versuch, eine ökonomische und künstlerische Win-win-Situation herzustellen. Verdienen können an dem Film beide Länder, und die chinesische Regierung, die solche Deals absegnen muss, ist froh über jeden Blockbuster, der nicht in New York oder Los Angeles spielt, weil sich das amerikanische Luxuslotterleben eher schlecht mit der Weltsicht des Kommunistischen Partei verträgt.

Letzten Herbst wurde zudem ein neues Kinogesetz verabschiedet, das eine Kooperation auch für die Amerikaner fast unausweichlich macht. Darin stehen altbewährte Propaganda-Standardfloskeln der Kommunistischen Partei, etwa dass Filme "dem Volk und dem Sozialismus" zu dienen haben und Filmemacher eine "exzellente moralische Integrität und Selbstdisziplin" unter Beweis stellen müssten. Darin steht aber auch, dass ausländische Filmemacher bestraft werden sollen, wenn sie "Chinas nationale Würde, Ehre und Interessen verletzen", sowie dass ausländische Produktionsfirmen schlechter gestellt werden als chinesische, es sei denn sie sind Partner in einer offiziell genehmigten Koproduktion.

Der amerikanische Produzent Thomas Tull, der die Idee zu "The Great Wall" hatte und mit seiner Produktionsfirma Legendary Pictures unter anderem die Batman- Filme von Christopher Nolan und die "Hangover"-Reihe produziert hat, eröffnete deshalb schon 2011 vorausschauend ein Büro in Hongkong unter dem Namen Legendary East. Diese Firma hat nun gemeinsam mit der China Film Group Corporation in Peking "The Great Wall" gestemmt. Diese Annäherung ist historisch betrachtet weniger ein neuer Abschnitt in der chinesischen Kinogeschichte als eine Rückkehr zu ihren Anfängen. Denn im Gegensatz zu anderen, älteren Kunstsparten wie der Literatur war der chinesische Film von Anfang an sehr westlich geprägt. Das fing schon mit der ersten Filmvorführung in China an, als im August 1896 im Xu-Vergnügungspark in Shanghai importierte Kurzfilme der Brüder Lumière aus Paris gezeigt wurden. Über Shanghai kamen dann immer mehr ausländische Filmemacher und Verleiher ins Land, die das chinesische Kino bis Ende der Vierzigerjahre prägten, zunächst aus Japan und Deutschland, ab den Dreißigern vor allem aus Nordamerika. Die meisten Produktionsfirmen in der Frühphase des chinesischen Films waren Gemeinschaftsunternehmen.

Matt Damon lässt sich mit geografisch neutralen Kalendersprüchen verführen

Aber auch als nach und nach rein chinesische Filmfirmen entstanden, pflegten diese das exotische amerikanische Kino als Vorbild. Es gab diverse Kopien des Stummfilmslapsticks aus Hollywood, und das zweiteilige Epos "Die Wasser des Frühlingsstroms fließen nach Westen" von 1947/48 kann man durchaus als eine chinesische Variation von "Vom Winde verweht" bezeichnen. Natürlich sind in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch stark sozialistisch geprägte Filme entstanden, über Arbeiter, Bauern, Soldaten. Auch gab es Phasen, als die Spielfilmproduktion fast ganz eingestellt wurde, zum Beispiel in den frühen Jahren der Kulturrevolution Ende der Sechziger. Aber als in den Achtzigerjahren der chinesische Kinobetrieb immer weiter kommerzialisiert wurde, erinnerte man sich im Mainstream-Kino gerne wieder an die westlichen Vorbilder.

Den aktuellen Zwischenstand dieser kulturellen Entwicklung kann man nun an "The Great Wall" ablesen. Regisseur Zhang Yimou, der mit Bombastspektakeln wie "Hero" und "House of Flying Daggers" den Balanceakt zwischen chinesischem Autorenkino und Hollywoodeffekten geübt hat, nähert sich vor chinesischer Kulisse noch mal ein gutes Stück den amerikanischen Mainstreamformeln an. Die Geschichte um die Mauermonster ist hanebüchen, aber auch wurscht. Denn es sind ja die Effekte, die knallen sollen und es auch tun. Matt Damon macht mit Muskeln und begrenzter Mimik Blockbusterdienst nach Vorschrift und lässt sich von der chinesischen Starschauspielerin Tian Jing mit geografisch neutralen Kalendersprüchen verführen ("Ein Mann muss lernen zu vertrauen, bevor man ihm vertrauen kann").

Künstlerisch ist der Film von einer erschreckenden Mutlosigkeit, die Stärken des amerikanischen und des chinesischen Kinos werden zugunsten des kleinsten gemeinsamen Mainstream-Nenners glattgebügelt. Was nichts Gutes für die weiteren Gemeinschaftsproduktionen ahnen lässt, die aus kommerziellen Gründen natürlich längst geplant sind. Die Regiebrüder Joe und Anthony Russo zum Beispiel, die mit ihrem "Captain America" schon viel Erfolg in China hatten, wollen mit den chinesischen Huai-Brüdern Filme im Geschwisterquartett produzieren. Die Firma Alibaba in Hangzhou hat den "Harry Potter"-Produzenten David Heyman als Berater rekrutiert. Und das Hollywood-Studio Sony hat gleich einen ganzen Haufen chinesischer Drehbuchautoren mit einem Schreibstipendium nach Los Angeles geholt.

© SZ vom 14.01.2017 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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