China: Repression gegen Uiguren:Vergessen von der Welt

Im Westen herrscht eine Unaufmerksamkeitskultur in Bezug auf China. Die Auseinandersetzungen um Tibet, Taiwan, Falun-Gong und die Demokraten sind hierzulande bekannt, nur von dem ungleichen Kampf, den die Muslime im Norden führen, weiß kaum jemand.

Alex Rühle

Zum Beispiel Ershidin Israel. Schon mal gehört? Natürlich nicht. Kein Europäer hat je von dem Mann gehört. Außer ein paar Exil-Uiguren, die kürzlich eine Petition verfasst haben, in der sie den kasachischen Staat bitten, den 38-jährigen Lehrer nicht an China auszuliefern, weil er dort wahrscheinlich spurlos im Lagersystem verschwinden werde.

Neue Proteste im Nordwesten Chinas

Seit den gewaltsamen Protesten im Juli 2009 hat sich die Situation in der Provinz Xinjiang stark verschlechtert. Pech nur für die Uiguren, dass das außerhalb Chinas kaum jemand mitbekommt.

(Foto: dpa)

Ershidin Israel hatte Radio Free Asia Informationen über den Foltertod eines Uiguren zugespielt und war dann nach Kasachstan geflohen. Der Weltkongress der Uiguren schreibt in seiner Petition, er bitte "die internationale Gemeinschaft, für Ershidin Israel aufzustehen und die kasachischen Autoritäten zu veranlassen, Israel nicht zurückzuschicken." Die internationale Gemeinschaft ist nicht aufgestanden. Niemand hat darüber berichtet.

Ohne einen Aushang an einer Münchner Hauswand würde sein Name auch nicht hier stehen. Where is Ai Weiwei? stand da, es war einer dieser kopierten Zettel, die kurz nach Ai Weiweis Verhaftung überall auftauchten und in denen man aufgefordert wurde, die chinesische Botschaft anzurufen, um sich für die Freilassung des Künstlers starkzumachen.

Gute Idee, richtige Idee, sofort anrufen. An den Rand eines der Zettel hatte jemand mit Kugelschreiber geschrieben: "Und was ist mit all den verschwundenen Uiguren?" Uiguren? Wer waren denn die noch mal gleich?

Vorab so klar, so deutlich wie nur irgend möglich: Ai Weiwei ist sicher einer der wichtigsten Künstler unserer Tage, der seit Jahren sein Leben und seine Freiheit für seine politischen Werke riskiert. Und auch die unzähligen Aktionen, die momentan für seine Freilassung stattfinden, sind wichtig. Protest gegen Unrechtsregime hat sich oft schon am Engagement für Einzelne festgemacht.

Bald Minderheit im eigenen Land

Wenn die Leute seinerzeit die Freilassung von Nelson Mandela forderten, heißt das nicht, dass ihnen all die anderen inhaftierten Schwarzen egal gewesen wären, im Gegenteil, Mandela stand immer auch für sie alle. Wer sich für Vaclav Havel starkmachte oder für die Befreiung von Aung San Suu Kyi, der unterstützte damit symbolisch die tschechoslowakische oder birmanische Opposition. Und doch - irgendwie setzte sich dieser Satz fest: "Und was ist mit all den verschwundenen Uiguren?"

Die Uiguren sind ein Turkvolk, das im Westen Chinas lebt, in einer Gegend, die viereinhalb mal so groß ist wie die Bundesrepublik, 1949 okkupiert wurde und seither offiziell Autonomes Gebiet Xinjiang heißt. Schon im Namen der Provinz macht China keinen Hehl aus seiner Annexionspolitik: Xinjiang heißt "Neues Gebiet" oder"Neue Grenze". Die Uiguren selbst nennen ihr Land Ostturkestan.

Xinjiang ist die flächenmäßig größte chinesische Provinz, es gibt riesige Öl- und Gasvorkommen und die uigurische Bevölkerung hat mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen wie die Tibeter: Die aggressive Ansiedlungspolitik der Pekinger Zentralregierung führt dazu, dass die zehn Millionen Uiguren in ihrer Heimat bald Minderheit sein werden.

Die Uiguren werden den Han-Chinesen gegenüber auf allen Ebenen benachteiligt. von freier Meinungsäußerung, Religionsfreiheit und einem gerechten Bildungssystem können sie nur träumen.

An uigurischen Universitäten, Schulen und Kindergärten ist Han-Chinesisch offizielle Unterrichtssprache. Allein in der Hauptstadt Urumqi stehen mehr als 55.000 Überwachungskameras, schließlich zählen die Uiguren zu den "fünf Giften", wie die Regierung ihre Hauptgegner umschreibt: Uiguren, Falun-Gong-Anhänger, Leute, die es wagen, von Taiwan als eigenem Staat zu sprechen, Anhänger der Demokratiebewegung und Befürworter eines freien Tibet.

Leer wie die Taklamakanwüste

Warum gibt es so viele Tibetinitiativen aber kaum etwas über die Uiguren? Weil die Uiguren keinen Dalai Lama haben? Weil sie Muslime sind und keine Buddhisten? Weil das Land sich als Marke nicht so effektiv in Szene setzen lässt wie Tibet?

Wenn man das so formuliert, klingt es, als seien die Tibeter clever-zynische Branding-Experten. Eher ist es so, dass die Himalayahochebene namens Tibet einfach das Glück hatte, sich unter dem Licht unserer gierigen Projektionsscheinwerfer in ein spirituelles Wellnessparadies zu verwandeln. Xinjiang dagegen ist bis heute ein weißer Fleck - ein Assoziationsraum, leer wie die Taklamakanwüste, die Teil der kargen Provinz ist.

Ein kleines Büro in der Nähe des Münchner Hauptbahnhofs. Hier hat der "Weltkongress der Uiguren" (WUC) seinen Sitz. Weltkongress, das klingt nach UNO, Brüssel oder Genf, aber bestimmt nicht nach den schäbigen Schränken, die in dem engen Flur stehen.

Der Weltkongress besteht im Grunde aus vier Mitarbeitern und ein paar alten Computern. Sie haben ihr Büro hier aufgeschlagen, weil in München die größte uigurische Exilgemeinde außerhalb Asiens lebt: Während des Kalten Krieges hatte Radio Free Europe ein uigurisches Programm aufgebaut, das bis Zentralasien sendete. So bekam München für viele Uiguren eine Aura, wie sie andernorts in jenen Jahren vielleicht New York besaß. Europa, das hieß München, so dass heute über 500 Uiguren hier leben.

Dolkun Isa, der Generalsekretär des WUC, ist selbst Flüchtling und auf die Frage, ob er einen eventuell in Kontakt bringen könne mit Uiguren, die Ähnliches zu erleiden hatten wie das, was Ai Weiwei aller Wahrscheinlichkeit nach gerade widerfährt, stutzt er kurz und sagt dann: "Da können sie eigentlich jeden von uns fragen."

Gut. Fragen wir zwei von ihnen, fragen wir B.K. und Gülnihal Ablet. Hinter den beiden stehen an einer Tafel ein paar halbverwischte Sätze aus einer Deutschklasse, die man als unfreiwilliges Gedicht eines Exilanten lesen könnte:

Wo ist der Koffer?

Das Buch ist nicht hier.

Wer bist Du?

Was tust Du?

Dein Geist

Unbekannt

Wer bist du? Was tust Du? B. K. möchte seinen Namen nicht in der Zeitung sehen, weil er Angst hat, dass die chinesischen Behörden Rache nehmen an seiner Frau und seinen Söhnen, die er zuletzt in der Nacht vom 16. September 1993 gesehen hat, der Nacht, in der 12 Polizisten kamen und ihn mitnahmen. Sein Verbrechen: Er hatte eine Beschwerde bei der autonomen Regierung eingereicht, die um eine Frage kreiste: Warum verbietet die chinesische Regierung alle religiöse Unterweisung, obwohl das chinesische Grundgesetz Religionsfreiheit garantiert? Die Regierung antwortete nicht. Stattdessen kamen die 12 Polizisten.

Die Haft, die Folter, es bricht aus B.K. heraus, als habe das Schweigen in ihm sich über die Jahre zusammengezogen wie eine rostige Feder, die plötzlich aufspringt, der Dolmetscher kommt kaum hinterher, die Nächte, in denen B. auf dem Betonboden knien musste, mit ausgestreckten Armen, die Handschellen, die nicht an den Handgelenken festgemacht wurden, sondern über den Fingerknöcheln, die Eimer eisigen Wassers.

Bitterkeit gegessen

B.'s Mund wird klein beim Erzählen, wenn man ihm zuhört, muss man an das chinesische Sprichwort denken, jemand habe Bitterkeit gegessen. B'.s Kinder sind mittlerweile volljährig, der ältere Sohn wird regelmäßig verhört wegen des angeblich gemeingefährlichen Vaters, der als Fabrikarbeiter in München sitzt und nach einer Viertelstunde den wildfremden Journalisten fragt, ob der ihm Angela Merkels Adresse geben könne, seine Kinder seien in Gefahr.

Gülnihal Ablet sitzt zunächst stumm neben B.K., fast wie ein scheues Tier, das im unsichtbaren Scheinwerferlicht eines längst vergangenen Schreckens erstarrt zu sein scheint. Aber sobald sie anfängt zu erzählen, kann auch sie nicht mehr aufhören.

Ablet war im Juli 2009 mit ihrem Bruder bei den Demonstrationen in Urumqi dabei, bei denen Han-Chinesen und Uiguren ums Leben kamen. Danach wurde Xinjiang für 10 Monate von der Außenwelt abgeschnitten, kein Internet, kein Handynetz, es gab Schauprozesse, Tausende wurden verhaftet, viele sind bis heute verschwunden, so wie auch Ablets Bruder, den sie zuletzt am Tag der Demonstration gesehen hat. Niemand weiß, wo er sich befindet und ob er noch lebt, die Familie erhielt nur ein Formschreiben, dass er im Gefängnis sei.

Offene Bespitzelung

Ablet zog nach den Zusammenstößen zusammen mit anderen Frauen, deren Männer oder Brüder verschwunden waren, vor das Gebäude der Provinzregierung. Die friedliche Demonstration wurde gewaltsam aufgelöst, die chinesische Staatssicherheit hängte tags darauf in der Stadt Fotos der Demonstrantinnen auf.

Ablet versteckte sich wochenlang in der Wohnung einer Cousine, schlug sich nach Peking durch, wo sie eineinhalb Jahre lang illegal lebte, bis sie das Geld für zwei Schlepper zusammen hatte, die sie nach Deutschland brachten. Im März dieses Jahres bat sie hier um Asyl.

Seit den Ausschreitungen vom Juli 2009 hat sich die Situation in Xinjiang eindeutig verschärft. Was man bis in diese Räume am Münchner Hauptbahnhof spüren kann: Nach den Demonstrationen hinterließen Anrufer beim WUC Botschaften auf chinesisch, in denen sie drohten, den Mitarbeitern werde es "so ergehen wie den Uiguren in der Heimat, wir wissen, wo euer Büro ist."

Die chinesische Regierung weiß überhaupt verblüffend viel über die Arbeit des Weltkongresses. Der WUC wird nicht nur bespitzelt, die chinesische Botschaft bemüht sich nicht einmal darum, diese Spitzelarbeit zu vertuschen: Als im November 2006 zwölf Grünen-Abgeordnete eine Einladung zum Weltkongress der Uiguren erhielten, wurde der damalige Generalkonsul Huiqun Yang umgehend mit einer Liste aller Eingeladenen bei den Grünen vorstellig und drohte, dies stelle eine ernste Belastung der deutsch-chinesischen Beziehungen dar.

Den Namenlosen ein Gesicht geben

Man kann auf die Schilderung solcher Geschichten mit Robert Gernhardts Frage kontern: "Ja, bin ich denn das Weltgewissen?" Natürlich nicht. Aber wenn man den Begriff der Aufmerksamkeitsökonomie weiterdenken möchte, könnte man sagen, Ai Weiwei hat ein geradezu bizarres Aufmerksamkeitsmonopol inne. Ganz München hängt voll mit Plakaten, Postern, Aufrufen, fast so, als sei er der Pandabär des internationalen Kunstbetriebs.

Könnte man nicht einen Teil dieses Engagements umleiten, etwa auf den Schriftsteller Nurmuhemmet Yasin, der wegen seiner Kurzgeschichte "Wildtaube" zu 10 Jahren Haft verurteilt wurde?

Weiweis Aufmerksamkeitsmonopol ist auch deshalb so merkwürdig, als es Weiwei in vielen seiner Aktionen der letzten Jahre darum zu tun war, selbst nurmehr wie ein Mediator oder Scheinwerfer zu funktionieren, mit seinem Ruhm die im Dunkeln anzustrahlen, namenlosen Opfern ein Gesicht zu geben: Nach dem Erdbeben von Sichuan schickte er Freiwillige aus, damit sie die Namen aller gestorbenen Schülerinnen und Schüler sammeln.

Petitionen nur nach hartem Lobbying

Ai selbst sagt übrigens, er verdanke seinen oppositionellen Geist der Erfahrung der Verbannung und Willkür: Als er zwei Jahre alt war, wurde sein Vater, der Dichter Ai Qing, zusammen mit der Familie für 18 Jahre in den äußersten Westen des Landes deportiert - nach Xinjiang, ins Land der Uiguren.

Zu Ai Weiwei hat das Europaparlament am 7. April, also schon wenige Tage nach seinem Verschwinden eine Petition verabschiedet. Um eine ähnliche Petition zur Lage der Uiguren zu formulieren, hat es viele Monate gedauert und, so die WUC-Mitarbeiterin Jana Brandt, "es war sehr harte Lobbyarbeit, das Parlament überhaupt so weit zu bringen."

Ershidin Israel übrigens wurde vor sieben Tagen, am 31. Mai, von der kasachischen Regierung an China ausgeliefert. Und Gülnihal Ablets Asylgesuch wurde soeben abgelehnt.

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