China: Nach der Festnahme von Ai Weiwei:Lasst uns über was anderes reden

Nur nicht den Namen aussprechen: Der Umgang mit dem Thema Ai Weiwei fällt deutschen Kunst-Funktionären in Peking schwer. Wie sollen sie sich zum Künstler bekennen, ohne den chinesischen Machthabern zu deutlich auf die Füße zu treten?

Henrik Bork, Peking

Caochangdi Nummer 258 ist die Adresse des Ateliers von Ai Weiwei in Peking. Genau um die Ecke, in Caochangdi Nummer 255, liegt die Galerie "White Space Beijing". In 258 herrscht an diesem Samstag eine bedrückende Atmosphäre. Es ist noch keine Woche her, dass der berühmte Künstler und Regimekritiker festgenommen wurde. Wer an das Eisentor zu dem verklinkerten Studiokomplex klopft, wird zunächst durch einen Spalt im Tor vorsichtig beäugt, bevor er eingelassen wird. Die Mitarbeiter des Künstlers, plötzlich arbeitslos geworden, stehen im Innenhof in kleinen Gruppen zusammen und reden darüber, wie es weitergehen könnte.

China: Nach der Festnahme von Ai Weiwei: In der Londoner Tate Modern liegen Ai Weiweis Sonnenblumenkerne. Auf der Installation finden sich Flugblätter, in denen, wie von diesem Demonstranten, China zur Freilassung des Künstlers aufgefordert wird.

In der Londoner Tate Modern liegen Ai Weiweis Sonnenblumenkerne. Auf der Installation finden sich Flugblätter, in denen, wie von diesem Demonstranten, China zur Freilassung des Künstlers aufgefordert wird.

(Foto: AFP)

In 255, einen Steinwurf entfernt, findet am selben Tag ein Salon statt, also auch eine Diskussionsveranstaltung im kleinen Kreis. Die Stiftung Mercator aus Essen hat dazu eingeladen. Die Galerie "White Space Beijing" der Galeristen Alexander Ochs und Tian Yuan hat ihre modernen, weiß gestrichenen Räume dafür bereitgestellt. "Aufklärung im Dialog" steht auf einem großen Plakat, das über dem Podium hängt.

Die Reihe von insgesamt zehn Salons ist ein Teil des Begleitprogramms zu der großen deutschen Ausstellung "Kunst der Aufklärung". Die wird von den Staatlichen Museen zu Berlin, den Staatlichen Kunstsammlungen Dresden und der Bayerischen Staatsgemäldesammlung München gerade am Pekinger Platz des Himmlischen Friedens gezeigt. Sie ist vor allem wegen der Festnahme Ai Weiweis in die Kritik geraten. Außenminister Guido Westerwelle hatte ein Forum am Rande der Ausstellung eröffnet, als der Künstler verschwand.

Auch die zehn Salons, die über ein Jahr verteilt stattfinden sollen, sind daher nun politisch brisant geworden. Man wolle "anknüpfend an den Gedanken des Aufklärungssalons" einen "offenen Diskursraum" schaffen, sagt Mercator-Geschäftsführer Bernhard Lorentz. Doch Ai Weiwei und seine Festnahme sind stets präsent, sie geistern am Samstag wie ein dunkler Schatten auf einem Holzschnitt von Käthe Kollwitz durch alle Begrüßungen, Vorträge und Diskussionsbeiträge des Salons.

Weil man einerseits das kritische Format der Salons verteidigen, andererseits aber den chinesischen Machthabern in ihrer eigenen Hauptstadt nicht zu deutlich auf die Füße treten will, meiden die meisten deutschen Redner den Namen Ai Weiwei und flüchten sich in Umschreibungen.

Versiegelte Lippen

Er bedaure sehr, dass "viele Freunde aus der Pekinger Kunstszene aus verschiedenen Gründen heute nicht bei dieser Veranstaltung dabei sein können", sagt etwa Michael Schäfer, der deutsche Botschafter in Peking. Den Namen Ai Weiwei spricht er nicht aus.

Auch Moderator Michael Kahn-Ackermann vom Goethe-Institut in Peking, der noch vor kurzem die Nähe des berühmten Künstlers in der Nummer 258 gesucht hatte, bringt am Samstag in der Nummer 255 die drei Silben Ai Weiwei nicht über die Lippen. "Rückschläge in den Beziehungen zwischen China und Deutschland hat es in der Vergangenheit gegeben, gibt es heute und wird es auch in der Zukunft geben", sagt Michael Schwarz, der Leiter des Kompetenzzentrums Internationale Verständigung der Mercator-Stiftung. Er steht unter einem Plakat mit der Aufschrift "Aufklärung im Dialog", und auch er nennt den Namen Ai Weiwei nicht. Es gebe trotzdem "keine Alternative" dazu, das Gespräch zu suchen.

Die Stiftung Mercator erwägt, mittelfristig einen Antrag für die Eröffnung eines eigenen Büros in Peking zu stellen und hat schon mehrere Sinologen angeheuert. Das könnte die Vorsicht bei den Einladungen zu den Foren und Salons in China erklären. Immerhin war Ai Weiwei als Zuhörer eingeladen, nicht aber als Redner.

Erst später, in einem Vortrag, wird der berühmteste Gegenwartskünstler Chinas dann explizit erwähnt. Man debattiert, denn dies ist das Thema des Salons, über den Einfluss von Käthe Kollwitz auf die Holzschnitte von Lu Xun und Fang Lijun. In einem gelungenen Diavortrag bemüht sich Heinrich Schulze Altcappenberg, der Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts, das Thema zu aktualisieren. Er stellt den Reproduktionen der Holzschnitte von Kollwitz und Fang mehrmals Fotos aus der Ausstellung "Sonnenblumenkerne" Ai Weiweis gegenüber, auch wenn nicht ganz klar wird, was die nun mit den Holzschnitten zu tun haben.

Angst vor der "Kunst der Aufklärung"

Die Sonnenblumenkerne aus Porzellan liegen gerade in der Tate Modern in London. Für diejenigen im Publikum, die bereits wissen, dass an der Außenwand des Londoner Museums seit ein paar Tagen groß der Schriftzug "Release Ai Weiwei" prangt, wirken Schulze Altcappenbergs Dias wie ein verklausuliertes Bekenntnis zu dem Künstler. Ob es so gemeint ist, bleibt offen. Eine Ausstellung der Werke Ai Weiweis, die der Galerist Ochs und andere zu Beginn der Planung für die Zeit des Salons angeregt hatten, war von den drei deutschen Museumsmachern der "Kunst der Aufklärung" abgelehnt worden.

Nervöse deutsche Veranstalter

"Es wäre unfair, diese Salons mit der Legitimation der Aufklärungsausstellung am Platz des Himmlischen Friedens zu überfrachten", sagt der Galerist Alexander Ochs. Zu Recht, denn Dialog ist immer noch besser als kein Dialog, auch wenn diesmal nur etwa 60 Personen gekommen sind, darunter mehr Deutsche als Chinesen. Die Chinesen hatten entweder Angst bekommen, weil die "Kunst der Aufklärung" inzwischen zu einem Politikum wurde, oder sie waren gar vor dem Besuch des Salons gewarnt worden.

Die deutschen Veranstalter, allen voran die Stiftung Mercator, wirken nervös. Dem Galeristen Ochs haben sie vorsichtshalber geraten, nicht zu viel mit der Presse zu plaudern. "Ich habe ihm nur die Galerie gezeigt", sagt Ochs scherzhaft zu Michael Schwarz von Mercator, als der ihn in Begleitung eines deutschen Journalisten antrifft.

Der zu Beginn als "Spiritus Rector" der Salonreihe gerühmte Sinologe Michael Lackner aus Erlangen blieb gleich daheim. Er entschuldigte sich mit gesundheitlichen Problemen. Allzu traurig scheint er allerdings nicht darüber zu sein, dass er nicht kommen konnte. Von daheim aus, am Telefon, hatte er über die Ausstellung "Kunst der Aufklärung" nebst Begleitprogramm nicht mehr viel Gutes zu sagen. "Wir Deutschen sind da doch gerade vorgeführt worden wie ein Vasallenstaat. Die Vasallen durften früher in China immer ihre Pelze abliefern und dann wurden sie am Ende abgewatscht, um ihnen ihre Grenzen zu zeigen." Der Mann weiß, wovon er redet. Er beschäftigt sich schon seit langem wissenschaftlich mit dem chinesischen Tributsystem.

Nebenan, im Atelier von Ai Weiwei mit der Nummer 258, bleiben die Mitarbeiter des Künstlers an diesem Tag unter sich. Erst am Vortag war wieder die Polizei da und hat sie verhört. Die kommunistische Führung suche offenbar nach Material für einen möglichen Schauprozess, sagen sie. Immer wieder geht einer von ihnen zu dem Spalt am Tor und lugt nach draußen, ob das Auto von der Staatssicherheit gerade wieder vor dem Haus steht.

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