China auf der Buchmesse:Geld über Moral

Zukunftsmarkt und Zensur: In der Hoffnung, die Wirtschaftsmacht China literarisch erobern zu können, unterwirft sich die Frankfurter Buchmesse dem chinesischen Diktat.

Andrian Kreye

Wenn der Leiter der Frankfurter Buchmesse Jürgen Boos auf dem Höhepunkt des Eklats erklären lässt, man wolle mit und nicht über China sprechen, dann folgt er einer Logik, welche die deutsche Chinapolitik schon länger bestimmt. Zu mächtig ist die Wirtschaftsmacht China, als dass man es sich aus reiner Prinzipienreiterei über die Themen Meinungsfreiheit, Urheber- und Menschenrechte mit ihr verderben will.

Das zeigte sich schon im Frühjahr 2006, als die Regierung Bush die deutsche Regierung aufforderte, von ihrem hohen moralischen Ross zu steigen und uigurische Häftlinge aus Guantanamo aufzunehmen. Deutschland verweigerte. Aus ähnlichen Gründen hat die Buchmesse diese Woche zwei unliebsame chinesische Autoren auf Druck des offiziellen China gebeten, nicht zu einem Symposium am Samstag zu erscheinen.

Eroberung des wichtigsten Zukunftsmarkts

Als Chef der Buchmesse muss Goos das veranlassen. Die Buchmesse ist weder ein Kultur- noch ein Wohltätigkeitsverein. Sie ist eine Handelsmesse. Es geht in diesem Jahr selbstverständlich nicht darum, der literarischen Welt die Kultur- und Buchnation China vorzustellen. Es geht darum, den deutschen und internationalen Verlagen dabei zu helfen, den wichtigsten Zukunftsmarkt auf diesem Planeten zu erobern.

Selbst wenn die chinesischen Lizenzen auf das Einzelexemplar umgerechnet nur Centbeträge einbringen, macht die Masse den Buchmarkt China zur verlagskaufmännischen Pflicht. Und trotzdem führt der vorsichtige Umgang mit der Handelsmacht China hier auf einen Weg, der der Buchbranche langfristig schaden könnte. Bücher sind kein Transrapid, für den man politische Kompromisse eingehen kann.

Es wären sicher nicht die Literaten, die Intellektuellen oder die anspruchsvollen Sachbuchautoren, die sich einem eventuellen Diktat chinesischer Zensoren beugen würden. Da schützt oft schon die wirtschaftliche Erfolglosigkeit vor derlei Einflüssen. Es wären die Unterhaltungsautoren, die sich überlegen könnten, dass der sinistre Auftragskiller in ihrem Thriller nicht aus Peking, sondern aus Moskau kommt, dass der verrückte Wissenschaftler kein Chinese, sondern ein Inder ist, dass die deftige Sexszene vielleicht nur angedeutet werden muss.

Bücher wirken in der Breite, nicht in der Tiefe

Dass die Unterhaltungsliteraten sich von solchen Gedanken durchaus leiten lassen, zeigen sie schon seit Jahren. Nicht China, sondern Hollywood war bisher der Markt, auf den sie schielten. Das hatte bisher nur formale Folgen. Viele Thriller und Romantikbücher folgen in Struktur und Stil schon den Regeln des Drehbuchs. Innere Monologe werden durch Dialoge ersetzt, atmosphärische Beschreibung durch Aktion, Spannungsbögen verlaufen streng nach Hollywoodroutine in drei Akten.

Man könnte einwenden, dass es sich bei diesen Büchern um kurzlebigen Schund handelt. Doch diese Bücher wirken nicht in ihrer Tiefe, sondern in ihrer Breite. Sie werden zwar nicht über Jahrzehnte und Jahrhunderte gelesen, sondern über Wochen und Monate. Das aber von Massen. Das ist auch die Sorte von Büchern, die am ehesten verfilmt werden und so über Kino, DVD und Fernsehen weitere Massen erreichen.

Wenn die Buchbranche aber schon bei den ersten Begegnungen mit dem Wirtschaftsgiganten China eine so devot marktwirtschaftliche Haltung einnimmt, dann unterwirft sie die Branche präventiv dem Diktat eines Wertekanons, das es im Verlagswesen nicht geben darf. In der Politik sind die finanziellen Argumente Chinas Geheimwaffe. Das zeigte sich zuletzt bei den Friedensverhandlungen in Sri Lanka, wo Menschenrechtler verzweifelten, weil der wirtschaftliche Hebel Europas und Amerikas nicht mehr griff. Wer sich mit China einen Handelspartner suchen kann, für den Grundrechte kein Thema sind, muss sich keinem Menschenrechtsdiktat des Westens beugen. Das aber ist eine Kultur, die uns so fremd ist, dass sie in unserer Kulturindustrie nichts zu suchen hat.

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