China auf der Buchmesse:Autoren auf der Abschussliste

Zensur über die Grenzen hinaus: China übernimmt die Kontrolle über die Einladungspolitik der Frankfurter Buchmesse. Chinesischen Autoren wird ein Maulkorb verpasst.

Henrik Bork

Das wichtigste Literaturspektakel des kommenden Herbstes sollte umbenannt werden. ,,Frankfurter Buchmesse, Ehrengast China'' stimmt nicht mehr so ganz. ,,Pekinger Buchmesse, diesmal zu Gast in Frankfurt'' wäre ehrlicher. Denn die Kommunistische Partei Chinas hat bei der Frankfurter Buchmesse teilweise die Kontrolle übernommen. Dies aber mit bewundernswerter Direktheit. Die Chinesen bestimmen, welcher Chinese in Frankfurt reden darf und wer nicht. Die Einladungspolitik der Frankfurter Buchmesse wird neuerdings von der obersten Zensurbehörde in Peking geprüft, verworfen, korrigiert und neu formuliert, ganz nach dem Gutdünken der Genossen. Ein Anruf genügt. Oder, in schweren Fällen, der Besuch eines Kaders im Pekinger Verbindungsbüro der Buchmesse. Dann aber werden der Partei unangenehme Störenfriede sofort von der Rednerliste gestrichen.

Bei Ling Frankfurter Buchmesse, Foto: dpa

Der Autor Bei Ling wird von der Frankfurter Buchmesse ausgeschlossen. Damit entsprechen die Veranstalter dem Wunsch des Gastlandes China.

(Foto: Foto: dpa)

Zunächst ist Dai Qing ausgeladen worden. Die Umweltjournalistin lebt in Peking und hat dort Publikationsverbot für ihre Bücher. Von der KP geduldet, hat sie sich dennoch als eine Art ,,grünes Gewissen'' der Volksrepublik etabliert. Eigentlich ist sie ein Beispiel für bescheidene Fortschritte in Sachen Meinungsfreiheit in China. Warum Peking nun ausgerechnet in ihrem Fall die Notbremse ziehen wollte, ist schwer nachvollziehbar. Aber gut, es ist ja auch schwer nachvollziehbar, warum Peking immer wieder andere Schriftsteller und Journalisten verhaftet und einsperrt, nur weil sie ihre Meinung gesagt oder geschrieben haben. Zensoren erklären sich nicht. Sie zensieren.

Seit einiger Zeit schreibt Dai Qing auch viel über die jüngere Geschichte ihres Landes, traditionell eines der sensibelsten Themen für die kommunistische Führung. In Frankfurt, auf einem von der Buchmesse, dem deutschen PEN-Zentrum und dem chinesischen ,,Ehrengastkomitee'' veranstalteten Symposium, sollte sie an diesem Wochenende über Literatur reden. Das chinesische "Amt für Presse und Publikation", kurz GAPP genannt, drohte der Buchmesse, "wenn diese Dame komme", bleibe die zehnköpfige offizielle Delegation aus China daheim.

Die Frankfurter Buchmesse reagiert mit dem Versuch, Dai Qing höflich zum Verzicht auf ihre Teilnahme zu überreden. Ein Einladungsschreiben ging zwischen Frankfurt und Peking verloren, angeblich gab es ,,Missverständnisse''. Zunächst ließ sich Dai Qing von Mitarbeitern der Buchmesse überreden und sagte ab. Doch dann überlegte sie es sich wieder anders. Nun will sie zwar nicht mehr als Gast der Buchmesse, sondern auf Einladung des deutschen PEN-Zentrums anreisen. Ein Eklat am Wochenende ist immer noch möglich.

Lavieren und finassieren

Als zweiten Chinesen traf es am Donnerstag den Schriftsteller Bei Ling. Er war als Stimme des chinesischen Exils eingeladen worden. Er wollte an diesem Wochenende in Frankfurt über Zensur und Selbstzensur chinesischer Literaten reden (eine gekürzte Fassung dieses Vortrags findet sich am Fuß dieser Seite). Dazu hat er einiges zu sagen. Im Jahr 2000 war er in Peking verhaftet worden, als er Exemplare seiner Literaturzeitschrift Qing Xiang (Tendenz) verteilen wollte. In jeder Ausgabe seiner Hefte hatte sich Bei für die Meinungsfreiheit in seiner Heimat eingesetzt.

Nur das Engagement literarischer Größen wie Susan Sontag oder Günter Grass schützte ihn. Sontag forderte in einem Plädoyer in der New York Times den Einsatz der amerikanischen Öffentlichkeit und Regierung für Bei Ling. Schweigen über diese Verfolgung sei ein ,,grünes Licht für die chinesische Regierung, in solchen Fällen ungestraft davonzukommen'', schrieb Sontag. Peking müsse dann annehmen, dass es die ,,Verfolgung und Einschüchterung unabhängigen Denkens weiter ausweiten'' könne. Nach einer Intervention der US-Regierung schoben die Chinesen Bei Ling dann nach 15 Tagen in Haft in die USA ab. Wer je mit Schriftstellern gesprochen hat, die im Exil leben, weiß um die Schwere dieses Schicksals. Besser als Gefängnis ist es wohl, aber für Patrioten wie Bei ist auch Verbannung grausam.

Kann man es ihm übelnehmen, dass er nun darüber verbittert ist, auch in Deutschland der chinesischen Zensur zum Opfer zu fallen? ,,Hat die Frankfurter Buchmesse, die sich in der Vergangenheit so um die Meinungsfreiheit und die Publikationsfreiheit verdient gemacht hat, ihre eigene Geschichte vergessen?'', fragt Bei und sagt, er wolle auch ohne Einladung der Buchmesse nach Frankfurt reisen. Das ist eine berechtigte Frage. Da wird immer wieder ,,Der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels'' verliehen, gerade auch an Schriftsteller, die in ihrer Heimat verfolgt werden, und nun lässt man die Verfolger in Frankfurt den Verfolgten einen Maulkorb verpassen.

Kniefall der Franzosen

Man suche diesmal den Dialog gerade auch mit dem offiziellen China, ,,nicht nur mit Dissidenten'', verteidigt sich Peter Ripken, der zuständige Projektleiter bei der Frankfurter Buchmesse. Mit den Autoren hat sich die Buchmesse nach eigenen Angaben vorerst geeinigt, dass es keine Einladung geben werde. Sollte Dai Qing am Samstag als Besucherin nach Frankfurt kommen und am Symposium teilnehmen, freue man sich auf den Austausch mit ihr. Außerdem argumentiert die Buchmesse, dass während der Messe selbst im Oktober von den rund 500 Veranstaltungen zum Thema China etwa die Hälfte von unabhängigen NGOs und Verlagen organisiert werde, worauf China keinen Einfluss habe.

Das Vorgehen der Chinesen hat Methode. Im Jahr 2004 war die Volksrepublik Gastland auf der französischen Buchmesse in Paris. 40 staatlich genehmigte Autoren durften an die Seine reisen, auf Kosten der französischen Steuerzahler. Nicht eingeladen wurde hingegen der chinesische Literatur-Nobelpreisträger Gao Xingjian, obwohl er in Paris lebt. Die chinesische Regierung hatte dieselben Drohungen ausgestoßen, mit der sie nun beinahe täglich die Frankfurter Buchmesse überzieht. Gao ist bei den Kommunisten unbeliebt, weil er im Exil lebt, und weil er der Partei von dort aus nicht nach dem Mund redet. Es gibt da in Peking keine Grauzonen. Entweder man arrangiert sich als Schriftsteller mit den Kommunisten und bekommt schöne Auslandsreisen wie nach Paris oder Frankfurt beschert. Oder man ist auf der Abschussliste, Nobelpreis hin oder her. Einer der derzeitigen ,,Stars'' auf der Peking-treuen Liste, der Autor Mo Yan, soll sich daher nun persönlich gegen die Teilnahme Bei Lings an Diskussionen in Frankfurt ausgesprochen haben.

Der Kniefall der Franzosen vor dem neuen Wirtschaftswunderland China, das auch immer mehr westliche Verleger anzieht, war genauso peinlich wie das jetzige Lavieren und Finassieren in Frankfurt. Stünden die Franzosen heute nicht besser da, wenn sie dem Druck aus Peking nicht nachgegeben hätten? Wer erinnert sich heute noch an diese 40 chinesischen Kulturschaffenden, die in Paris mehr oder weniger linientreue Sprechblasen ablassen durften? Die Fußnote in der Vita des Nobelpreisträgers aber dürfte der Nachwelt erhalten bleiben.

Die Frankfurter Buchmesse sollte nach diesem unrühmlichen Auftakt der Gastrolle Chinas mehr chinesische Exilschriftsteller einladen und mehr Tabuthemen auf die Rednerlisten setzen als ursprünglich geplant. Eine mögliche Debatte darüber, wie es zur Absage des offiziellen Chinas habe kommen können, wäre dann genauso lehrreich über den Zustand der chinesischen Literaturszene wie die jetzige Debatte über das Ausladen von Dissidenten.

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