China: Aktivisten verhaftet:Verbotene Wahrheiten

In China wurden elf Aktivisten verhaftet, darunter der Künstler Ai Weiwei. Er veröffentlichte Namen von Schülern, die bei einem Erdbeben starben, in seinem Blog.

Alex Rühle

Überrascht haben wird es ihn nicht, der Mann rechnet seit langem damit, verhaftet zu werden: Vor sechs Wochen, bei einem Besuch in seinem Beijinger Atelier, sagte Ai Weiwei auf die Frage, ob er seine Zukunft in China sehe, mit grimmigem Lachen: "Ich habe keine Zukunft. In dem Moment, in dem Sie diesen Raum verlassen, werde ich verschwinden." Er spielte damit darauf an, dass er als international renommierter Künstler zwar unter einem gewissen Schutz stehe, dass ihn das aber letzten Endes genau so wenig schütze wie all die anderen Dissidenten, die in China verschwinden, verurteilt oder sonst wie schikaniert werden.

China: Aktivisten verhaftet: "Ich habe keine Zukunft. In dem Moment, in dem Sie diesen Raum verlassen, werde ich verschwinden", sagte Ai Weiwei noch vor sechs Wochen

"Ich habe keine Zukunft. In dem Moment, in dem Sie diesen Raum verlassen, werde ich verschwinden", sagte Ai Weiwei noch vor sechs Wochen

(Foto: Foto: Reuters)

Jetzt wurde Ai Weiwei tatsächlich vorübergehend festgenommen, zusammen mit zehn weiteren Aktivisten, die nach Chengdu gefahren waren, in die Provinzhauptstadt von Sichuan, um an dem Prozess gegen Tan Zuoren teilzunehmen, dem offiziell "Anstiftung zur Untergrabung der Staatsgewalt" vorgeworfen wird, weil er sich über die Niederschlagung der Demokratiebewegung 1989 geäußert habe.

In Wahrheit geht es um Tans Nachforschungen zum verheerenden Erdbeben von Sichuan: Der Umweltaktivist und Schriftsteller hatte recherchiert, wie viele Kinder bei dem Beben im Mai 2008 starben, bei dem insgesamt rund 88 000 Menschen ums Leben gekommen sein sollen. Damals waren auffällig viele Schulgebäude kollabiert. Ai selbst hat wiederholt gesagt und geschrieben, dass die meisten Kinder nur sterben mussten, weil korrupte Provinzpolitiker in die eigene Tasche gewirtschaftet hätten. Da die Regierung sich weigerte, ein genaues Register über die Zahl der Toten zu erstellen, schickte Ai Weiwei Anfang des Jahres auf eigene Kosten Freiwillige nach Sichuan, um eine Liste aller toten Schüler zu erstellen. Deren Namen schaltete er nach und nach auf seinem Blog frei.

Als wir ihn besuchten, hatte die Regierung gerade seinen Blog abgeschaltet. Auf die Frage, ob er selbst Angst vor den Behörden habe, sagte er damals: "Dafür ist es längst zu spät, ich habe die Linie schon vor langer Zeit überschritten". Welche Linie? "Dass ich die Wahrheit sage." Er erzählte damals, mittlerweile lasse er seine Helfer einen Fragebogen ausfüllen. "Ich will ihnen klar machen, dass sie keine heitere Arbeit erwartet." Unter anderem muss man beantworten, ob man Angst vor der Polizei habe und wie gut man schlechtes Essen vertrage.

Tans Anwälte hatten Ai Weiwei eingeladen, über die Ergebnisse seiner Nachforschungen zu sprechen, die sich anscheinend mit Tans Recherchen decken. Daraus wird nun nichts mehr. Ai wurde einen Tag lang mit sechs anderen Männern im Hotel festgehalten; vier weitere seiner Helfer wurden in die Polizeistation gebracht. Laut der Agentur AP schlug ein Polizist Ai Weiwei ins Gesicht und sagte: "Wenn wir wollen, können wir Dich totprügeln." Später wurde er freigelassen. In einem Telefoninterview mit Reuters sagte er: "Wenn sie sich uns Zeugen gegenüber so benehmen, was machen sie dann erst mit all den Leuten vor Ort, die nicht vernetzt sind?" Tans Anwalt geht davon aus, dass sein Mandant am Montag verurteilt wird.

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