Chimamanda Ngozi Adichie und Angela Merkel:Was sie verbindet

Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie

Angela Merkel und Chimamanda Ngozi Adichie im Düsseldorfer Schauspielhaus.

(Foto: Rolf Vennenbernd/dpa)

Chimamanda Ngozi Adichie und Angela Merkel sprechen im Düsseldorfer Schauspielhaus über Feminismus, persönliche Verluste und ein neues Buch.

Von Nora Reinhardt

Treffen sich zwei Frauen zum Gespräch. Die eine ist weltbekannt, Christin, hat eine Liebe für Deutschland und verbringt ihre Abende schon mal mit Michelle Obama. Die andere ist Angela Merkel. Chimamanda Ngozi Adichie, 43, amerikanisch-nigerianische Schriftstellerin, hat zwar Routine bei Begegnungen mit A-Prominenz, aber dass sich die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel, 67, zweieinhalb Wochen vor der Bundestagswahl Zeit für sie nimmt, ist dann doch etwas Besonderes. Die beiden begegnen sich im Düsseldorfer Schauspielhaus zum ersten Mal, schon während der Begrüßungsrede des Intendanten stecken sie die Köpfe zusammen - Merkel im blauen Blazer und flachen, schwarzen Tretern, Adichie im bunten Kleid und roten High Heels.

Das Gespräch ist eine Vorschau auf die Zeit nach Merkels Amtszeit: Es soll um philosophische und persönliche Fragen gehen, nicht ums politische Tagesgeschäft. Könnte die baldige Rentnerin auch Keynote Speakerin? Das ideale Gegenüber für den Testlauf ist Adichie auf jeden Fall, denn sie war in den vergangenen Jahren vor allem als Rednerin tätig, während die halbe Welt auf ihren nächsten Roman wartet.

Berühmt wurde Adichie 2013 mit dem Roman "Americanah", den sowohl die BBC als auch der New York Times Book Review zu einem der wichtigsten Romane der Dekade kürten und der sie zu einer der wichtigsten englischsprachigen Schriftstellerinnen der Gegenwart machte. Ihre Ted Talks sowie eine Ehrendoktorwürde der Yale-Universität manifestierten ihr Gewicht als Intellektuelle. Eine Pop-Ikone ist sie spätestens, seit Beyoncé sie in "Flawless" sampelte und eine Nobel-Modemarke ihren Slogan "We should all be feminists" auf T-Shirts druckte. Nun ist Adichies neues Buch, "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben", auf Deutsch erschienen, kein Roman, aber eine persönliche Auseinandersetzung mit dem Thema Verlust.

Merkel bekennt sich doch zu Adichies These, nach vier Jahren Bedenkzeit

Da sitzen sie also auf der Theaterbühne, die Vorzeige-Feministin und die erste Kanzlerin Deutschlands, die 2017 noch explizit sagte, sie sei keine Feministin, weil sie sich nicht mit "fremden Federn schmücken" wolle für Kämpfe von Simone de Beauvoir oder Alice Schwarzer. Für Adichie, die in Nigeria und den USA lebt, ist Feminismus keine politische Bewegung, sondern ein Wertesystem. Es gebe noch immer in keinem Land "volle Gleichberechtigung". Adichie spricht mit jener Inbrunst, die typisch für Keynote Speaker ist. Merkel hingegen ist wie immer sachlich, relativiert mit "naja", ehe sie sich- nach vier Jahren Bedenkzeit - schließlich doch zu Adichies These bekennt. Wenn es darum gehe, dass alle "die gleiche Teilhabe bekommen", sagt sie, dann sei sie schon Feministin, mehr noch: "Ja, wir sollten alle Feministen sein." Applaus, Jubelpfiffe.

Chimamanda Ngozi Adichie und Angela Merkel: Chimamanda Ngozi Adichie:Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. Fischer, Frankfurt 2021. 80 Seiten, 16 Euro.

Chimamanda Ngozi Adichie:Trauer ist das Glück, geliebt zu haben. Fischer, Frankfurt 2021. 80 Seiten, 16 Euro.

Es kommt eine Stunde lang keine Unterhaltung zustande, weil die Moderatorinnen Miriam Meckel und Léa Steinacker lieber Einzelinterviews führen. Glücklicherweise verbünden sich Merkel und Adichie irgendwann. Merkel lässt Steinacker auflaufen, als die mit einer "Sie als Frau aus dem Osten"-Frage kommt: "Ich habe keine Lust, Experte für AfD-Wähler zu sein, weil ich aus der DDR komme." Adichie: "Ich reagiere auch gereizt, wenn ich auf meine Herkunft reduziert werde." Die eleganteste Frage stellt Adichie: "Hillary Clinton hat über Sie gesagt: 'Angela Merkel trägt die Last Europas auf ihren Schultern.' Wann hat sich diese Last in den 16 Jahren am schwersten angefühlt?" Merkel sagt, in der Euro-Krise, als man den Griechen viel zumuten musste. Am leichtesten? "Wenn man einen Kompromiss gefunden hat." Etwa beim Lissabon-Vertrag, "dann ist man glücklich".

Privates beiläufig als Politisches zu charakterisieren ist eine Stärke der Autorin

Adichie und Merkel eint außer ihrem früher oder frisch verkündeten Feminismus noch etwas: Sie mussten beide erst ihren Vater und dann, vor Kurzem, ihre Mutter zu Grabe tragen. Merkel sagt, Trauern als Person der Öffentlichkeit sei schwierig, wenn immer beobachtet werde, "wie sieht'se aus", aber "da muss man sich einen Raum bauen" - die Frau mit der Raute zeichnet nun ein Rechteck in die Luft - "und ich hab da dann auch niemanden reingelassen, der da nicht hingehörte".

Adichie hat den Tod ihres Vaters in "Trauer ist das Glück, geliebt zu haben" verarbeitet. Erstaunlich, dass man das 80 Seiten schmale Bändchen trockenen Auges lesen kann, Adichie schreibt nicht rührselig. Man wird viel mehr zum Verehrer dieses Vaters, dem ersten Statistik-Professor Nigerias, einem offenbar rundum anständigen Menschen mit Humor und einer Coolness, die selbst dann nicht ganz schwindet, als er im Jahr 2015 wegen seiner berühmten Tochter entführt wird. Zitat nach seiner Freilassung gegen Lösegeld: "Sie haben deinen Namen nicht richtig ausgesprochen, ich habe ihnen gesagt, wie man ihn ausspricht."

Der Verlust der Eltern ist ein universelles Thema, aber zugleich zutiefst persönlich und speziell. Etwa, wenn Adichie ihr Hadern mit der nigerianischen Trauertradition der Igbo beschreibt: Soll man wirklich die Köpfe von Frauen kahl scheren, wenn ihre Männer sterben, damit, so der Gedanke, der Verlust am Körper sichtbar wird? Privates beiläufig als Politisches zu charakterisieren ist eine Stärke der Autorin, eine weitere ist eine im Idealfall unbemerkte: eine raffinierte Dramaturgie. Die Literarisierung eines Todesfalls birgt immer die Gefahr, im Beschreiben des Schmerzes auf der Stelle zu treten, aber Adichie verflicht auf elegante Weise verschiedenste Aspekte der Trauer: Hier ein Mini-Essay über den körperlichen Schmerz, dann heitere Betrachtungen über unterkomplexe Beileidsbekundungen und Praktisches wie das Designen von T-Shirts, das ihr beim Verarbeiten half. Sie betrachtet den Schmerz persönlich, dann intellektuell. Ein intimes Buch, das nie zu privat wird.

"Ich möchte das Buch gerne lesen", sagt Merkel, welch Wahnsinnssatz in glühenden Verlegerohren. Und dann, als es um Afrika geht und Merkel beinahe schüchtern ihre relative Unkenntnis über den Kontinent offenbart, meint sie über Adichie: "Also wenn sie mich empfangen würde, dann würde ich sie besuchen." Adichie, ganz routinierte Keynote Speakerin: "It's done!", abgemacht.

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