Chick Corea zum 70.:Chamäleon am Klavier

Schrille Hemden, kryptische Stücke und virtuoser Latin-Jazz: Chick Corea spielt andere Musiker regelmäßig an die Wand. An diesem Sonntag wird der temperamentvolle Jazzpianist siebzig Jahre alt.

Karl Lippegaus

Vielleicht lag es an den schrillen Hemden, dass seine Karriere - wie seine kryptischen Stücke - stets überraschende Wendungen nahm, das trug Chick Corea das Image eines Chamäleons ein, von seinen Kritikern für Attacken dankbar aufgriffen.

Chick Corea wird 70

Chick Corea zählt zu den meistgespielten Musikern im Jazz.

(Foto: dpa)

Mit praktisch allen Formaten - vom unbegleiteten Solo bis zum 75-köpfigen Orchester - hat er jongliert. Chick Corea liebt das Spiel mit den Masken. Ein brillanter Musiker, der selten Gefühle zeigt und seine "Chick-ismen" nur so aus dem Ärmel schüttelt. "Das Problem ist oft, dass Corea dazu tendiert, seine Mitspieler an die Wand zu spielen, sodass ihre Beiträge nur noch wie heiße Luft wirken," schrieb der Kritiker Gary Giddins.

Armando Anthony "Chick" Corea kam am 12. Juni 1941 in Chelsea, Massachusetts zur Welt. Der Sohn eines Trompeters spielte schon als 21-jähriger in New York mit Mongo Santamaria und dem Latin-Jazz gilt seither seine besondere Passion.

Auf zwei Alben mit dem Trompeter Blue Mitchell folgte "Sweet Rain" mit Stan Getz. Neben dem temperamentvollen Virtuosen deuteten sie auch schon das Talent des Komponisten an, der heute zu den meistgespielten im Jazz zählt: "Windows", "Matrix", "Spain" und "La Fiesta" heißen einige seiner wichtigsten Stücke. 1966 erschien Coreas Debütalbum und zwei Jahre später ein Meilenstein, das abstrakt-impressionistische "Now He Sings, Now He Sobs", dreizehn spontane Skizzen mit dem Bassisten Miroslav Vitous und dem Schlagzeuger Roy Haynes.

Obwohl der 27-jährige fünf Monate später in Miles Davis' Band spielte, prägte ihn besonders der vertrackte Stil Bud Powells. Noch in den Neunziger Jahren nannte Corea eine seiner Bands Remembering Bud Powell. 1971 inspirierte ihn ein alter Steinway in Oslo zu den spontanen "Piano Improvisations 1 & 2" für zwei großartige ECM-Alben.

Gnadenloses Powerplay

Den weitesten Vorstoß in die Avantgarde machte seine kurzlebige Gruppe Circle mit Anthony Braxton. Auf diesen Schreck kam das gnadenloses Powerplay mit dem straff organisierten Sound der Allstarformation Return to Forever mit Stanley Clarke, Al di Meola und Lenny White, eine der erfolgreichsten Jazzrockbands der siebziger Jahre.

Dass er den Scientology-Gründer L. Ron Hubbard zum Lehrmeister erkor, trug dem Workaholic Kritik und Boykotte ein - in Deutschland sogar ab 1996 ein Auftrittsverbot bei staatlich unterstützten Veranstaltungen.

Trotzdem hagelte es Auszeichnungen, unter anderem 2006 den Preis des Klavier Festivals Ruhr. Und so konnte sich der Science-Fiction-Fan fast jeden Wunsch erfüllen. Auch mal hart am Kitsch entlang segelnde Suiten wie "The Mad Hatter" (frei nach "Alice im Wunderland") oder Materialschlachten mit modernstem Equipment. Im Juli wird er wieder einige Konzerte in Deutschland geben. Am Pfingstsonntag feiert Chick Corea seinen siebzigsten Geburtstag.

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