Süddeutsche Zeitung

"Cheyenne" im Kino:Heimat ist nur ein Gefühl

Ein Film voller wundervoller Rätsel und entrückter Bilder: Sean Penn ist komisch und rührend in Paolo Sorrentinos Roadmovie "Cheyenne - This Must Be The Place". Als Verschnitt aus Robert Smith und Ozzy Osbourne braucht er lange, bis er endlich angekommen ist bei sich selbst. Doch dann ist alles anders.

Susan Vahabzadeh

Die moderne Zivilisation ist ein merkwürdiges Ding, und besonders in Amerika voller bizarrer Auswüchse, die aus gelangweiltem Überfluss entstanden sein müssen. Plastikblumen, Hummelpuppen, Gegenstände, bei denen Zivilisationsschrott und Dekoration fließend ineinander übergehen - alles recht befremdlich.

Ist Kitsch camp? Es gab in den Achtzigern eine Ästhetik, die versuchte, diese Irritation einer Künstlichkeit, in der man das Gruselige vom Idyllischen, das Schöne vom Scheußlichen kaum noch unterscheiden kann, zu fassen, sie wohnte den Filmen von David Lynch inne und den Plattencovern und den Videos der Talking Heads.

Cheyenne, die Hauptfigur in Paolo Sorrentinos "This Must Be The Place", benannt nach einem Song der Talking Heads, ist ein Produkt dieser Zeit, und auf seiner Reise durch Amerika, die erste seit vielen Jahren, sieht er immer wieder diese Dinge, die kein Deutchen weniger rätselhaft sind als vor fünfundzwanzig Jahren: Räume voller konkurrierender Blumenmuster, aus allen Ecken starrt eine Hundertschaft toter Puppenaugen hervor . . . Cheyenne starrt mit großen Augen in dieses Monstrositätenkabinett zurück - kein Wunder, dass sein eigenes Haus in Dublin ein nüchterner Kasten ist voll weißer Flächen.

Cheyenne, verkörpert von Sean Penn, ist ein Ex-Popstar aus der New Yorker Avantgarde. Er ist immer noch reich, obwohl er seit zwanzig Jahren nicht mehr auftritt, seit zwei Jungs, die seine depressiven Songs verehrten, sich umgebracht haben. Er lebt in Dublin vor sich hin, seine Frau (Frances McDormand) ordnet die Dinge, und Cheyenne hört sich mit seiner besten Freundin, der sechzehnjährigen Mary, die Bands im Einkaufszentrum an und schlürft Milkshakes.

Die Geschichte beginnt in Irland, das Sorrentino als ein Nebeneinander von verschnörkelten Altbauten und futuristischen Glaspilzen filmt, und mutiert dann zu einem Roadmovie, zu einer fasziniert befremdeten Reise durch die amerikanische Provinz .

Cheyenne muss nach New York, sein Vater liegt im Sterben, und er kommt zwar zu spät, aber plötzlich packt ihn das Gefühl, er müsse die Dinge zwischen sich und dem Vater doch noch ins Reine bringen. Also macht er sich auf die Suche nach dem Mann, den sein Vater sein ganzes Leben lang verfolgt hat, nach dem inzwischen greisen KZ-Aufseher, dessen Antlitz er nie vergessen konnte - da ist eine ungesühnte Demütigung.

Es ist eine ziemlich scharfe Kurve, die die Erzählung da nimmt - diese Kombination aus einem rührend komischen Clown und Holocaust-Aufarbeitung. Der Mann mit der wüsten Gothic-Frisur und dem dauerhaftenden Lippenstift ist eine Mischung aus Ozzy Osbourne und Robert Smith von The Cure. Oder, genauer gesagt: Cheyenne ist der älter gewordene Robert Smith, der auf Ozzy Osbourne macht.

Er spricht ganz langsam, als hätte der Drogenmissbrauch ihn aus der Spur gebracht, er reagiert verzögert und bewegt sich in Zeitlupe wie ein gebrechlicher Mann. Schon nach ein paar Szenen ist klar, dass das nur seine Masche ist, da versucht Cheyenne, seine beste Freundin Mary mit einem Kellner zu verkuppeln, und er ist nicht nur offensichtlich völlig klar im Kopf, er hat auch das Herz am rechten Fleck.

Ein paar Szenen später fragt ihm der Kellner ein Loch in den Bauch - und als er ihn anbellt, er solle das lassen, wird klar: Jede Geste, die Langsamkeit, der gebeugte Gang, sind Teil der Kunstfigur, hinter der sich der echte Cheyenne versteckt wie ein ängstlicher Teenager, ein Gefangener seiner Schuldgefühle.

"Cheyenne" ist eine Paraderolle für Sean Penn, in der er eigentlich alles zeigt, was er kann, sein komisches Potential, die Fähigkeit, einen zu Tränen zu rühren und mit einem einzigen Lächeln die Sonne aufgehen zu lassen - es gibt eigentlich nur einen einzigen Grund, als Zuschauer diesen Auftritt als Cheyenne nicht zu genießen: wenn man gegen Sean Penn schon von Haus aus etwas hat.

Ein Film voller wundervoller Rätsel und entrückter Bilder - genüsslich filmt Sorrentino in New York ein Konzert von David Byrne, dem Frontmann der Talking Heads, bei dem ein schwebendes, auf den Kopf gestelltes Sixties-Wohnzimmer den Konzertsaal überquert.

Manchmal ist Sorrentino das Drehbuch in poetischen Nonsens entglitten: "Es gibt viele Arten zu sterben, die Kunst ist weiterzuleben", das ist so ein Satz, der besser klingt, als er ist. Aber insgesamt ist "This Must Be The Place" eine schöne Reise, ein enigmatisches, versponnenes, widerspenstiges Roadmovie. Ein Film, der seltsame Augenblicke, bizarre Szenerien und merkwürdige Begegnungen sammelt wie manche Leute Hummelpuppen.

Einmal läuft Cheyenne, der selbst immer einen Trolley hinter sich her zerrt, dem Erfinder des Rollkoffers über den Weg, gespielt von Harry Dean Stanton - ein relativ neuer Zivilisationsgegenstand, den wir auch erst brauchen, seit wir uns dauernd in der Welt herumbewegen und dabei mehr als nötig mit uns herumschleppen.

Heimat ist eher ein Gefühl als ein Ort. "Cheyenne" ist vor allem ein Film über Selbstfindung und ein verzögertes Erwachsenwerden, über einen, der seine Angst vor dem Leben in den Griff bekommen muss. "This Must Be The Place", der Song von den Talking Heads, ist die Hymne, die sich durch Paolo Sorrentinos Film zieht - "home is where I wanna be". Als Cheyenne endlich angekommen ist bei sich selbst, ist alles anders - und auch der Rollkoffer, diese scheppernde Fußfessel der Zivilisation, ist verschwunden.

THIS MUST BE THE PLACE, Irland/Frankreich/Italien 2011 - Regie: Paolo Sorrentino. Buch: Paolo Sorrentino, Umberto Cantarello. Kamera: Luca Bigazzi. Musik: David Byrne, Will Oldham. Mit: Sean Penn, Frances McDormand, Judd Hirsch, Eve Hewson, Harry Dean Stanton, David Byrne. Delphi, 118 Min.

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Quelle:
SZ vom 12.11.2011/pak
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