Chemnitzer Riesenplastik:Auf Augenhöhe mit Marx

Christo und kein Ende: In Chemnitz blickt der Besucher derzeit dem umhüllten Karl-Marx-Kopf direkt ins Auge.

B. Müller

Ja wenn es so einfach ginge! Man nimmt ein Denkmal, das immer da ist und das deswegen kaum einer mehr sieht, baut aus ein wenig vorhangartigem Stoff eine kubische Verkleidung drum herum, und schon hat man einen bronzenen Bestand in ein lockeres und lockendes Event verwandelt.

Chemnitzer Riesenplastik: Hohe Stirn, gefurchte Brauen, also unübersehbar ein Gedankengebäude: Das derzeit verhüllte Marx-Monument in Chemnitz, örtlich als "Nischel" bekannt.

Hohe Stirn, gefurchte Brauen, also unübersehbar ein Gedankengebäude: Das derzeit verhüllte Marx-Monument in Chemnitz, örtlich als "Nischel" bekannt.

(Foto: Foto: ddp)

So geschieht es derzeit in Chemnitz mit dem dortigen Wahrzeichen, dem monumentalen Karl-Marx-Kopf von Lew Kerbel. Nach dem Willen der Künstler, eines Studentenwerkshops aus Linz und Schneeberg, soll so ein "denkbar einfacher Zugang und Einstieg in das Gedankengebäude des Philosophen" ermöglicht werden.

Die Chemnitzer haben sich nach der Wende per Referendum entschieden, den Namen Karl-Marx-Stadt abzulegen, aber das Marx-Monument, örtlich als "Nischel" bekannt, zu behalten. Das war sicherlich ein weiser Doppelbeschluss, der den Weg in die Zukunft öffnete, ohne die Vergangenheit tilgen zu wollen. Ein Zwiespalt blieb, aber warum soll man sich den ersparen?

Finster despotischer Effekt

Nun darf der Besucher Marx auf gleicher Höhe von einem inneren Baugerüst aus schwankenden Lochblechen (nicht jedermanns Sache übrigens) ins Auge blicken. Dafür war diese Riesenplastik offenbar nicht intendiert, es stellt sich ein finster despotischer Effekt ein wie vor den Kopftürmen von Angkor Thom in Kambodscha.

Bei dieser hohen Stirn und gefurchten Braue handelt es sich unübersehbar um ein Gedankengebäude - doch einsteigen lässt sich trotz größter Nähe leider nicht so ohne weiteres, da müsste man wahrscheinlich doch mal die eine oder andere Seite aus dem Hauptwerk lesen.

Die Veranstalter machen es umgekehrt, sie fordern die Besucher auf: "Gebt uns euer Kapital!" und lassen sie ihre Impressionen auf Band sprechen. "Impulse und konkrete Erfahrungen mit der Leichtigkeit und Schönheit der Kunst" möchte man so initiieren.

Schön ist dieser Schädel schon, aber leicht bestimmt nicht, ein Nachteil, der von dem windigen Mäntelchen allerdings reichlich wettgemacht wird. Die Wirkungsgeschichte von Marx mag eine recht gemischte gewesen sein.

Ein gehörige Portion Sich-Doof-Stellen

Aber die Wirkungsgeschichte von Christo muss man als unzweideutige Katastrophe bezeichnen. Man wickelt irgendetwas ein und ist dann vor Überraschung über das wunderschöne Präsent, das man kriegt, ganz außer sich. Dabei weiß man doch genau, was drinsteckt. Ohne eine gehörige Portion Sich-Doof-Stellen ist die Freude an solchen Veranstaltungen wohl nicht zu haben.

Schon zweimal wurde die Umhüllung von nächtlichen Vandalen beschädigt. Welches Kapital gaben sie uns? Darüber kann man grübeln. Hat da jemand handfeste Vergangenheitsbewältigung betrieben, oder konnte er einfach nicht bis Heiligabend warten, um sein Geschenk auszupacken?

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