Öffentliche Wahrnehmung:Was kann Chemnitz gegen sein Image tun?

Mit Kunst gegen Rechts

Im Rahmen der Kunstbiennale hängt ein fiktives Wahlplakat mit dem Bild einer Theaterpuppe von Stefan Heym vor dem Karl-Marx-Denkmal.

(Foto: Jan Woitas/dpa)
  • Nach den Ausschreitungen in Chemnitz wehrt sich die Stadt mit Kulturveranstaltungen gegen ihr Image.
  • Das Kulturfestival "Aufstand der Geschichten" befasst sich mit der an Umbrüchen reichen Historie der Stadt. Und die Kunst-Biennale "Pochen" soll von nun an regelmäßig stattfinden.

Von Burkhard Müller, Chemnitz

Chemnitz hatte in den vergangenen drei Monaten viel schlechte Presse. Mit der größten Selbstverständlichkeit war eine Stadt mit einer Viertelmillion Einwohnern in Sippenhaft genommen worden für Szenen, denen, unschön wie sie waren, doch schwerlich repräsentativer Charakter für ein großes Gemeinwesen zukam. Die Frage, was es auf diesen verwackelten Videos eigentlich zu sehen gab, löste schließlich sogar eine Regierungskrise aus.

Die Stadt wehrt sich gegen dieses Image. Schon eine Woche nach den Tumulten hatte es ein Freiluftkonzert gegen rechts in der Innenstadt gegeben, zu dem 65 000 Besucher kamen - ein Vielfaches der Zahlen bei den rechten Aufmärschen. Das Motto, auf vielen T-Shirts zu lesen, lautete: "Wir sind mehr!" In demselben Geist haben sich zwei eng ineinandergreifende Veranstaltungen organisiert, die dieser Tage in Chemnitz gestartet sind: "Pochen", eine Kunst-Biennale, die von nun an regelmäßig stattfinden soll, und "Aufstand der Geschichten", ein Festival, das sich mit der an Umbrüchen reichen Historie der Stadt befasst.

Für den gemeinsamen Auftakt im Staatlichen Museum für Archäologie im alten Kaufhaus Schocken, einem eleganten Bau der klassischen Moderne, hat man berühmte Gäste eingeladen. Familienministerin Franziska Giffey zum Beispiel, aus deren Etat mehrere Millionen Euro nach Chemnitz gehen sollen, den Soziologen Armin Nassehi. Als Moderator agiert, geführt von einem Bauchredner, eine Puppe: der 2001 verstorbene Schriftsteller und Alterspräsidenten des Bundestags, Stefan Heym, den die Stadt erst vor einigen Jahren wieder als ihren großen Sohn entdeckt hat. Die sehr naturalistische Figur wirkt erst etwas gruselig, aber bald schon unterhalten sich die jeweiligen Rednerinnen mit ihr wie mit einem Menschen aus Fleisch und Blut.

"Was kann eine Stadt wie Chemnitz tun?", fragt die Puppe. Darauf fällt allen mehr oder weniger dasselbe ein: andere Geschichten erzählen! Etwa die vom Umbau der Wirtschaftsstruktur, vom Aufschwung der Chemnitzer Problemviertel Brühl und Sonnenberg, von einer vielgestaltigen Kulturlandschaft. Die Stadt hat unmittelbar nach der Wende 100 000 Arbeitsplätze in der Industrie verloren und sich danach komplett neu erfunden. Das alles sind Dinge, die sich über Jahre hinweg entwickelt haben und darum weniger Aufmerksamkeit finden als das, was jüngst Schlagzeilen gemacht hat.

Sowohl Giffey als auch Nassehi sprechen davon, wie sie von wohlmeinenden Menschen, die noch nie in Chemnitz waren, vor dieser gefährlichen Reise gewarnt wurden und wie freundlich und offen ihnen die Stadt erschien, als sie ankamen. Nassehi lobt die Chemnitzer dafür, dass sie einen Titel wie "Aufstand der Geschichten" gewählt haben, denn auf das Narrativ kommt es an.

Die Wismut lieferte 231 000 Tonnen Uran für die sowjetischen Atombomben

Freilich muss er einräumen, dass es auch falsche Geschichten gibt, und dass man darum nicht aufhören dürfe, ihnen beharrlich die richtigen entgegenzusetzen, solang, bis sie sich eingeprägt haben. Ganz wohl war einem dabei nicht: Wo bleibt, wenn alle nur gegeneinander anerzählen, das Prinzip der Wahrheit? Was ist mit der Macht? Was mit den Interessen? "Pochen" klingt erst einmal sehr geheimnisvoll. Es meint das fragende Anklopfen, ist im Sächsischen aber auch ein Wort für Verprügeln. Vor allem jedoch pocht der Bergmann mit seinem Hammer im Schacht. Womit das Thema der Biennale benannt ist. Es geht um die Wismut, die sowjetisch-deutsche Aktiengesellschaft mit Hauptquartier Chemnitz, die im runden halben Jahrhundert ihres Bestehens aus den Minen des Erzgebirges und Ostthüringens 231 000 Tonnen Uran für die sowjetischen Atombomben lieferte, dabei mehr als eine Milliarde Tonnen Gestein bewegte und zeitweise mehr als 200 000 Mitarbeiter hatte. Sie war bei Weitem der größte Wirtschaftsbetrieb der DDR und ein Staat im Staate, mit eigener Telefonvorwahl und eigenem Autokennzeichen.

Ein großer Teil der Veranstaltungen hat es mit ihr zu tun: Im alten "Russenklub" wird ein Theaterstück aufgeführt, das auf Werner Bräunigs Wismut-Roman "Rummelplatz" basiert; es gibt Lesungen, Vorträge, Podiumsgespräche, Diskussionsrunden an verschiedensten Orten. Wie tolerant wollen wir sein? Was kann Chemnitz von Europa, was Europa von Chemnitz lernen? Und was genau tat die Wismut?

Lange ist Chemnitz diesem düsteren Erbe aus dem Weg gegangen

Man erfährt, mit welchem Kraftakt der sowjetische Geheimdienst den Betrieb gleich nach dem Zweiten Weltkrieg hochzog, um der Drohung der amerikanischen Nuklearmacht standzuhalten, und dass von der Wismut-Belegschaft im Lauf der Jahre 69 angebliche Spione nach Moskau geschafft und dort erschossen wurden (ein Mehrfaches verschwand in den Schweigelagern).

Eine Führung durch den Westen der Stadt macht klar, wie ungeheuer weit dieses Netzwerk reichte: ganze Stadtteile waren für die Wismut requiriert und abgesperrt worden, sie unterhielt eigene Restaurants und Kaufhäuser mit Namen wie "Adrett" und "Glückauf", fünf Krankenhäuser und sieben Polikliniken, zu schweigen von der riesigen Kunstsammlung, die immer noch in den Magazinen der Zentralverwaltung schlummert, einem beherrschenden Bau mit griechischem Tempelgiebel im Stil des stalinistischen Klassizismus.

Und sie hinterließ, als sie sich nach der Wende auflöste, mit ihren verstrahlten Abraumhalden den wohl weltweit größten ökologischen Problemfall, den in den Griff zu kriegen viele Milliarden gekostet hat. Lange ist Chemnitz diesem düsteren Erbe aus dem Weg gegangen; jetzt stellt es sich ihm. Die Stadt hat sich für das Jahr 2025 als Europäische Kulturhauptstadt beworben, und da dürfte die Hinterlassenschaft der Wismut eine zentrale Rolle spielen. Und dass sich ihr Beitrag in irgendeiner Weise auf die Wismut beziehen soll, war die Vorgabe des Kurators Ulf Kallscheidt an die beteiligten Künstler, die überwiegend in der alten Hartmannfabrik ausstellen, einem ehemaligen Lokomotivenwerk am Ufer des Flusses Chemnitz; mit seinen hohen Backsteinräumen wirkt es wie von Piranesi entworfen. Dem kommen sie in sehr verschiedener Weise nach.

Auch die Rechten haben Karl Marx zum Hintergrund ihrer Kundgebungen gewählt

Michael Saup liefert eine Weltkarte aus vielen Tausend Stück Würfelzucker, auf die in Projektions-Gewittern alle je seit 1945 gezündeten Atomexplosionen niedergehen. Grit Ruhland hat die "Folgelandschaften" auf den sanierten Uranerzhalden aufgesucht, Protokoll geführt und Fundstücke aller Art mitgebracht; ein von ihr selbst gebauter Geigerzähler mit einem Gehäuse aus einem Birkenzweig beginnt zu klicken, wenn sie ein Stück einst modisches Radiumglas in seine Nähe bringt. Eine riesige Installation von Zimoun besteht aus Dutzenden wie ein Amphitheater angeordneten Pappschachteln, an die dank kleiner Motoren Baumwollkugeln auf einem Drahtstiel, nun ja, pochen.

Aber die Kunst bildet nur einen Teil, und keineswegs den umfänglichsten, bei diesem Doppelereignis, das die ganze Stadt umgreift. Mitten hinein fällt der vieldeutige 9. November. In der Innenstadt gibt es wieder zweierlei Demonstrationen, links-bunte und rechte, wobei die Rechten deutlich in der Minderzahl sind; Polizei verhindert, dass sie sich begegnen, es kommt zu keinen Zwischenfällen.

Am Bahnhof wird des 100. Jahrestags des Umsturzes gedacht, als die revolutionären Soldaten mit der Bahn ankamen. Man trägt historische Kostüme, schwingt rote Banner und singt die Internationale auf Französisch. Vor dem "Nischel", dem bronzenen Riesenschädel von Karl Marx, erfolgt die Proklamation der Europäischen Republik, mit Sprechchören, die man aber nur schwer versteht, weil es mit der Synchronisation etwas hapert.

Auch die Rechten haben sich den Nischel zum Hintergrund ihrer Kundgebungen gewählt, denn längst steht er nicht mehr für eine bestimmte Weltanschauung, sondern ist regionales Symbol geworden, ja Symbol der Heimat. Das Wahrzeichen hat viel erlebt in den letzten Wochen und Monaten. Viel zu viel, um es einer einzigen Erzählung zu überlassen.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Artikels haben wir fälschlicherweise geschrieben, dass der ehemalige Alterspräsident des Bundestages, Stefan Heym, als Moderator agierte. Der DDR-Schriftsteller, parteilose Bundestagsabgeordnete für die PDS und Sohn einer jüdischen Chemnitzer Kaufmannsfamilie ist jedoch bereits im Jahr 2001 gestorben - eine Puppe, geführt von einem Bauchredner, hat den Sohn der Stadt repräsentiert.

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