Süddeutsche Zeitung

Über Klasse schreiben: "Check your habitus":Sauber bleiben

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Dichterinnen und Autoren folgen dem Imperativ "Check your habitus" und schreiben über die prekären Gefühle des sozialen Aufstiegs.

Von Marie Schmidt

So ein Satz wie "Ich bin davon überzeugt, dass andere grundsätzlich mehr wissen als ich", den die Journalistin und Autorin Dilek Güngör schreibt, oder Heike Geißler: "Ich nicke in Gesprächen immer, als wüsste ich alles." Da spürt man dieses schwelende Misstrauen gegen sich selbst, das eine nimmermüde Aufmerksamkeit verlangt, eine dauernervöse Spannung, das charakteristische Symptom der sogenannten "sozialen Mobilität".

Beweglichkeit wird in einer liberalen Vorstellungswelt immer gut gefunden. Man sagt: Die hat's geschafft, oder aus dem ist was geworden. Das klingt markig nach einem Happy End. Aber auch in der deutschsprachigen Literatur sammeln und organisieren sich gerade die Stimmen, die davon erzählen, dass die Klasse zu wechseln vor allem eines bedeutet: harte Arbeit, lebenslänglich.

Dass der Aufstieg in eine höhere Schicht nicht durch einen Universitätsabschluss oder den Kaufvertrag einer Eigentumswohnung erledigt ist, sondern in tausend größeren und kleinen Ereignissen wiederkehrt, immer wieder vollzogen werden muss und womöglich nie zu schaffen ist: "Das Herkunftsmilieu ist verlassen, aber nicht verwunden", schreibt Daniela Dröscher im Vorwort zu der literarischen Collage "Check your habitus", "ein selbstverständliches Zugehörigkeitsgefühl zum Ankunftsmilieu bleibt aus." Sie spricht von einem "gespaltenen Habitus".

Die Beiträge sind kurz und fragmenthaft, wirken fast wie ein Gespräch

Dröscher selbst hat schon in ihrem Buch "Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner sozialen Herkunft" (2018) nach Formen gesucht, von der Selbstwahrnehmung, den Gefühlen, den Folgen eines Milieuwechsels sprechen zu können. Zuletzt haben in dem Sammelband "Klasse und Kampf" (Claassen-Verlag) Autorinnen und Autoren von einem Klassengefälle erzählt, von dem das Bildungsbürgertum gewöhnlich lieber nicht redet. Auf der Website checkyourhabitus.com kuratiert Dröscher jetzt literarische Aphorismen anderer Schriftstellerinnen und Schriftsteller zu Motiven des Aufsteigens.

Von 1. bis 21. Mai kommen jeden Tag drei dazu, jeweils in sechs Sprachen. Wie um die Übersetzung parallel zu führen mit dem Lernen von Soziolekten: "Ich springe zwischen so vielen Sprachregistern hin und her, dass Umfeld A eine ganz andere Person kennt als Umfeld B und C und D. Das wird für mich immer normal sein und sich trotzdem niemals nicht verräterisch anfühlen", schreibt der Künstler George Demir. In der deutschen Version erscheinen die Texte von "check your habitus" gesammelt im Sukultur Verlag.

Kurz und fragmenthaft, wie sie nebeneinanderstehen, wirken die Beiträge fast wie ein Gespräch. Und in dem entwickelt sich auch eine höhere Sensibilität, eine wachere Aufmerksamkeit, in der das bräsige Selbstbewusstsein der Bildungsbürgerkinder womöglich ganz schön plump wirken kann. "Sauberkeit muss man lernen", schreibt zum Beispiel Karosh Taha, deren Roman "Im Bauch der Königin" 2020 erschien, "aber das passt nicht in die Pläne der Wohlstandskinder. Wenn sie sich mal keine Putze leisten können, weil: Auslandsjahr, WG, prekär bezahlter Job, dann zeigt sich ihr Dreck." Die feinen Unterschiede kehren aus den unterschiedlichsten Ecken wieder. Und hier schreiben definitiv Menschen, die sie sehr genau lesen können.

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