Charly Hübner im Porträt:Tiefgänger mit Dackelblick

Charly Hübner im Porträt: Eigentlich wollte er Profisportler werden. Aber das, was Charly Hübner dafür disqualifizierte, zeichnet ihn nun als Schauspieler aus: sein großes Herz.

Eigentlich wollte er Profisportler werden. Aber das, was Charly Hübner dafür disqualifizierte, zeichnet ihn nun als Schauspieler aus: sein großes Herz.

(Foto: Daniel Cramer)

"Moin." Eine erfreuliche Begegnung mit Charly Hübner und die Frage, warum man diesem Schauspieler alles abnimmt.

Von Christine Dössel

Eine Begegnung mit Charly Hübner ist genau so locker und erfreulich, wie man sich das vorstellt. Er scheint tatsächlich der norddeutsche Pfundskerl zu sein, als der er als Schauspieler rüberkommt. Auf einen wie ihn passt die Redensart: Er hat das Herz am rechten Fleck. "Moin", sagt Hübner zur Begrüßung, was für süddeutsche Ohren umso befremdlicher klingt, als es bereits nach 22 Uhr ist. Wir sind in der Kantine des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg für "nach der Vorstellung" verabredet. Hübner schlägt den Ums-Eck-Platz direkt am Tresen vor und bestellt einen Flammkuchen. Den ersten Wein gibt Rocko Schamoni aus, die Hamburger Subkultur-Ikone. Der zweite geht aufs Haus.

Charly Hübner scheint hier sehr beliebt zu sein. Gespielt wurde heute Abend "Der goldene Handschuh", der neueste Inszenierungsstreich des Hamburger Spaß-Trios Studio Braun, bestehend aus eben Rocko Schamoni, Jacques Palminger und Heinz Strunk, der auch den gleichnamigen Roman geschrieben hat. Einen traurigen, grotesken, hammerhart grausigen Roman. Es geht um eine Kiez-Spelunke, in der in den Siebzigerjahren auch der Frauenmörder Fritz Honka verkehrte. Er hat dort seine Opfer aufgegabelt, einsame, heruntergekommene ältere Frauen, die er missbrauchte und zerstückelte. Ein Monster. Aber auch "das ärmste aller Würstchen", wie die Gerichtsreporterin Peggy Parnass den klein gewachsenen Mann nannte. Dieses Würstchen spielt Charly Hübner.

"Das klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber ich will's mir selber glauben können."

Auf den ersten Blick eine Besetzung gegen den Strich. Der Mecklenburger Hübner, 1972 in Neustrelitz geboren - vor Kurzem feierte er seinen 45. Geburtstag -, ist stattliche 1,92 Meter groß. Ein Hüne, stämmig, er selber sagt: "ein Trumm". Weshalb er auch diesmal wieder - wie etwa bei der Verfilmung von Sven Regeners "Magical Mystery oder: Die Rückkehr des Karl Schmidt" - beim Produktionsteam einwandte: "Leute, ich bin doch viel zu groß für die Rolle!" Woraufhin man ihn aber trotzdem wollte. "Die sehen da irgendwas in mir. Keine Ahnung was, aber das soll auch denen ihrs bleiben", sagt Hübner. Er versuche dann einfach so zu spielen, wie er selbst die Figur sehe, wenn er deren "Kosmos kapiert" und "die entscheidenden Pfade innen drinnen" für sich gefunden habe: "Das klingt jetzt vielleicht pathetisch, aber ich will's mir selber glauben können."

Glaubwürdigkeit ist eine Riesenqualität von Charly Hübner. Diesem Schauspieler nimmt man alles ab, den harten, brummigen Ermittler Alexander Bukow, den er grandios maulfaul und verstockt seit sieben Jahren im Rostocker "Polizeiruf 110" spielt, ebenso wie den Comedy-Partner von Anke Engelke in "Ladykracher" und all die kleinen Verlierer und liebenswürdigen Tollpatsche, die sein Rollenprofil prägen. Da wäre etwa der einfältige, grundgute Hausmeister in der Plattenbau-Filmschmonzette "Anderst schön" (2015). Oder der brave Sachbearbeiter Lorenz Brahmkamp, den er, ebenfalls 2015, in der ARD-Betrugskomödie "Vorsicht vor Leuten" gab: So nonchalant, wie er sich da vom Bürotrottel zum windig-charmanten Geschäftemacher hochstapelte, gingen ihm alle auf den Leim. Auch die Zuschauer.

Wenn man sich fragt, wie zum Teufel er das immer wieder schafft, und zwar in den unterschiedlichsten Formaten und Antihelden-Rollen, kommt man bei der Analyse nicht um seine braun-grünen Knopfaugen herum. Charly Hübner beherrscht diesen intensiven, treuherzigen Dackelblick, der kein Herz ungerührt lässt, es sei denn, es ist aus Stein. Er kann Sympathie erzeugen, Vertrauen erwecken - gerade weil er im Kontrast zu dem zutraulichen Blick so ein Mordskerl ist. Was rührt, was zum Beispiel auch seinen depressiven Onkel Wanja in Karin Beiers Inszenierung von 2015 so bewegend machte, ist diese Verbindung von dem Zarten, Weichen und dem Großen, vermeintlich Groben.

Überhaupt ist Charly Hübner unverkennbar ein guter Typ. Geerdet und doch cool. Freundlich, aber souverän und bestimmt. Ein Mann, geprägt von der Gegend, aus der er stammt, dem Mecklenburgischen Seenplattenland und dem dortigen "proletarischen Humor", wie er sagt. "Kurze Wege, Sachen auch mal abschließen können", auch das gehöre zu seiner Ost-Prägung. Diese Erdung verbindet ihn auch mit seiner Frau, der Schauspielerin Lina Beckmann. Die stammt aus dem Ruhrgebiet, arbeitet ebenfalls am Hamburger Schauspielhaus und ist genau so ein Geschoss wie er. Oft stehen sie gemeinsam auf der Bühne - auch im "Goldenen Handschuh" -, das ist dann immer eine geballte Ladung Ausnahmeschauspielkraft. Sieben Jahre sind sie jetzt schon zusammen, fünf davon verheiratet.

Aufgewachsen noch zu DDR-Zeiten in einer "typischen Kleinbürgerfamilie" - die Eltern Gastronomen, staatstreu, der Vater später in der Kultur tätig und, wie sich herausstellte, auch bei der Stasi - wollte Charly Hübner eigentlich Profi-Sportler werden. Leichtathletik und Handball. Eine ärztliche Diagnose machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Sein Herz sei wachstumsbedingt zu groß. Schöne Ironie des Schicksals: Was ihn für den Leistungssport disqualifizierte, zeichnet Hübner, den Mann mit dem großen Herzen, als Schauspieler ganz besonders aus.

Irgendwann habe er sich "überspielt"

Zum Theater findet er über einen Freund und ein paar Erweckungserlebnisse. Charly Hübner besucht die Schauspielschule in Rostock, dann, als diese geschlossen wird, die Ernst-Busch-Hochschule in Berlin. In Berlin saugt er sich Anfang der Neunziger mit Theater voll, lernt Tom Kühnel und Robert Schuster kennen und geht mit ihnen ans TAT, das Theater am Turm in Frankfurt, wo damals noch William Forsythe agierte. Er habe sich dort "überspielt", sagt Hübner. In sieben Jahren 35 Stücke. Und das als Anfänger. Hübner war am Anschlag - und in einer Sinnkrise. Als am 11. September 2001 zwei Flugzeuge ins World Trade Center rasten, brachte das sein Seelenfass zum Überlaufen: "Da passieren solche weltverändernden Sachen, und wir bunkern uns im Theater ein."

Seine Menschenkunst ist es, noch den schwächsten Figuren eine Würde zu geben

Er nahm dann erst mal Abstand von der Bühne. Das war die Zeit, als Hübner, der Fernsehmuffel, zu drehen anfing. Seither ist er dick im Geschäft. Aber auch die Theaterpause hielt nur fünf Jahre an, er braucht das ja schon, dieses Live-Spiel vor Publikum. Bevor er 2013 mit Karin Beier ans Hamburger Schauspielhaus wechselte, gehörte er schon zu ihrem Ensemble in Köln. Es war dort, bei den Proben zu Tschechows "Kirschgarten", wo Lina Beckmann und er sich "total ineinander verschossen" haben, er war der Aufsteiger-Prolet Lopachin, sie die vergeblich ihn liebende Warja.

Charly Hübners Menschenkunst ist es, noch den schwächsten Figuren eine Würde zu geben. Das ist auch bei seinem Fritz Honka so. Wie er dem ungeheuerlichen Mörder eine traurige Restmenschlichkeit erspielt und die Gratwanderung hinkriegt zwischen Bestie und verlorener Seele, ist großartig. Ausgestattet mit Menjoubärtchen und Schläfen und einer Sehnsucht nach "Normalität", ringt Hübners Riesenlackel-Honka sichtlich um Haltung. Lustig allein sein konzentrierter, segelnder Alkoholiker-Gang mit nach hinten gebeugten Schultern und vorgeschobenem Bauch.

Charly Hübner ist als Schauspieler weniger der Verwandlungs- als der typgerechte Authentizitätskünstler. Dass er Figuren so überzeugend auf den Punkt bringt, liegt auch daran, dass er ihnen selber erst mal auf den Grund geht, verstehen will, wie sie ticken. "Ich habe da immer so innere Bilder. Die müssen für mich stimmen." Zum Beispiel bei Honka: "Da spiele ich, dass ich der kleinste Mann im Raum bin." Kleine Männer müssen hochgucken, das ist ein Riese wie Hübner nicht gewohnt.

Zur Vorbereitung auf seinen störrischen Bukow im "Polizeiruf" boxt er. Auch als Kampfschwimmer hat er sich für eine Rolle schon versucht. Und für seinen wunderbaren Ex-Psychiatriepatienten Karl Schmidt in dem Raver-Roadmovie "Magical Mystery", das im Sommer im Kino lief, hat er sich mit viel Pasta 15 Kilo draufgefressen. Weil in Sven Regeners Buchvorlage steht: "ein Berg von einem Mann" und Hübner sich ein sockelfestes Dreieck vorstellte. Er spielt diesen trockengelegten Säufer so melancholisch und komisch als gute Seele vom Fahrdienst, mit großer Bescheidenheit und grässlicher Frisur, dass er dafür Ende Januar in Berlin den Ernst-Lubitsch-Preis erhält.

Es passt zu dem Tiefgänger Charly Hübner und seiner Empathiefähigkeit, dass er sich nicht nur von außen in Figuren hineinbohrt oder -boxt. Er lauscht auch umgekehrt, was ein Projekt, ein Film oder ein Theaterstück, ihm zu sagen hat, welche "Signale es sendet". Er nennt dies "das Ego" eines Projekts. "Nicht: Was wollen wir, sondern: Was will die Sache? Was will eine Figur?" Nach diesem Ego-Prinzip ist er auch beim Drehen seines ersten eigenen Films "Wildes Herz" verfahren, einer Dokumentation über den Rostocker Antifa-Aktivisten und Frontmann der Punkband Feine Sahne Fischfilet Jan "Monchi" Gorkow. Dieser Film kommt erst im April ins Kino, wurde auf dem Dok-Filmfestival in Leipzig aber schon groß gefeiert.

2017 war ein Spitzenjahr für Charly Hübner. Wie es ausschaut, könnte das im nächsten so weitergehen. "Wohlsein!", sagt er beim letzten Anstoßen.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: