Charlotte Roche: "Wetlands":Shocking?

Was stellen deutsche Urlauber wohl noch alles mit ihren Handtüchern an? Großbritannien diskutiert über Charlotte Roches Ultra-Beststeller "Feuchtgebiete", der nun auf Englisch erscheint.

A. Menden

Obwohl das offiziell zwiespältige Verhältnis der Briten zur Erotik von jeher Anlass zu hölzernen Bonmots wie "No Sex please, we're British" gibt, hat sie im öffentlichen Alltag der Insel natürlich einen ebenso festen Platz wie in allen anderen westlichen Ländern. Angesichts einer Fülle von Fernsehprogrammen mit Titeln wie "Sexcetera" und "Sexperience" scheint es sogar, als gebe es einen medialen Hang zu Überkompensation des Verklemmungs-Klischees. Der führt dazu, dass nun auf allen Kanälen vornehmlich weibliche Moderatoren einen betont entspannten, praktischen Umgang mit Sex propagieren.

Charlotte Roche: "Wetlands": In England geboren, darf Charlotte Roche gespannt sein, wie "Wetlands" dort aufgenommen wird.

In England geboren, darf Charlotte Roche gespannt sein, wie "Wetlands" dort aufgenommen wird.

(Foto: Foto: ddp)

Seit ein Londoner Call-Girl unter dem Pseudonym "Belle du Jour" 2003 ihre Memoiren veröffentlichte, ist zudem auch der britische Buchmarkt immer besser bestückt mit fiktionaler wie nichtfiktionaler Ware, die aus weiblicher Perspektive über ein reges, abenteuerliches Sexleben berichtet. Es scheint also, als könne der Zeitpunkt nicht günstiger sein für die Publikation der englischen Übersetzung von Charlotte Roches Ultra-Bestseller "Feuchtgebiete".

Die gemischten Vorab-Besprechungen zu dem Buch, das in England am 5. Februar unter dem Titel "Wetlands" erscheint, spiegeln jedoch vor allem die bereits in Deutschland vonstatten gegangene Debatte wider, wie bahnbrechend oder befreiend Roches berüchtigt minutiöse Darstellung von Körperfunktionen denn nun eigentlich sei.

Rowan Pelling schreibt in der Daily Mail, die Tatsache, dass das alles auf ihn wenig revolutionär wirke, habe womöglich etwas mit den kulturellen Unterschieden zwischen Deutschland und Großbritannien zu tun: "Jeder, der junge betrunkene Frauen auf der Suche nach Eroberungen in den Innenstädten herumziehen sieht, weiß, dass bei dieser Generation aller geheimnisvoller femininer Nimbus nahezu ausgerottet ist."

Danuta Kean wirft der Erzählerin Helen im Independent vor allem vor, sie könne sich zwar schweinisch ausdrücken, aber es fehle ihr an emotionalem Tiefgang. Obwohl Charlotte Roche sie mit ihrem Anspruch, ein feministisches Manifest gegen den Hygieneterror verfasst zu haben, letztlich nicht überzeuge, glaube sie aber, "Feuchtgebiete" sei "gleichauf mit den besten Tabu-brechenden Romanen", so Kean. Es sei ein "Marmite-Buch" - ebenso wie den englischen Hefe-Brotaufstrich könne man es nur hassen oder lieben.

In der Times berichtet Joan Smith sehr ausführlich über den biografischen Hintergrund der in England gebürtigen Roche und kommt zu dem Schluss, das aufschlussreichste an den "Feuchtgebieten" sei nicht die Pornografie, sondern das komplexbeladene Verhältnis der Protagonistin zu ihren Eltern. Sie vergleicht das Buch mit den Memoiren von Christina Crawford, der geschundenen Tochter der Hollywoodstars Joan Crawford, und befindet: "Die neueste erotische Sensation liest sich ein bisschen zu sehr wie 'Mommy Dearest'."

Nachdem sie beschrieben hat, wie Helen regelmäßig ihre Genitalien über die Klositze öffentlicher Toiletten reibt, meint Sophie Harrison im Observer, als Brite solle man in Zukunft froh darüber sein, dass Deutsche im Urlaub ihre Sonnenliegen nur mit Handtüchern markieren. Stilistisch stört sie vor allem die Wortwahl der englischen Übersetzung. Harrison gibt allerdings auch zu, nicht zu wissen, ob die des deutschen Originals besser ist.

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