Süddeutsche Zeitung

Charlotte Rampling im Interview:"Ich mag es, das Monster rauszulassen"

Sie ist bekannt für die schwierigen Themen und bekennt offen: Ich verstöre gern! Die Schauspielerin Charlotte Rampling über das Leben als Performance, die Kamera als Versteck und ihr aktuelles Filmporträt "The Look".

Susan Vahabzadeh, Fritz Göttler

SZ: Hat sich die Struktur des Films, der Ihr Leben in Kapitel ordnet, bei der Arbeit ergeben - oder hatte die Regisseurin Angelina Maccarone sich das vorher schon so überlegt?

Charlotte Rampling: Wir haben uns von Anfang an gut verstanden. Ich bin eigentlich eine scheue Person, und ich denke, sie auch - und Einigkeit ist sehr wichtig, wenn man sich so zur Schau stellen muss wie in diesem Film. Die Kapitel hatte sie festgelegt, als wir anfingen - sie bat mich, das selbst zu tun, aber ich hätte nicht gewusst, was ich da nehmen soll. Meine Bedingung war, dass wir alles nur einmal versuchen, und so haben wir auch gedreht. Was ich auf gar keinen Fall wollte, war ein einfacher Dokumentarfilm.

SZ: Eigentlich kommt einem "The Look" ja auch gar nicht wie ein Dokumentarfilm vor - eher wie eine Fiktion, eine Performance.

Rampling: Finden Sie? Ha! Ich kann das nicht voneinander trennen, was die reale Person ist und was Show. Ich denke, alles ist immer eine Performance. Wenn Sie hier reinkommen, ist das auch ein Auftritt - als Journalistin. Dieses Interview ist eine Performance.

SZ: Verändert die Anwesenheit der Kamera nicht, wie man sich gibt?

Rampling: Nicht für jemanden, der die Arbeit vor der Kamera gewohnt ist, der ihre Anwesenheit akzeptiert hat - dann spielt man ja auch mit ihr. Aber so weit wollte ich hier eben nicht gehen - dass ich mich ganz sicher fühlen kann, weil ich sowieso nur eine Rolle spiele. Das war dann recht unbequem, ich wusste nicht, wo es hingeht - oder warum ich da überhaupt mitgemacht habe. Das geht mir oft so, dass ich mich einfach mitreißen lasse. Eine Idee hat mich interessiert, und plötzlich stecke ich mittendrin.

SZ: In "The Look" hat man trotzdem den Eindruck, dass Sie so oft von anderen inszeniert und fotografiert wurden, dass Sie die Gelegenheit nutzen wollten, sich einmal so zu inszenieren, wie Sie von uns wahrgenommen werden wollen.

Rampling: Genau so ist es. Deswegen habe ich übrigens auch angefangen, selbst zu fotografieren. Weil ich nicht mehr angesehen wurde, sondern ich mir ein Bild von der Welt machte. Damals hatte man ja noch so große Nikons, das hat mir gefallen, dass ich dahinter verschwand. Das Equipment hat sich inzwischen völlig verändert, ein Grund dafür, dass ich nicht mehr so viel fotografiere wie früher. Die Digitalisierung der Fotografie.

SZ: Eigentlich gab es bei diesem Film ja wenig Grund für Sie, sich verstecken zu wollen, denn die Gesprächspartner für die neun Kapitel haben Sie sich doch selbst ausgesucht.

Rampling: Ja - und ich denke, einige von ihnen machen das sehr gut, andere weniger, aber ich wollte einfach nur Leute, mit denen ich selbst gerne rede - einer, ein sehr guter Freund von mir aus New York, Frederick Seidel, wollte dann am Ende gar nicht reden, ich lese seine Gedichte, aber er wollte sich nicht zeigen. Das war das Kapitel "Dämonen".

SZ: Suchen Sie da nach der Kommunikation, die Sie mit Regisseuren nicht immer gefunden haben? Gerade die, mit denen Sie gearbeitet haben - François Ozon zum Beispiel -, sind ja nicht bekannt für besonders enge Zusammenarbeit.

Rampling: Ja, da ist was dran. Ehrlich gesagt hatte ich auch zwei Regisseure gefragt, ob sie mitmachen, aber das Verhältnis zwischen Schauspielerin und Regisseur passt wohl nicht dazu. Regisseure wollen inszenieren, und sich von Angelina inszenieren zu lassen und von mir - das wäre doch irgendwie kompliziert geworden.

SZ: Hätte Ihnen das gefallen - einen Ihrer Regisseure sozusagen zurückzuinszenieren?

Rampling: Nein. Bei mir dauert es sehr lange, bis ich auftaue, aber wenn ich aufgetaut bin, dann gebe ich alles, und ich denke hinterher nicht mehr darüber nach. Ich muss nicht die Kontrolle haben. Das entspricht einfach nicht meinem Charakter.

SZ: Sie haben ja eine Reihe von Filmen gemacht, bei denen es sicher von Vorteil war, hinterher nicht mehr drüber nachzudenken. Nehmen wir mal Liliana Cavanis "Der Nachtportier" von 1974 - da spielten Sie eine Frau, die nach dem Krieg eine sadomasochistische Beziehung zu dem SS-Mann hat, der sie im Konzentrationslager gequält hat. Der Film wurde als geschmacklos und pornographisch beschimpft. Haben Sie sich die Angriffe damals zu Herzen genommen?

Rampling: So was geht einem natürlich nahe, aber man muss versuchen, es nicht zuzulassen. In den Siebzigern wurde vieles ans Licht gezerrt, man brach Tabus, man kämpfte um völlig neue Perspektiven auf die Dinge. Man wagte sich eben an schwierige Themen heran.

SZ: Haben Sie es bereut, die Rolle angenommen zu haben?

Rampling: Es war schwierig, aber als Schauspieler muss man lernen, zu seinen Entscheidungen zu stehen. Dreharbeiten dauern lang, und man muss das physisch und psychisch durchhalten. Das hältst du nicht durch, wenn du denkst: Oh Gott, auf was für einen Scheiß habe ich mich denn da eingelassen? Also erlaube ich meinem Verstand das erst gar nicht. Man hat ja als Schauspieler sowieso nicht die Kontrolle über ein Projekt, die hat der Regisseur.

SZ: Wenn Sie die Entscheidung noch mal treffen müssten, würden Sie wieder Schauspielerin werden?

Rampling: Nein - das habe ich doch schon mal gemacht, das müsste ich doch nicht noch mal tun!

SZ: Sie haben sich oft für die verstörenden, nicht die unterhaltsamen Geschichten entschieden.

Rampling: Aber ja! Ich verstöre wirklich sehr gern.

SZ: Wie Sie im Film sagen: Manchmal ist es das beste, die Rolle des Monsters zu übernehmen.

Rampling: Ich mag es, das Monster rauszulassen, das wir alle in uns haben. Manche Schauspieler lassen es dann aber die ganze Zeit raus, das ist unerträglich.

SZ: Manche Regisseure auch - Lars von Trier beispielsweise, mit dem Sie "Melancholia" gemacht haben, mit seinem Hitler-Spruch in Cannes . . .

Rampling: Ungezogen! Er hat seine Prügel bekommen.

SZ: Ihre Karriere wurde entscheidend beeinflusst von der Arbeit mit Luchino Visconti - Sie sind wohl genau sein Typ gewesen . . .

Rampling: Visconti war der größte aller Meister. Er hatte Georgy Girl gesehen und wollte mich für Die Verdammten. Kess, wie ich damals war, ich war 24, kam ich in sein Büro und fragte: Warum wollen Sie mich für die Rolle? Die Frau ist doch viel älter als ich und hat Kinder. Er sagte: Es ist alles in den Augen. Gib mir, was in deinen Augen ist.

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Quelle:
SZ vom 21.10.2011/anbo/gr
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