Süddeutsche Zeitung

Charles Aznavour wird 90:Der sture, große Optimist

Als er zehn Jahre alt war, ging er von der Schule ab, um Sänger zu werden. Seitdem hat Charles Aznavour viel gesungen, komponiert und geschauspielert. Einen seiner Jobs behält er sogar über seinen 90. Geburtstag hinaus.

Von Susan Vahabzadeh

Manchmal erkennt man die Größe eines Songs ja erst, wenn er nach 25 Jahren wieder auftaucht, in neuer Gestalt und doch immer noch er selbst. Das gab es beispielsweise, als Elvis Costello "She" für den Soundtrack des Julia-Roberts-Films "Notting Hill" aufnahm, das Chanson von Charles Aznavour, mit dem dieser 1974 einen riesigen Erfolg hatte, der bis nach Amerika reichte. Damals war Aznavour fünfzig Jahre alt, ein zierlicher Mann mit grauen Haaren - in Europa war er längst berühmt wegen seiner Lieder und wegen seiner zweiten Karriere, der Schauspielerei.

Die Anfänge waren hart, Aznavour wurde in Paris geboren, am 22. Mai 1924, die Eltern waren Armenier. Sie waren arm. Der junge Shahnourh, wie er damals noch hieß, wollte Sänger werden, mit zehn war er schon von der Schule abgegangen. Er begann bald, seine Lieder selbst zu schreiben, was damals noch sehr unüblich war - und er eckte an mit seiner ungewöhnlichen Stimme und der ungewöhnlichen Art, sie einzusetzen, mit einem leichten orientalischen Einschlag.

Oft wurde er ausgepfiffen. Aufhören kam nicht infrage: "Ich bin stur und ein großer Optimist. Je mehr man versucht, mich aufzuhalten, desto eher halte ich durch. Das war immer so in meiner Familie. Sogar wenn wir hungerten, lachten und sangen wir." Heute erzählt Aznavour in Interviews, es seien lange Jahre gewesen bis zum Durchbruch - vielleicht kamen sie ihm auch nur lang vor. Die legendäre Edith Piaf hatte ihn gehört und mit auf Tournee genommen, das war 1946. So begann Karriere Nummer eins.

Eigene Art, eigene Stimme

Der "französische Sinatra", das kann man noch heute über ihn lesen in amerikanischen Zeitungen. Es stimmt nicht ganz. Er hat seine eigene Art, eine Stimme, sagt er selbst, "die nach dem Osten klingt, und einen Stil, Chansons zu schreiben, der westlich ist." Er setzte sich bald durch, es kamen Filmrollen dazu, und ein neuer Kumpel, François Truffaut.

Truffaut schrieb für ihn die Rolle in der Gangster-Film-Hommage "Schießen Sie auf den Pianisten", 1960. Aznavour spielt den schüchternen, zögerlichen Charlie, der mal ein großer Pianist war, bis seine Frau sich umbrachte. Insgesamt hat er in siebzig Filmen mitgespielt, als Schauspieler war er arbeitswütig, nicht immer wählerisch. Unvergessliche Filme waren nur wenige dabei, in Volker Schlöndorffs "Blechtrommel" war er dabei, als Mitwisser eines Mordsüchtigen in Claude Chabrols "Die Phantome des Hutmachers", und, 2002, in Atom Egoyans "Ararat".

Der Film war eine Herzensangelegenheit. Charles Aznavour spielt darin einen Regisseur, der ein großes Epos zu drehen versucht über das Massaker an den Armeniern 1915, vor dem Aznavours Eltern nach Frankreich geflohen waren. Er hat sich immer wieder für die Armenier engagiert, sehr darauf bestanden, wie wichtig seine Wurzeln für ihn sind - obwohl er doch zum Chansonnier par excellence geworden war und im Ausland immer als urfranzösisch gelten wird.

Der Sohn Shahnourh, der zu Charles wurde, hat in der Fremde viel aus seinem Leben gemacht: Sprachen gelernt, obwohl er doch kaum zur Schule gegangen war, komponiert und gesungen und gedreht und Konzerte gegeben bis ins hohe Alter. Und genau genommen hat er sogar, ganz nebenher, noch eine dritte Karriere gemacht. Charles Aznavour ist seit 2009 Botschafter Armeniens in der Schweiz - und diesen Job behält er auch über seinen 90. Geburtstag hinaus.

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SZ vom 22.05.2014/nema
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