Süddeutsche Zeitung

Central European University:Unerwünscht

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Die "Central European University" ist auf Betreiben der Regierung Orbán aus Budapest vertrieben worden, ihre neue Heimat fand sie in Wien.

Von Peter Münch

Einen Stammimbiss hat sie schon gefunden, immerhin. "Mittags gehe ich in ein türkisches Lokal", sagt Tamar Giorgobiani, "da esse ich fast jeden Tag Linsensuppe, die ist gut und günstig." Doch wenn sie zur Bibliothek will, wo die Regale noch höchstens halb gefüllt sind mit Büchern und Zeitschriften, dann fragt sie sich schon noch, ob die nun im ersten oder im zweiten Stockwerk zu finden ist. "Labyrinth-Flure sind das hier", sagt sie, verlaufen gehört dazu am Anfang. Es ist ja alles noch neu in Wien für Tamar Giorgobiani und alle anderen von der Central European University, kurz CEU.

Die vom US-Milliardär und Philanthropen George Soros 1991 in Budapest gegründete internationale Universität hat gerade ihren Lehrbetrieb in Wien aufgenommen, nach der Vertreibung aus Ungarn. Tamar Giorgobiani aus Georgien, 23 Jahre alt und von fröhlichem Wissensdurst getrieben, zählt zu den ersten 300 Studierenden am neuen Standort. Vorher hat sie in Tiflis studiert, in Passau und Berlin. Nun will sie hier ihren Master machen, ausgestattet mit einem Stipendium, wie 80 Prozent der CEU-Studierenden. Internationale Beziehungen ist ihr Studienfach, und praxisnah ist sie an ihrer neuen Universität gleich in ein höchst komplexes politisches Drama geraten.

Tamar Giorgobiani ist genau aus jenen Gründen zur CEU gekommen, die in Ungarn dafür gesorgt haben, dass die Universität unter Druck der Regierung geraten ist. "Hier herrscht ein freier Geist", sagt sie, "und alles ist sehr multikulturell und farbig." Anziehungskraft hat die Hochschule, die im Sinne von Soros die offene, demokratische Gesellschaft propagiert, vor allem in den osteuropäischen Transitionsländern. "In Georgien hatten wir schon einen Präsidenten, der auf der CEU war, und viele Minister", sagt Tamar Giorgobiani. "Die Leute, die dort studiert haben, sind die, die später etwas Besseres für ihren Staat machen wollen."

Ungarns Regierungschef Viktor Orbán, der einst selbst mit einem Soros-Stipendium in Oxford studierte, ist dieser freie Geist suspekt, und am Ende ist er sogar per Gesetz dagegen vorgegangen. Im März 2017 hat seine Regierung ein neues Hochschulgesetz erlassen, das ganz auf die CEU zugeschnitten war und ihr letztlich verbietet, in Ungarn amerikanische Studienabschlüsse anzubieten. Das kommt einem Rauswurf gleich. Die Proteste waren laut, es kam zu einem Vertragsverletzungsverfahren der EU-Kommission gegen Ungarn und zu einer Klage vor dem Europäischen Gerichtshof.

Es wird also heftig gerungen um diese Universität, die zum Symbol geworden ist. Und aus diesem Kampf kann man vieles lernen über Europa im Jahr 2019, über Gefahren für die akademische Freiheit und für die Demokratie insgesamt. Und auch darüber, wie man sich dagegen zur Wehr setzt. Ein Rückblick und ein Blick nach vorn in sechs Akten.

Oktober 2018

Michael Ignatieff sitzt in seinem Büro an der Budapester Nador-Straße und redet sich gepflegt in Rage. Der Kanadier, 72 Jahre alt, ist Präsident und Rektor der CEU. Journalist ist er gewesen und Romanautor, als Politiker hat er in seiner Heimat die liberale Opposition angeführt, und in Cambridge, Oxford und Harvard hat er Geschichte gelehrt. Zu den Stationen seines Lebens hängen Urkunden und Bilder an den Bürowänden. Ein Foto zeigt ihn mit Barack Obama. "Da war er in Kanada auf seiner ersten Auslandsreise als Präsident" erklärt Ignatieff.

Auf dem Schreibtisch steht sein Leitspruch: "Keep it simple". Dabei ist gar nichts einfach für Ignatieff und die CEU. "Als ich hier angefangen habe, dachte ich, das ist ein schöner Job am Ende meiner Karriere - und dann ist es ein Kampf geworden", sagt er. "Aber du kriegst eine Menge Energie, wenn du für die richtige Sache kämpfst."

Energie braucht er, denn der Kampf ist zermürbend. "Seit anderthalb Jahren leben wir in totaler Unsicherheit", sagt er. Irgendwann aber muss es vorbei sein mit der Unsicherheit: Ignatieff kündigt an, dass die CEU der Regierung Orbán noch eine letzte Frist bis Anfang Dezember 2018 setzt.

Wenn bis dahin der künftige Status der Universität nicht geklärt sei, müsse man umziehen nach Wien. "Es geht in diesem Streit nicht um eine kleine Universität, es geht um den Rechtsstaat in Ungarn", sagt er. "Viele verstehen, dass die CEU wie ein Leuchtturm ist. Wenn der verschwindet, wird es dunkel hier im Land."

Dezember 2018

Die Frist ist verstrichen ohne irgendeine Reaktion der ungarischen Regierung. Die CEU kündigt in einer schriftlichen Erklärung ihren Umzug nach Wien an. "Das ist ein einzigartiger Vorgang", schimpft Ignatieff. "Eine US-Institution wurde aus einem Land hinausgeworfen, das ein Nato-Verbündeter ist. Eine europäische Institution wurde vertrieben aus einem Mitgliedstaat der EU."

Von nun an läuft die Uhr. Zehn Monate sind es noch bis zum Start des neuen Studienjahrs. Bis dahin muss ein passender Standort in Wien gefunden und der Umzug organisiert werden.

Juni 2019

Jane Houzer redet schnell, die Zeit ist knapp. Akten schleppt sie heran, gefüllt mit Plänen, seit dem 1. Dezember ist sie bei der CEU für die logistische Abwicklung des Umzugs nach Wien zuständig. "Niemand hat so etwas vorher gemacht", sagt sie.

Im März wurde, als Übergangslösung, der Mietvertrag unterschrieben für ein ehemaliges Bankgebäude im Wiener Stadtteil Favoriten. Neben dem Umzug ist nun auch noch der Umbau zu planen. In fünf oder sechs Jahren soll die CEU dann in Wien ein dauerhaftes Domizil beziehen, voraussichtlich auf dem Gelände des historischen Otto-Wagner-Spitals. Klar ist inzwischen aber auch, dass die CEU parallel dazu den Standort Budapest erhalten will - als Forschungsstätte und für Studenten, die allein einen ungarischen Abschluss anstreben. "Für alle anderen ist das Studienjahr 2019/20 ein Übergangsjahr", erklärt Jane Houzer. Die neuen Master-Studenten wie Tamar Giorgobiani verbringen im Wechsel je ein Semester in Wien und eins in Budapest. Erst 2020 startet der volle Lehrbetrieb in Österreich. Der Umzug ist also in Etappen zu bewältigen. Es gibt einen Masterplan bis 2025, und es gibt täglich neue Herausforderungen.

"Bösartige kleine Probleme" nennt Jane Houzer das, "Nebensächlichkeiten, die alles blockieren können". Was alles zu bedenken und alles zu lösen ist, hat sie in acht verschiedenen "Workstreams" gebündelt. Am Ende müssen 1500 Studenten und mehr als 500 Universitätsangestellte mit ihren Familien in Wien ankommen, und damit sie dort heimisch werden können, gibt es auch den "Wohlfühl-Workstream". Dazu gehört zum Beispiel ein Tagesausflug zur Erkundung des neuen Standorts.

Juli 2019

Morgens um acht Uhr ist der Bus in Budapest losgefahren, um 11 Uhr beginnt für Jane Houzer und 25 neugierige CEU-Mitarbeiter das Besichtigungsprogramm rund um das neue Uni-Gebäude im multikulturellen Wiener Arbeiterbezirk Favoriten.

Das ist gefühlt weit weg vom Sisi-Disneyland zwischen Stephansdom und Hofburg. Hier gibt es keine Fiaker, sondern nur quietschende Straßenbahnen, und ansonsten eher Döner als Bratwurst. Doch es ist ein herrlicher Sommertag, ein Tag, an dem man sich in Wien verlieben muss. "Alles läuft gut, die Stimmung ist positiv", sagt Jane Houzer. Die Mitarbeiter machen Fotos für die Familie zu Hause. Auf der Rückfahrt gibt es für jeden ein Stück Apfelstrudel, den Jane Houzer schnell noch beim "K. u. K. Hofzuckerbäcker Demel" in der Innenstadt besorgt hat.

Auch auf der Baustelle in der Quellenstraße, wo hinter der modernen Glas- und Stahlfassade lautstark gehämmert und gesägt wird, schaut Jane Houzer vorbei. "Es ist kein historisches Gebäude wie in Budapest, aber auch kein Bunker", sagt sie. "Es ist ein neutrales Gebäude, und es ist, wie es ist." Das Wichtigste für sie an diesem Tag: "Alles ist im Zeitplan."

September 2019

In Budapest trifft der neue Studienjahrgang ein, 600 junge Leute aus mehr als 80 Ländern. Kurz vor der Willkommenszeremonie im Auditorium der CEU sitzt Michael Ignatieff im blütenweißen Hemd noch in seinem Büro, die Stimmung ist schwankend. "Ich bin immer noch wütend über diesen Skandal, dass die Universität gezwungen wird, ihr Zuhause zu verlassen", sagt er. "Aber ich bin stolz auf unsere Antwort und stolz auf mein Team." Trotz der Wirren und des anstehenden Umzugs habe es sogar noch mehr Bewerbungen auf die Studienplätze gegeben als früher.

Wütend ist Ignatieff nicht nur auf die ungarische Regierung, enttäuscht ist er inzwischen auch über die mangelnde Unterstützung von außen. "Wir sind eine in Amerika eingeschriebene Institution, aber es gab keinerlei Unterstützung von der Trump-Regierung", klagt er. "Und auch die Instrumente der EU sind sehr schwach." Von der Klage beim Europäischen Gerichtshof hat er jedenfalls schon lange nichts mehr gehört. "Wenn man die Gerechtigkeit aufschiebt, dann gibt man die Gerechtigkeit auf", sagt er. Positiv stimmt ihn allein die Haltung in Wien. "Dort sind wir überall mit offenen Armen empfangen worden."

Dann streift er sich das Sakko über und geht hinunter ins Auditorium zu seiner Begrüßungsrede vor den neuen Studierenden. Schnell kommt er auf den "Kampf" zu sprechen, in dem sich die CEU befinde. "Es ist ein Kampf für die akademische Freiheit." Der Umzug nach Wien sei "ein großes Abenteuer", sagt er. "Wir müssen das tun, weil wir von der ungarischen Regierung dazu gezwungen wurden. Aber wir werden das schaffen."

Oktober 2019

Nach einer dreiwöchigen Einführung in Budapest ist Tamar Giorgobiani zusammen mit der ersten Hälfte des neuen Master-Jahrgangs in Wien eingetroffen. Vor dem CEU-Gebäude weht eine blaue Fahne mit der Aufschrift: "We are open". Neu eröffnet - und offen im alten Sinne. Bis zum Jahresende bleiben 300 Studenten nun hier, dann wird gewechselt. "Das Pendeln ist ziemlich schwierig für alle und mit Stress verbunden", sagt Tamar Giorgobiani. "Andererseits ist es auch etwas Schönes, zwei Städte gleichzeitig zu erleben."

Viel hat sie in den ersten Tagen noch nicht von Wien gesehen, nur ihr Wohnheim und die Uni in Favoriten samt türkischem Imbiss. Vom Lehrbetrieb ist sie begeistert. "Die Universität ist wirklich toll", sagt sie, und verstehen will sie nicht, warum die Regierung in Ungarn das anders sieht: "So einen Schatz zu haben und das nicht zu schätzen, das ist schade."

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Quelle:
SZ vom 11.10.2019
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