Show zu Bidens Amtseinführung:Tom Hanks in Thermoweste

Lesezeit: 3 Min.

"Celebrating America": Tom Hanks moderiert die Show. Ein erstarrter Mann in erstarrter Kulisse. Und, offenbar, mit Thermokleidung unterm Hemd. (Foto: dpa)

Es war dunkel, leer und eisig kalt, aber der Schauspieler musste trotzdem eine Show für Joe Biden moderieren. Wie beschwört man ein Wir-Gefühl, wenn außer Nationalgardisten und Katy Perry keiner in die Stadt darf?

Von Tobias Kniebe

Gerade war es losgegangen, Bruce Springsteen sang, allein mit seiner Gitarre, vom "Land of Hope and Dreams" und von der Zuversicht, dass die Gläubigen schon irgendwie belohnt werden. Er trug Wintermantel, aber dass er tatsächlich auf den Stufen des Lincoln Memorial stand, war dann doch ein Schock. Mit ihm im Vordergrund wirkte das Monument mit seinen Riesensäulen gleich so protzig und übergroß, wie es nun mal ist, geradezu menschenfeindlich, dazu windumtost, ja: eiskalt.

Das Frösteln verschärfte sich, als dann nicht weit von ihm Tom Hanks ins Bild kam, der keinen Wintermantel trug, sondern den schwarzen Anzug des Showmasters. So viel Glamour muss sein, hatte man sich offenbar gedacht, Wintermäntel für alle, das geht nicht. Stattdessen schien Hanks eine Art Thermoweste unters Hemd geschmuggelt zu haben, dünn zwar, aber nicht dünn genug, um unbemerkt zu bleiben. Und so war klar: Diese Fröstelarchitektur im menschenleeren nächtlichen Washington war wirklich der Ort der Wahl für "Celebrating America", die Amtseinführungsshow, um die Herzen der Amerikaner wieder aufzuwärmen nach vier Jahren Trump.

Katy Perry singt zum großen Finale ihren Hit "Firework". Zwangsläufig ohne die Wählerinnen und Wähler. (Foto: imago images/ZUMA Wire)

Tom Hanks sprach staatstragende Worte von der noch perfekteren Einheit, die es anzustreben gelte, von der Gültigkeit und Stärke der Ideale, gerade auch in Not und Streit und Pandemie, und vom ewigen Streben des Amerikaners, eine bessere Version seiner selbst zu werden.

Das war das Thema der Gala, die Joe Biden bei seinem Amtseinführungskomitee in Auftrag gegeben und allen Networks und Plattformen zum Senden und Streamen angeboten hatte. Es war auch das Thema aller folgenden Reden bis hin zu Vizepräsidentin und Präsident. Genau genommen war es auch das Thema der meisten Songs, die dann live oder nicht ganz so live gespielt wurden, oft zugeschaltet von anderen Orten, von Jon Bon Jovi über Justin Timberlake und Demi Lovato bis zu den Foo Fighters.

Die Show steckte voller vollendeter Absichten und Botschaften. Und man denkt: Na gut.

Die Botschaft war möglicherweise nötig, um dem geplagten Land wieder Hoffnung zu geben. Sie war möglicherweise heilsam für die tiefen Wunden, die Trumps Präsidentschaft geschlagen hatte. Es war möglicherweise wichtig zu zeigen, dass Kunst und Kultur und der allseits gute Wille wieder an Bord sind in der amerikanischen Politik. Es war aber auch lähmend in seiner Einförmigkeit und Erwartbarkeit. Nach allem, was in den vergangenen vier Jahren so über alte weiße Männer gesagt wurde, soll dieser besonders alte weiße Mann nun also alle vereinen, über Hautfarben und Identitäten hinweg, soll das Ziel aller Hoffnung und Zuversicht sein? Na gut.

Die Stars wurden zum Singen nicht alle nach Washington gefahren, sondern teilweise einfach zugeschaltet wie Demi Lovato. (Foto: dpa)

Und wie immer, wenn die Gefühle allzu sehr massiert werden und das Hirn unterbeschäftigt bleibt, beginnen die Gedanken zu wandern. So staunte man jedes Mal neu, wenn zurück zum Lincoln Memorial geschaltet wurde, über die Leere und die Dunkelheit. Gerade mal zwei Handlampen schienen verfügbar zu sein, um den neuen Präsidenten bei seinem Grußwort anzustrahlen, bei John Legend und seinem Piano war es eher eine Taschenlampe, bei Tom Hanks gelegentlich ein Kreis von LED-Leuchten. Dahinter: Nacht. Als hätte der scheidende Amtsinhaber in seiner Bosheit der ganzen Stadt auch noch den Saft abgedreht und nur Notstrom-Aggregate zurückgelassen.

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Am Ende jedes Songs und jeder Rede fehlten dann schmerzlich: Menschen. Zuhörer, Applaus, irgendeine Art Reaktion, die tatsächlich von der viel beschworenen Einheit hätte erzählen können. Schon klar, die Pandemie erlaubte nichts anderes, jede größere Ansammlung von Personen im Bild sendet schon das falsche Signal. Die Leere als Signal war aber auch blöd. Sie erzeugte das Bild einer Hauptstadt, in die man aus Angst vor verschwörungsgläubigen Krawallmachern gleich gar niemanden mehr hereingelassen hatte, in der sich nur noch Nationalgardisten und Prominente mit Sondererlaubnis frei bewegen durften. Kontert man so den Verdacht, ein abgehobener Ort der Elite zu sein? Die Mehrheit der amerikanischen Wähler, die ja doch irgendwie nötig waren für den allseits beschworenen Triumph der Demokratie - selten erschien sie so ungreifbar und abstrakt wie an diesem Abend.

War ausgerechnet dieses Event auch an die 74 Millionen Trumpisten in der Weite Amerikas gerichtet?

Wer jetzt kein Weißes Haus hat, baut sich keines mehr - das war nach fast anderthalb Stunden Kälte und Leere so ungefähr die Stimmung. All die optimistischen Einspieler, in denen normale Menschen gefeiert wurden, voller Nächstenliebe und Widerstandskraft, vom Paketfahrer über die Kindergärtnerin bis zur Krankenschwester, konnten wenig dagegen ausrichten. So war es dann eine große Erleichterung, dass Joe Biden es im Laufe der Show vom Lincoln Memorial offenbar bis ins Weiße Haus geschafft hatte, wo er live wieder zugeschaltet wurde - im warmen Salon, im trauten Familienkreis.

Wenigstens einer, der heute Nacht nicht mehr zittern muss, dachte man da, während zum Finale eine weiß vermummte Katy Perry ihre Hymne "Firework" anstimmte und hinter ihr tatsächlich ein ziemlich großes Feuerwerk über Washington losging. Auch das wieder ein zwiespältiges Bild. Nicht wenige der 74 Millionen Amerikaner, die trotz allem Trump gewählt haben, hätten Washington an diesem Abend ja wirklich gern brennen sehen. Nur eben richtig.

War diese Gala nicht im Grunde an sie gerichtet? Haben die ganzen Beschwörungen von Einheit und Gemeinsamkeit diese Menschen irgendwie erreicht? Sind sie überhaupt noch erreichbar? Man weiß es nicht, man wird es sehen. Die goldene Wärme und familiäre Gemütlichkeit im Weißen Haus, womöglich auch noch mit knisterndem Kaminfeuer (nicht im Bild) - die aber gönnte man Joe Biden am Ende von Herzen. Auf den Mann kommt jetzt richtig viel Arbeit zu.

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